Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. manche Rechtshistoriker irre geführt. Aus dieser Stelle geht zu-nächst soviel hervor, daß die Vornahme vor Gericht nicht zum Begriff der legis actio gehörte. Zwar gab es unter den römi- schen Juristen eine Minderzahl, welche (vielleicht verleitet durch die Bedeutung des Ausdrucks actio im spätern Proceß) die- ses Moment für wesentlich und demgemäß die pignoris capio für keine legis actio erklärte, allein die entgegengesetzte Mei- nung war die herrschende. Im Geist dieser letzteren würde die Definition einer legis actio lauten: eine vom Gesetz anerkannte (1) und mit den Worten desselben vollzogene (2) Handlung zum Zweck der Rechtsverfolgung (3). Unter diesen Begriff aber fallen außer der pign. capio, wie unten gezeigt werden soll, noch manche andere Handlungen. Wenn nun Gajus die pign. capio zu den "übrigen Legis In der That ist aber der Gegensatz, den Gajus hier auf- Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. manche Rechtshiſtoriker irre geführt. Aus dieſer Stelle geht zu-nächſt ſoviel hervor, daß die Vornahme vor Gericht nicht zum Begriff der legis actio gehörte. Zwar gab es unter den römi- ſchen Juriſten eine Minderzahl, welche (vielleicht verleitet durch die Bedeutung des Ausdrucks actio im ſpätern Proceß) die- ſes Moment für weſentlich und demgemäß die pignoris capio für keine legis actio erklärte, allein die entgegengeſetzte Mei- nung war die herrſchende. Im Geiſt dieſer letzteren würde die Definition einer legis actio lauten: eine vom Geſetz anerkannte (1) und mit den Worten deſſelben vollzogene (2) Handlung zum Zweck der Rechtsverfolgung (3). Unter dieſen Begriff aber fallen außer der pign. capio, wie unten gezeigt werden ſoll, noch manche andere Handlungen. Wenn nun Gajus die pign. capio zu den „übrigen Legis In der That iſt aber der Gegenſatz, den Gajus hier auf- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0362" n="656"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> manche Rechtshiſtoriker irre geführt. Aus dieſer Stelle geht zu-<lb/> nächſt ſoviel hervor, daß die Vornahme vor Gericht nicht zum<lb/><hi rendition="#g">Begriff</hi> der <hi rendition="#aq">legis actio</hi> gehörte. Zwar gab es unter den römi-<lb/> ſchen Juriſten eine Minderzahl, welche (vielleicht verleitet durch<lb/> die Bedeutung des Ausdrucks <hi rendition="#aq">actio</hi> im ſpätern Proceß) die-<lb/> ſes Moment für weſentlich und demgemäß die <hi rendition="#aq">pignoris capio</hi><lb/> für <hi rendition="#g">keine</hi> <hi rendition="#aq">legis actio</hi> erklärte, allein die entgegengeſetzte Mei-<lb/> nung war die herrſchende. Im Geiſt dieſer letzteren würde die<lb/> Definition einer <hi rendition="#aq">legis actio</hi> lauten: eine vom Geſetz anerkannte<lb/> (1) und mit den Worten deſſelben vollzogene (2) Handlung<lb/> zum Zweck der Rechtsverfolgung (3). Unter dieſen Begriff aber<lb/> fallen außer der <hi rendition="#aq">pign. capio,</hi> wie unten gezeigt werden ſoll, noch<lb/> manche andere Handlungen.</p><lb/> <p>Wenn nun Gajus die <hi rendition="#aq">pign. capio</hi> zu den „übrigen Legis<lb/> Actionen“ (d. h. den vier vorher von ihm behandelten) dadurch<lb/> in Gegenſatz ſtellt, daß man ſich der letzteren nur vor Gericht<lb/> bedienen könne, der erſteren außer Gericht, ſo hat man dieſe<lb/> Aeußerung in der Weiſe mißverſtanden, als ob bei jenen <hi rendition="#g">alle<lb/> und jede Handlungen</hi> vor Gericht geſpielt hätten. Davon<lb/> hätte ſchon der Hinblick auf zwei Acte abhalten ſollen, die durch<lb/> ihren bloßen Namen dem angeblichen Erforderniß der Vornahme<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">in jure</hi></hi> widerſprechen, die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">in jus</hi> vocatio</hi> und das <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">ex jure</hi><lb/> manum consertum vocare</hi> (S. 600).</p><lb/> <p>In der That iſt aber der Gegenſatz, den Gajus hier auf-<lb/> ſtellt, ein ganz anderer. Er bezieht ſich auf das <hi rendition="#g">Verfahren</hi>.<lb/> Das Verfahren iſt bei der <hi rendition="#aq">pign. cap.</hi> ein ſchlechthin außergericht-<lb/> liches, das Gericht wird völlig umgangen. Bei den andern da-<lb/> gegen gelangt die Sache vor Gericht, die Mitwirkung des Rich-<lb/> ters iſt zu ihrer Erledigung unentbehrlich; das Verfahren ſelbſt<lb/> alſo ließ ſich nur als ein gerichtliches bezeichnen. Darin liegt<lb/> aber durchaus nicht, daß alle und jede Acte vor Gericht vorge-<lb/> nommen werden müßten. Auch der franzöſiſche Proceß erfor-<lb/> dert außergerichtliche Verhandlungen, aber wer würde darum<lb/> Anſtand nehmen, ihn ein gerichtliches Verfahren zu nennen?<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [656/0362]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
manche Rechtshiſtoriker irre geführt. Aus dieſer Stelle geht zu-
nächſt ſoviel hervor, daß die Vornahme vor Gericht nicht zum
Begriff der legis actio gehörte. Zwar gab es unter den römi-
ſchen Juriſten eine Minderzahl, welche (vielleicht verleitet durch
die Bedeutung des Ausdrucks actio im ſpätern Proceß) die-
ſes Moment für weſentlich und demgemäß die pignoris capio
für keine legis actio erklärte, allein die entgegengeſetzte Mei-
nung war die herrſchende. Im Geiſt dieſer letzteren würde die
Definition einer legis actio lauten: eine vom Geſetz anerkannte
(1) und mit den Worten deſſelben vollzogene (2) Handlung
zum Zweck der Rechtsverfolgung (3). Unter dieſen Begriff aber
fallen außer der pign. capio, wie unten gezeigt werden ſoll, noch
manche andere Handlungen.
Wenn nun Gajus die pign. capio zu den „übrigen Legis
Actionen“ (d. h. den vier vorher von ihm behandelten) dadurch
in Gegenſatz ſtellt, daß man ſich der letzteren nur vor Gericht
bedienen könne, der erſteren außer Gericht, ſo hat man dieſe
Aeußerung in der Weiſe mißverſtanden, als ob bei jenen alle
und jede Handlungen vor Gericht geſpielt hätten. Davon
hätte ſchon der Hinblick auf zwei Acte abhalten ſollen, die durch
ihren bloßen Namen dem angeblichen Erforderniß der Vornahme
in jure widerſprechen, die in jus vocatio und das ex jure
manum consertum vocare (S. 600).
In der That iſt aber der Gegenſatz, den Gajus hier auf-
ſtellt, ein ganz anderer. Er bezieht ſich auf das Verfahren.
Das Verfahren iſt bei der pign. cap. ein ſchlechthin außergericht-
liches, das Gericht wird völlig umgangen. Bei den andern da-
gegen gelangt die Sache vor Gericht, die Mitwirkung des Rich-
ters iſt zu ihrer Erledigung unentbehrlich; das Verfahren ſelbſt
alſo ließ ſich nur als ein gerichtliches bezeichnen. Darin liegt
aber durchaus nicht, daß alle und jede Acte vor Gericht vorge-
nommen werden müßten. Auch der franzöſiſche Proceß erfor-
dert außergerichtliche Verhandlungen, aber wer würde darum
Anſtand nehmen, ihn ein gerichtliches Verfahren zu nennen?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |