Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. hörte, ward er wahrhaft sinnlos und zwar nach beiden Seitenhin. Nach Seiten des fam. emtor -- denn welches Interesse hatte er am Testament, das das Zeugniß jener seiner Verwand- ten hätte verdächtigen können? Nach Seiten des Erben -- denn bei ihm lag umgekehrt ein solches Interesse vor. Man hatte also der Form zu Liebe das wahre Verhältniß völlig verscho- ben, den an sich richtigen Begriff des domesticum testimo- nium durch verkehrte Anwendung um allen Werth gebracht. 697) Nach jener Seite freilich knüpfte sich an diesen Mißgriff kein irgendwie erhebliches Interesse, man fand Zeugen genug, um jene Beschränkung nicht zu fühlen; die Concession, die man hier der Form machte, war also durchaus harmloser Natur. Ganz anders jedoch in der zweiten Richtung, denn wenn irgend Jemand, so mußten gerade die genannten Personen ausgeschlos- sen werden. Die römische Jurisprudenz befand sich hier in der Verlegenheit, die die heutige freilich auch oft genug empfindet oder nicht empfindet, einen Rechtssatz lehren zu müssen, gegen den ihr gesundes Gefühl sich auflehnte. Sie suchte sich dadurch zu helfen, daß sie gegen die wirkliche praktische Benutzung des- selben aufs angelegentlichste warnte. 698) Während nun diese beiden Beispiele der Ansicht Raum ge- 697) Der Tadel, den Justinian in §. 10 I. de test. ord. (2. 10) dar- über ausspricht, daß das ganze Recht hier auf den Kopf gestellt worden sei (totum jus conturbatum erat) war daher ganz treffend. 698) So Gaj. II §. 108 sed tamen ... minime hoc jure uti debemus.
Er kann jedoch nicht der letzte gewesen sein, der gegen den Rechtssatz bloß warnte, wenn sonst dem Bericht von Justinian in §. 10 I. cit. Glauben zu schenken. L. 20 pr. qui test. (28. 1) von Ulpian muß daher interpolirt sein (Glück Erläuterung der Pandekten B. 34 S. 245) was durch Ulp. XX, 3--5 fast zur Gewißheit erhoben wird. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. hörte, ward er wahrhaft ſinnlos und zwar nach beiden Seitenhin. Nach Seiten des fam. emtor — denn welches Intereſſe hatte er am Teſtament, das das Zeugniß jener ſeiner Verwand- ten hätte verdächtigen können? Nach Seiten des Erben — denn bei ihm lag umgekehrt ein ſolches Intereſſe vor. Man hatte alſo der Form zu Liebe das wahre Verhältniß völlig verſcho- ben, den an ſich richtigen Begriff des domesticum testimo- nium durch verkehrte Anwendung um allen Werth gebracht. 697) Nach jener Seite freilich knüpfte ſich an dieſen Mißgriff kein irgendwie erhebliches Intereſſe, man fand Zeugen genug, um jene Beſchränkung nicht zu fühlen; die Conceſſion, die man hier der Form machte, war alſo durchaus harmloſer Natur. Ganz anders jedoch in der zweiten Richtung, denn wenn irgend Jemand, ſo mußten gerade die genannten Perſonen ausgeſchloſ- ſen werden. Die römiſche Jurisprudenz befand ſich hier in der Verlegenheit, die die heutige freilich auch oft genug empfindet oder nicht empfindet, einen Rechtsſatz lehren zu müſſen, gegen den ihr geſundes Gefühl ſich auflehnte. Sie ſuchte ſich dadurch zu helfen, daß ſie gegen die wirkliche praktiſche Benutzung deſ- ſelben aufs angelegentlichſte warnte. 698) Während nun dieſe beiden Beiſpiele der Anſicht Raum ge- 697) Der Tadel, den Juſtinian in §. 10 I. de test. ord. (2. 10) dar- über ausſpricht, daß das ganze Recht hier auf den Kopf geſtellt worden ſei (totum jus conturbatum erat) war daher ganz treffend. 698) So Gaj. II §. 108 sed tamen … minime hoc jure uti debemus.
Er kann jedoch nicht der letzte geweſen ſein, der gegen den Rechtsſatz bloß warnte, wenn ſonſt dem Bericht von Juſtinian in §. 10 I. cit. Glauben zu ſchenken. L. 20 pr. qui test. (28. 1) von Ulpian muß daher interpolirt ſein (Glück Erläuterung der Pandekten B. 34 S. 245) was durch Ulp. XX, 3—5 faſt zur Gewißheit erhoben wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0268" n="562"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> hörte, ward er wahrhaft ſinnlos und zwar nach beiden Seiten<lb/> hin. Nach Seiten des <hi rendition="#aq">fam. emtor</hi> — denn welches Intereſſe<lb/> hatte <hi rendition="#g">er</hi> am Teſtament, das das Zeugniß jener ſeiner Verwand-<lb/> ten hätte verdächtigen können? Nach Seiten des Erben —<lb/> denn bei ihm lag umgekehrt ein ſolches Intereſſe vor. Man hatte<lb/> alſo der Form zu Liebe das wahre Verhältniß völlig verſcho-<lb/> ben, den an ſich richtigen Begriff des <hi rendition="#aq">domesticum testimo-<lb/> nium</hi> durch verkehrte Anwendung um allen Werth gebracht. <note place="foot" n="697)">Der Tadel, den Juſtinian in §. 10 <hi rendition="#aq">I. de test. ord.</hi> (2. 10) dar-<lb/> über ausſpricht, daß das ganze Recht hier auf den Kopf geſtellt worden ſei<lb/> (<hi rendition="#aq">totum jus conturbatum erat</hi>) war daher ganz treffend.</note><lb/> Nach jener Seite freilich knüpfte ſich an dieſen Mißgriff kein<lb/> irgendwie erhebliches Intereſſe, man fand Zeugen genug, um<lb/> jene Beſchränkung nicht zu fühlen; die Conceſſion, die man<lb/> hier der Form machte, war alſo durchaus harmloſer Natur.<lb/> Ganz anders jedoch in der zweiten Richtung, denn wenn irgend<lb/> Jemand, ſo mußten gerade die genannten Perſonen ausgeſchloſ-<lb/> ſen werden. Die römiſche Jurisprudenz befand ſich hier in der<lb/> Verlegenheit, die die heutige freilich auch oft genug empfindet<lb/> oder <hi rendition="#g">nicht</hi> empfindet, einen Rechtsſatz lehren zu müſſen, gegen<lb/> den ihr geſundes Gefühl ſich auflehnte. Sie ſuchte ſich dadurch<lb/> zu helfen, daß ſie gegen die wirkliche praktiſche Benutzung deſ-<lb/> ſelben aufs angelegentlichſte warnte. <note place="foot" n="698)">So <hi rendition="#aq">Gaj. II §. 108 sed tamen … minime hoc jure uti debemus.</hi><lb/> Er kann jedoch nicht der letzte geweſen ſein, der gegen den Rechtsſatz bloß<lb/> warnte, wenn ſonſt dem Bericht von Juſtinian in §. 10 <hi rendition="#aq">I. cit.</hi> Glauben zu<lb/> ſchenken. <hi rendition="#aq">L. 20 pr. qui test.</hi> (28. 1) von Ulpian muß daher interpolirt<lb/> ſein (Glück Erläuterung der Pandekten B. 34 S. 245) was durch <hi rendition="#aq">Ulp. XX,</hi><lb/> 3—5 faſt zur Gewißheit erhoben wird.</note></p><lb/> <p>Während nun dieſe beiden Beiſpiele der Anſicht Raum ge-<lb/> ben könnten, als ob die ältere Jurisprudenz bei dem Schein-<lb/> geſchäft einer ungeſunden Conſequenzenmacherei gehuldigt hätte,<lb/> werden die folgenden ſie gegen dieſen Vorwurf ſicher ſtellen und<lb/> uns die Ueberzeugung gewähren, daß ſie auch hier, wie bei der<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [562/0268]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
hörte, ward er wahrhaft ſinnlos und zwar nach beiden Seiten
hin. Nach Seiten des fam. emtor — denn welches Intereſſe
hatte er am Teſtament, das das Zeugniß jener ſeiner Verwand-
ten hätte verdächtigen können? Nach Seiten des Erben —
denn bei ihm lag umgekehrt ein ſolches Intereſſe vor. Man hatte
alſo der Form zu Liebe das wahre Verhältniß völlig verſcho-
ben, den an ſich richtigen Begriff des domesticum testimo-
nium durch verkehrte Anwendung um allen Werth gebracht. 697)
Nach jener Seite freilich knüpfte ſich an dieſen Mißgriff kein
irgendwie erhebliches Intereſſe, man fand Zeugen genug, um
jene Beſchränkung nicht zu fühlen; die Conceſſion, die man
hier der Form machte, war alſo durchaus harmloſer Natur.
Ganz anders jedoch in der zweiten Richtung, denn wenn irgend
Jemand, ſo mußten gerade die genannten Perſonen ausgeſchloſ-
ſen werden. Die römiſche Jurisprudenz befand ſich hier in der
Verlegenheit, die die heutige freilich auch oft genug empfindet
oder nicht empfindet, einen Rechtsſatz lehren zu müſſen, gegen
den ihr geſundes Gefühl ſich auflehnte. Sie ſuchte ſich dadurch
zu helfen, daß ſie gegen die wirkliche praktiſche Benutzung deſ-
ſelben aufs angelegentlichſte warnte. 698)
Während nun dieſe beiden Beiſpiele der Anſicht Raum ge-
ben könnten, als ob die ältere Jurisprudenz bei dem Schein-
geſchäft einer ungeſunden Conſequenzenmacherei gehuldigt hätte,
werden die folgenden ſie gegen dieſen Vorwurf ſicher ſtellen und
uns die Ueberzeugung gewähren, daß ſie auch hier, wie bei der
697) Der Tadel, den Juſtinian in §. 10 I. de test. ord. (2. 10) dar-
über ausſpricht, daß das ganze Recht hier auf den Kopf geſtellt worden ſei
(totum jus conturbatum erat) war daher ganz treffend.
698) So Gaj. II §. 108 sed tamen … minime hoc jure uti debemus.
Er kann jedoch nicht der letzte geweſen ſein, der gegen den Rechtsſatz bloß
warnte, wenn ſonſt dem Bericht von Juſtinian in §. 10 I. cit. Glauben zu
ſchenken. L. 20 pr. qui test. (28. 1) von Ulpian muß daher interpolirt
ſein (Glück Erläuterung der Pandekten B. 34 S. 245) was durch Ulp. XX,
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