Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Formularproceß galt ganz dasselbe. 916) Nicht anders bei Rechts-geschäften, nur daß hier Nichtigkeit eintrat, so z. B. bei der Stipulation (S. 582). Wie der Ausfall eines Worts oder die Vertauschung desselben mit einem gleichbedeutenden, so begründete auch die Veränderung der Reihenfolge der Worte 917) ja sogar der Gebrauch einer neuern Wortform, wo sich für die Formel noch die ursprüngliche erhalten hatte, 918) einen Nichtigkeitsgrund. Ebenso Zusätze, wenn die Formel eine feste, unabänderliche (S. 614) war, und zwar traf die Nichtigkeit nicht etwa den Zusatz, so daß das Geschäft im übri- gen gültig geblieben, sondern das ganze Geschäft. Auf die Be- schaffenheit des Zusatzes kam nichts an; mochte er sich mit dem Zweck des Geschäfts vertragen oder nicht, mochte er inhalts- los, mochte er gänzlich sinnlos sein -- es war ein Zusatz und die Formel duldete keinen Zusatz. Damit hängt eine bekannte Regel des römischen Rechts zu- 916) Quint. Inst. orat. VII, 3 quum si uno verbo sit erratum, tota causa cecidisse videamur. 917) Plin. H. N. XXVIII, 3 .. ne quid praeposterum dicatur. 918) Das Wort ovis, im spätern Sprachgebrauch Femininum, war ur- sprünglich Masculinum, und daran hatte die Formel der multae dictio fest- gehalten; als Femininum gebraucht begründete es hier Nichtigkeit. Gell. XI, 1 .. nisi eo genere diceretur, negaverunt justam videri multam. 919) S. darüber Savigny Syst. B. 3 S. 124, 125. Daß, um mit sei- nen Worten zu reden, "das Wesen hierbei der Form geopfert wird," ist vollkommen richtig, allein darauf beruht eben das Wesen der Form. 920) L. 77 de R. J. (50. 17). Der hier gebrauchte Ausdruck: actus
legitimi scheint kaum ein technischer gewesen zu sein, da er sich bei keinem andern Juristen wiederholt, eben so wenig civile negotium bei Ulp. XI, 27. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Formularproceß galt ganz daſſelbe. 916) Nicht anders bei Rechts-geſchäften, nur daß hier Nichtigkeit eintrat, ſo z. B. bei der Stipulation (S. 582). Wie der Ausfall eines Worts oder die Vertauſchung deſſelben mit einem gleichbedeutenden, ſo begründete auch die Veränderung der Reihenfolge der Worte 917) ja ſogar der Gebrauch einer neuern Wortform, wo ſich für die Formel noch die urſprüngliche erhalten hatte, 918) einen Nichtigkeitsgrund. Ebenſo Zuſätze, wenn die Formel eine feſte, unabänderliche (S. 614) war, und zwar traf die Nichtigkeit nicht etwa den Zuſatz, ſo daß das Geſchäft im übri- gen gültig geblieben, ſondern das ganze Geſchäft. Auf die Be- ſchaffenheit des Zuſatzes kam nichts an; mochte er ſich mit dem Zweck des Geſchäfts vertragen oder nicht, mochte er inhalts- los, mochte er gänzlich ſinnlos ſein — es war ein Zuſatz und die Formel duldete keinen Zuſatz. Damit hängt eine bekannte Regel des römiſchen Rechts zu- 916) Quint. Inst. orat. VII, 3 quum si uno verbo sit erratum, tota causa cecidisse videamur. 917) Plin. H. N. XXVIII, 3 .. ne quid praeposterum dicatur. 918) Das Wort ovis, im ſpätern Sprachgebrauch Femininum, war ur- ſprünglich Masculinum, und daran hatte die Formel der multae dictio feſt- gehalten; als Femininum gebraucht begründete es hier Nichtigkeit. Gell. XI, 1 .. nisi eo genere diceretur, negaverunt justam videri multam. 919) S. darüber Savigny Syſt. B. 3 S. 124, 125. Daß, um mit ſei- nen Worten zu reden, „das Weſen hierbei der Form geopfert wird,“ iſt vollkommen richtig, allein darauf beruht eben das Weſen der Form. 920) L. 77 de R. J. (50. 17). Der hier gebrauchte Ausdruck: actus
legitimi ſcheint kaum ein techniſcher geweſen zu ſein, da er ſich bei keinem andern Juriſten wiederholt, eben ſo wenig civile negotium bei Ulp. XI, 27. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0387" n="681"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 47.</fw><lb/> Formularproceß galt ganz daſſelbe. <note place="foot" n="916)"><hi rendition="#aq">Quint. Inst. orat. VII, 3 quum si uno verbo sit erratum, tota<lb/> causa cecidisse videamur.</hi></note> Nicht anders bei Rechts-<lb/> geſchäften, nur daß hier Nichtigkeit eintrat, ſo z. B. bei der<lb/> Stipulation (S. 582). Wie der <hi rendition="#g">Ausfall</hi> eines Worts oder<lb/> die <hi rendition="#g">Vertauſchung</hi> deſſelben mit einem gleichbedeutenden, ſo<lb/> begründete auch die Veränderung der <hi rendition="#g">Reihenfolge</hi> der<lb/> Worte <note place="foot" n="917)"><hi rendition="#aq">Plin. H. N. XXVIII, 3 .. ne quid praeposterum dicatur.</hi></note> ja ſogar der Gebrauch einer <hi rendition="#g">neuern Wortform</hi>,<lb/> wo ſich für die Formel noch die urſprüngliche erhalten hatte, <note place="foot" n="918)">Das Wort <hi rendition="#aq">ovis,</hi> im ſpätern Sprachgebrauch Femininum, war ur-<lb/> ſprünglich Masculinum, und daran hatte die Formel der <hi rendition="#aq">multae dictio</hi> feſt-<lb/> gehalten; als Femininum gebraucht begründete es hier Nichtigkeit. <hi rendition="#aq">Gell. XI,<lb/> 1 .. nisi eo genere diceretur, negaverunt justam videri multam.</hi></note><lb/> einen Nichtigkeitsgrund. Ebenſo <hi rendition="#g">Zuſätze</hi>, wenn die Formel<lb/> eine feſte, unabänderliche (S. 614) war, und zwar traf die<lb/> Nichtigkeit nicht etwa den Zuſatz, ſo daß das Geſchäft im übri-<lb/> gen gültig geblieben, ſondern das ganze Geſchäft. Auf die <hi rendition="#g">Be-<lb/> ſchaffenheit</hi> des Zuſatzes kam nichts an; mochte er ſich mit<lb/> dem Zweck des Geſchäfts vertragen oder nicht, mochte er inhalts-<lb/> los, mochte er gänzlich ſinnlos ſein — es war ein Zuſatz und<lb/> die Formel duldete keinen Zuſatz.</p><lb/> <p>Damit hängt eine bekannte Regel des römiſchen Rechts zu-<lb/> ſammen, der neuere Juriſten den Ausdruck gegeben haben: <hi rendition="#aq">ex-<lb/> pressa nocent, non expressa non nocent.</hi> <note place="foot" n="919)">S. darüber Savigny Syſt. B. 3 S. 124, 125. Daß, um mit ſei-<lb/> nen Worten zu reden, „das <hi rendition="#g">Weſen</hi> hierbei der <hi rendition="#g">Form</hi> geopfert wird,“ iſt<lb/> vollkommen richtig, allein darauf beruht eben das <hi rendition="#g">Weſen</hi> der <hi rendition="#g">Form</hi>.</note> Die ſolennen<lb/> Rechtsgeſchäfte, ſagt Papinian, <note place="foot" n="920)"><hi rendition="#aq">L. 77 de R. J.</hi> (50. 17). Der hier gebrauchte Ausdruck: <hi rendition="#aq">actus<lb/> legitimi</hi> ſcheint kaum ein techniſcher geweſen zu ſein, da er ſich bei keinem<lb/> andern Juriſten wiederholt, eben ſo wenig <hi rendition="#aq">civile negotium</hi> bei <hi rendition="#aq">Ulp. XI,</hi> 27.</note> welche keine Bedingung oder<lb/> Zeitbeſtimmung zulaſſen, werden durch das Hinzufügen einer ſol-<lb/> chen ſchlechthin nichtig, ſelbſt wenn ſich der Inhalt derſelben von<lb/> ſelbſt verſteht, wie z. B. die zu dem bedingten Geſchäft des Pu-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [681/0387]
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Formularproceß galt ganz daſſelbe. 916) Nicht anders bei Rechts-
geſchäften, nur daß hier Nichtigkeit eintrat, ſo z. B. bei der
Stipulation (S. 582). Wie der Ausfall eines Worts oder
die Vertauſchung deſſelben mit einem gleichbedeutenden, ſo
begründete auch die Veränderung der Reihenfolge der
Worte 917) ja ſogar der Gebrauch einer neuern Wortform,
wo ſich für die Formel noch die urſprüngliche erhalten hatte, 918)
einen Nichtigkeitsgrund. Ebenſo Zuſätze, wenn die Formel
eine feſte, unabänderliche (S. 614) war, und zwar traf die
Nichtigkeit nicht etwa den Zuſatz, ſo daß das Geſchäft im übri-
gen gültig geblieben, ſondern das ganze Geſchäft. Auf die Be-
ſchaffenheit des Zuſatzes kam nichts an; mochte er ſich mit
dem Zweck des Geſchäfts vertragen oder nicht, mochte er inhalts-
los, mochte er gänzlich ſinnlos ſein — es war ein Zuſatz und
die Formel duldete keinen Zuſatz.
Damit hängt eine bekannte Regel des römiſchen Rechts zu-
ſammen, der neuere Juriſten den Ausdruck gegeben haben: ex-
pressa nocent, non expressa non nocent. 919) Die ſolennen
Rechtsgeſchäfte, ſagt Papinian, 920) welche keine Bedingung oder
Zeitbeſtimmung zulaſſen, werden durch das Hinzufügen einer ſol-
chen ſchlechthin nichtig, ſelbſt wenn ſich der Inhalt derſelben von
ſelbſt verſteht, wie z. B. die zu dem bedingten Geſchäft des Pu-
916) Quint. Inst. orat. VII, 3 quum si uno verbo sit erratum, tota
causa cecidisse videamur.
917) Plin. H. N. XXVIII, 3 .. ne quid praeposterum dicatur.
918) Das Wort ovis, im ſpätern Sprachgebrauch Femininum, war ur-
ſprünglich Masculinum, und daran hatte die Formel der multae dictio feſt-
gehalten; als Femininum gebraucht begründete es hier Nichtigkeit. Gell. XI,
1 .. nisi eo genere diceretur, negaverunt justam videri multam.
919) S. darüber Savigny Syſt. B. 3 S. 124, 125. Daß, um mit ſei-
nen Worten zu reden, „das Weſen hierbei der Form geopfert wird,“ iſt
vollkommen richtig, allein darauf beruht eben das Weſen der Form.
920) L. 77 de R. J. (50. 17). Der hier gebrauchte Ausdruck: actus
legitimi ſcheint kaum ein techniſcher geweſen zu ſein, da er ſich bei keinem
andern Juriſten wiederholt, eben ſo wenig civile negotium bei Ulp. XI, 27.
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