Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.

Die Klage gehört dem Gesetz. Für fast alle Klagen,
die dem ältern Recht entstammen, läßt sich diese Quelle nachwei-
sen. So sparsam die Gesetze auf der so eben betrachteten Seite
des Rechts sind, so zahlreich sind diejenigen, welche das Klag-
recht und die Form des Verfahrens zum Gegenstand haben. In
den wenigen Paragraphen des Gajus über die Legisactionen
sind ihrer mehr genannt, als in seinen sämmtlichen vier Büchern
zusammengenommen,900) und es möchte in der ganzen römischen
juristischen Literatur kein zweites Stück gefunden werden, das
auf so kleinem Raum so oft des Gesetzes gedenkt. 901) Nur ein
einziges Mal wird das Gewohnheitsrecht erwähnt, nämlich bei
Gelegenheit der gewisser Ansprüche wegen den Soldaten ge-
wohnheitsrechtlich zustehenden pignoris capio. 902) Die darin
gelegene Abweichung von unserm obigen Grundsatz möchte sich
verringern, wenn man bedenkt, daß es sich hier nicht um eine
eigentliche Klage handelt, sondern um die Ausdehnung einer
außergerichtlichen legis actio und zwar nicht um die Ein-
führung einer neuen, sondern die bloße Ausdehnung einer
bereits vorhandenen. 903) Von einer durch das Gewohnheits-
recht oder die Jurisprudenz erfolgten Ausdehnung einer Klage
(actio utilis) oder der Einführung einer neuen außergericht-
lichen legis actio ist kein Beispiel bekannt.

Ging nun zwar alle selbständige Bewegung und Bildung

900) S. das Verzeichniß der leges in der Lachmann'schen Ausgabe
p. 428. Natürlich sind nur die Gesetze aus der Zeit der Legisactionen gemeint.
901) Des Gesetzes ohne Nennung des Namens: Gaj. IV, 11, 13, 21,
22, 23, 24, 26, 28;
mit Nennung: die XII Tafeln IV, 11, 14, 21, 28, lex
Pinaria 15, Silia, Calpurnia 19, Publilia, Furia de sponsu 22, Furia
testamentaria, Marcia 23, 24, Aebutia
und zwei leges Juliae 30, zwei
leges, deren Name in der Handschrift nicht erkennbar (praediatoria?) 25, 28.
Daß Gajus noch manche übergangen, ist nicht zu bezweifeln, z. B. die lex Ho-
stilia, pr. I. de iis, per quos (4. 10)
u. a.
902) Gaj. IV, 26, 27.
903) Die pign. capio war bereits in den XII Tafeln anerkannt, jene
Ausdehnung fällt aber mindestens 50 Jahr später, da sie die Einführung des
Soldes (S. 262 Note 395) zu ihrer Voraussetzung hatte.
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.

Die Klage gehört dem Geſetz. Für faſt alle Klagen,
die dem ältern Recht entſtammen, läßt ſich dieſe Quelle nachwei-
ſen. So ſparſam die Geſetze auf der ſo eben betrachteten Seite
des Rechts ſind, ſo zahlreich ſind diejenigen, welche das Klag-
recht und die Form des Verfahrens zum Gegenſtand haben. In
den wenigen Paragraphen des Gajus über die Legisactionen
ſind ihrer mehr genannt, als in ſeinen ſämmtlichen vier Büchern
zuſammengenommen,900) und es möchte in der ganzen römiſchen
juriſtiſchen Literatur kein zweites Stück gefunden werden, das
auf ſo kleinem Raum ſo oft des Geſetzes gedenkt. 901) Nur ein
einziges Mal wird das Gewohnheitsrecht erwähnt, nämlich bei
Gelegenheit der gewiſſer Anſprüche wegen den Soldaten ge-
wohnheitsrechtlich zuſtehenden pignoris capio. 902) Die darin
gelegene Abweichung von unſerm obigen Grundſatz möchte ſich
verringern, wenn man bedenkt, daß es ſich hier nicht um eine
eigentliche Klage handelt, ſondern um die Ausdehnung einer
außergerichtlichen legis actio und zwar nicht um die Ein-
führung einer neuen, ſondern die bloße Ausdehnung einer
bereits vorhandenen. 903) Von einer durch das Gewohnheits-
recht oder die Jurisprudenz erfolgten Ausdehnung einer Klage
(actio utilis) oder der Einführung einer neuen außergericht-
lichen legis actio iſt kein Beiſpiel bekannt.

Ging nun zwar alle ſelbſtändige Bewegung und Bildung

900) S. das Verzeichniß der leges in der Lachmann’ſchen Ausgabe
p. 428. Natürlich ſind nur die Geſetze aus der Zeit der Legisactionen gemeint.
901) Des Geſetzes ohne Nennung des Namens: Gaj. IV, 11, 13, 21,
22, 23, 24, 26, 28;
mit Nennung: die XII Tafeln IV, 11, 14, 21, 28, lex
Pinaria 15, Silia, Calpurnia 19, Publilia, Furia de sponsu 22, Furia
testamentaria, Marcia 23, 24, Aebutia
und zwei leges Juliae 30, zwei
leges, deren Name in der Handſchrift nicht erkennbar (praediatoria?) 25, 28.
Daß Gajus noch manche übergangen, iſt nicht zu bezweifeln, z. B. die lex Ho-
stilia, pr. I. de iis, per quos (4. 10)
u. a.
902) Gaj. IV, 26, 27.
903) Die pign. capio war bereits in den XII Tafeln anerkannt, jene
Ausdehnung fällt aber mindeſtens 50 Jahr ſpäter, da ſie die Einführung des
Soldes (S. 262 Note 395) zu ihrer Vorausſetzung hatte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <pb facs="#f0375" n="669"/>
                        <fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 47.</fw><lb/>
                        <p><hi rendition="#g">Die Klage gehört dem Ge&#x017F;etz</hi>. Für fa&#x017F;t alle Klagen,<lb/>
die dem ältern Recht ent&#x017F;tammen, läßt &#x017F;ich die&#x017F;e Quelle nachwei-<lb/>
&#x017F;en. So &#x017F;par&#x017F;am die Ge&#x017F;etze auf der &#x017F;o eben betrachteten Seite<lb/>
des Rechts &#x017F;ind, &#x017F;o zahlreich &#x017F;ind diejenigen, welche das Klag-<lb/>
recht und die Form des Verfahrens zum Gegen&#x017F;tand haben. In<lb/>
den wenigen Paragraphen des Gajus über die Legisactionen<lb/>
&#x017F;ind ihrer mehr genannt, als in &#x017F;einen &#x017F;ämmtlichen vier Büchern<lb/>
zu&#x017F;ammengenommen,<note place="foot" n="900)">S. das Verzeichniß der <hi rendition="#aq">leges</hi> in der Lachmann&#x2019;&#x017F;chen Ausgabe<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 428. Natürlich &#x017F;ind nur die Ge&#x017F;etze aus der Zeit der Legisactionen gemeint.</note> und es möchte in der ganzen römi&#x017F;chen<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;chen Literatur kein zweites Stück gefunden werden, das<lb/>
auf &#x017F;o kleinem Raum &#x017F;o oft des Ge&#x017F;etzes gedenkt. <note place="foot" n="901)">Des Ge&#x017F;etzes ohne Nennung des Namens: <hi rendition="#aq">Gaj. IV, 11, 13, 21,<lb/>
22, 23, 24, 26, 28;</hi> mit Nennung: die <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln <hi rendition="#aq">IV, 11, 14, 21, 28, lex<lb/>
Pinaria 15, Silia, Calpurnia 19, Publilia, Furia de sponsu 22, Furia<lb/>
testamentaria, Marcia 23, 24, Aebutia</hi> und zwei <hi rendition="#aq">leges Juliae 30,</hi> zwei<lb/><hi rendition="#aq">leges,</hi> deren Name in der Hand&#x017F;chrift nicht erkennbar <hi rendition="#aq">(praediatoria?) 25, 28</hi>.<lb/>
Daß Gajus noch manche übergangen, i&#x017F;t nicht zu bezweifeln, z. B. die <hi rendition="#aq">lex Ho-<lb/>
stilia, pr. I. de iis, per quos (4. 10)</hi> u. a.</note> Nur ein<lb/>
einziges Mal wird das Gewohnheitsrecht erwähnt, nämlich bei<lb/>
Gelegenheit der gewi&#x017F;&#x017F;er An&#x017F;prüche wegen den Soldaten ge-<lb/>
wohnheitsrechtlich zu&#x017F;tehenden <hi rendition="#aq">pignoris capio</hi>. <note place="foot" n="902)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV, 26, 27</hi>.</note> Die darin<lb/>
gelegene Abweichung von un&#x017F;erm obigen Grund&#x017F;atz möchte &#x017F;ich<lb/>
verringern, wenn man bedenkt, daß es &#x017F;ich hier nicht um eine<lb/>
eigentliche <hi rendition="#g">Klage</hi> handelt, &#x017F;ondern um die Ausdehnung einer<lb/><hi rendition="#g">außergerichtlichen</hi> <hi rendition="#aq">legis actio</hi> und zwar nicht um die Ein-<lb/>
führung einer neuen, &#x017F;ondern die bloße <hi rendition="#g">Ausdehnung</hi> einer<lb/>
bereits vorhandenen. <note place="foot" n="903)">Die <hi rendition="#aq">pign. capio</hi> war bereits in den <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln anerkannt, jene<lb/>
Ausdehnung fällt aber minde&#x017F;tens 50 Jahr &#x017F;päter, da &#x017F;ie die Einführung des<lb/>
Soldes (S. 262 Note 395) zu ihrer Voraus&#x017F;etzung hatte.</note> Von einer durch das Gewohnheits-<lb/>
recht oder die Jurisprudenz erfolgten Ausdehnung einer <hi rendition="#g">Klage</hi><lb/>
(<hi rendition="#aq">actio utilis</hi>) oder der <hi rendition="#g">Einführung</hi> einer neuen außergericht-<lb/>
lichen <hi rendition="#aq">legis actio</hi> i&#x017F;t kein Bei&#x017F;piel bekannt.</p><lb/>
                        <p>Ging nun zwar alle <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;tändige</hi> Bewegung und Bildung<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[669/0375] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Die Klage gehört dem Geſetz. Für faſt alle Klagen, die dem ältern Recht entſtammen, läßt ſich dieſe Quelle nachwei- ſen. So ſparſam die Geſetze auf der ſo eben betrachteten Seite des Rechts ſind, ſo zahlreich ſind diejenigen, welche das Klag- recht und die Form des Verfahrens zum Gegenſtand haben. In den wenigen Paragraphen des Gajus über die Legisactionen ſind ihrer mehr genannt, als in ſeinen ſämmtlichen vier Büchern zuſammengenommen, 900) und es möchte in der ganzen römiſchen juriſtiſchen Literatur kein zweites Stück gefunden werden, das auf ſo kleinem Raum ſo oft des Geſetzes gedenkt. 901) Nur ein einziges Mal wird das Gewohnheitsrecht erwähnt, nämlich bei Gelegenheit der gewiſſer Anſprüche wegen den Soldaten ge- wohnheitsrechtlich zuſtehenden pignoris capio. 902) Die darin gelegene Abweichung von unſerm obigen Grundſatz möchte ſich verringern, wenn man bedenkt, daß es ſich hier nicht um eine eigentliche Klage handelt, ſondern um die Ausdehnung einer außergerichtlichen legis actio und zwar nicht um die Ein- führung einer neuen, ſondern die bloße Ausdehnung einer bereits vorhandenen. 903) Von einer durch das Gewohnheits- recht oder die Jurisprudenz erfolgten Ausdehnung einer Klage (actio utilis) oder der Einführung einer neuen außergericht- lichen legis actio iſt kein Beiſpiel bekannt. Ging nun zwar alle ſelbſtändige Bewegung und Bildung 900) S. das Verzeichniß der leges in der Lachmann’ſchen Ausgabe p. 428. Natürlich ſind nur die Geſetze aus der Zeit der Legisactionen gemeint. 901) Des Geſetzes ohne Nennung des Namens: Gaj. IV, 11, 13, 21, 22, 23, 24, 26, 28; mit Nennung: die XII Tafeln IV, 11, 14, 21, 28, lex Pinaria 15, Silia, Calpurnia 19, Publilia, Furia de sponsu 22, Furia testamentaria, Marcia 23, 24, Aebutia und zwei leges Juliae 30, zwei leges, deren Name in der Handſchrift nicht erkennbar (praediatoria?) 25, 28. Daß Gajus noch manche übergangen, iſt nicht zu bezweifeln, z. B. die lex Ho- stilia, pr. I. de iis, per quos (4. 10) u. a. 902) Gaj. IV, 26, 27. 903) Die pign. capio war bereits in den XII Tafeln anerkannt, jene Ausdehnung fällt aber mindeſtens 50 Jahr ſpäter, da ſie die Einführung des Soldes (S. 262 Note 395) zu ihrer Vorausſetzung hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/375
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/375>, abgerufen am 24.11.2024.