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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
altrömischen vergleicht, wird ihn kaum weniger erheblich nennen,
als den zwischen dem Eisenbahn- und Telegraphenwesen der
heutigen Zeit und dem Schneckengang der Transportmittel der
Vergangenheit.

Was ist für unser heutiges Recht die Entfernung und was
war sie einst! Einst ein absolutes Hinderniß für die Vornahme
eines jeden Rechtsgeschäfts, ist sie heutzutage für den Verkehr
rechtlich 922) ohne den geringsten Einfluß. Contracte schließen,
Besitz und Eigenthum erwerben und übertragen, Processe füh-
ren u. s. w., alles das kann man von jeder beliebigen Entfer-
nung aus -- Stellvertreter und Briefe ersparen dem Handeln-
den die Mühe des eignen Erscheinens. Ein alter Römer würde
sich vielleicht nicht weniger darüber wundern, was man heutzu-
tage mit Papier und Dinte, als was man mit Dampf und
Electricität ausrichtet. Papier und Dinte vertreten bei uns
nicht bloß die Person, sondern auch die Sache, wenigstens
die wichtigste derselben: das Geld. Wechsel, Anweisungen,
Banknoten, Papiergeld machen es unserm heutigen Verkehr
möglich, das Gewicht einer Million auf wenige Lothe zu redu-
ciren, und gegenüber den Summen, die täglich in dieser lufti-
gen Gestalt den Raum durcheilen, verschwindet die Masse des
versandten Metallgeldes fast in nichts. Das Gemeinsame unse-
res gesammten heutigen Systems der Raumüberwindung im
Gegensatz zu dem früherer historischen Epochen besteht in der
Substituirung todter Mittel an die der lebendi-
gen
. Die Locomotive hat das Lastthier, der Telegraph den
Boten, die Feder den Menschen ersetzt -- Dampf, Electricität
und Dinte sind die Hebel des heutigen Verkehrswesens.

Die Bedeutung des Raums im heutigen Recht beschränkt
sich im wesentlichen bloß darauf, daß der Raum die Rechts-

922) Nur das Familienrecht kennt noch das Requisit der Anwesenheit --
die Reise zur Hochzeit ist auch heutzutage eine rechtlich nothwendige Reise;
das Privatfürstenrecht hat selbst sie erlassen (Stellvertretung).

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
altrömiſchen vergleicht, wird ihn kaum weniger erheblich nennen,
als den zwiſchen dem Eiſenbahn- und Telegraphenweſen der
heutigen Zeit und dem Schneckengang der Transportmittel der
Vergangenheit.

Was iſt für unſer heutiges Recht die Entfernung und was
war ſie einſt! Einſt ein abſolutes Hinderniß für die Vornahme
eines jeden Rechtsgeſchäfts, iſt ſie heutzutage für den Verkehr
rechtlich 922) ohne den geringſten Einfluß. Contracte ſchließen,
Beſitz und Eigenthum erwerben und übertragen, Proceſſe füh-
ren u. ſ. w., alles das kann man von jeder beliebigen Entfer-
nung aus — Stellvertreter und Briefe erſparen dem Handeln-
den die Mühe des eignen Erſcheinens. Ein alter Römer würde
ſich vielleicht nicht weniger darüber wundern, was man heutzu-
tage mit Papier und Dinte, als was man mit Dampf und
Electricität ausrichtet. Papier und Dinte vertreten bei uns
nicht bloß die Perſon, ſondern auch die Sache, wenigſtens
die wichtigſte derſelben: das Geld. Wechſel, Anweiſungen,
Banknoten, Papiergeld machen es unſerm heutigen Verkehr
möglich, das Gewicht einer Million auf wenige Lothe zu redu-
ciren, und gegenüber den Summen, die täglich in dieſer lufti-
gen Geſtalt den Raum durcheilen, verſchwindet die Maſſe des
verſandten Metallgeldes faſt in nichts. Das Gemeinſame unſe-
res geſammten heutigen Syſtems der Raumüberwindung im
Gegenſatz zu dem früherer hiſtoriſchen Epochen beſteht in der
Subſtituirung todter Mittel an die der lebendi-
gen
. Die Locomotive hat das Laſtthier, der Telegraph den
Boten, die Feder den Menſchen erſetzt — Dampf, Electricität
und Dinte ſind die Hebel des heutigen Verkehrsweſens.

Die Bedeutung des Raums im heutigen Recht beſchränkt
ſich im weſentlichen bloß darauf, daß der Raum die Rechts-

922) Nur das Familienrecht kennt noch das Requiſit der Anweſenheit —
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das Privatfürſtenrecht hat ſelbſt ſie erlaſſen (Stellvertretung).
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[684/0390] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. altrömiſchen vergleicht, wird ihn kaum weniger erheblich nennen, als den zwiſchen dem Eiſenbahn- und Telegraphenweſen der heutigen Zeit und dem Schneckengang der Transportmittel der Vergangenheit. Was iſt für unſer heutiges Recht die Entfernung und was war ſie einſt! Einſt ein abſolutes Hinderniß für die Vornahme eines jeden Rechtsgeſchäfts, iſt ſie heutzutage für den Verkehr rechtlich 922) ohne den geringſten Einfluß. Contracte ſchließen, Beſitz und Eigenthum erwerben und übertragen, Proceſſe füh- ren u. ſ. w., alles das kann man von jeder beliebigen Entfer- nung aus — Stellvertreter und Briefe erſparen dem Handeln- den die Mühe des eignen Erſcheinens. Ein alter Römer würde ſich vielleicht nicht weniger darüber wundern, was man heutzu- tage mit Papier und Dinte, als was man mit Dampf und Electricität ausrichtet. Papier und Dinte vertreten bei uns nicht bloß die Perſon, ſondern auch die Sache, wenigſtens die wichtigſte derſelben: das Geld. Wechſel, Anweiſungen, Banknoten, Papiergeld machen es unſerm heutigen Verkehr möglich, das Gewicht einer Million auf wenige Lothe zu redu- ciren, und gegenüber den Summen, die täglich in dieſer lufti- gen Geſtalt den Raum durcheilen, verſchwindet die Maſſe des verſandten Metallgeldes faſt in nichts. Das Gemeinſame unſe- res geſammten heutigen Syſtems der Raumüberwindung im Gegenſatz zu dem früherer hiſtoriſchen Epochen beſteht in der Subſtituirung todter Mittel an die der lebendi- gen. Die Locomotive hat das Laſtthier, der Telegraph den Boten, die Feder den Menſchen erſetzt — Dampf, Electricität und Dinte ſind die Hebel des heutigen Verkehrsweſens. Die Bedeutung des Raums im heutigen Recht beſchränkt ſich im weſentlichen bloß darauf, daß der Raum die Rechts- 922) Nur das Familienrecht kennt noch das Requiſit der Anweſenheit — die Reiſe zur Hochzeit iſt auch heutzutage eine rechtlich nothwendige Reiſe; das Privatfürſtenrecht hat ſelbſt ſie erlaſſen (Stellvertretung).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/390>, abgerufen am 24.11.2024.