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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
wissen, ausdehnen konnte. 690) Da nun dies Durchgangsver-
hältniß ein reines Mittel zum Zweck war, so läßt sich durchaus
nicht begreifen, aus welchem praktischen Grunde man demselben
irgend welche Dauer hätte einräumen, und warum man nicht
vielmehr z. B. die Emancipation eines Sohnes mit ihren drei-
maligen Mancipationen und Freilassungen im Lauf eines ein-
zigen Tages hätte beschaffen sollen. Allein so sehr es sich hier
auch nur um Schein-Acte und Schein-Verhältnisse handelte,
so durften doch selbst sie nicht in eine reine Form ausarten; es
lag in der römischen Weise, auch eine Comödie mit einem ge-
wissen Ernst und Anstand aufzuführen, jenen Schein-Verhält-
nissen also eine gewisse reale Existenz einzuräumen. 691)

Wie rücksichtlich der äußern Form, so mußte man auch rück-
sichtlich der innern juristischen Natur des zum Scheingeschäft
verwandten Geschäfts eine gewisse Rücksicht beobachten. So
konnte man z. B. die in jure cessio nicht auf Verhältnisse an-
wenden, bei denen eine Vindication undenkbar war. In ei-
nem
Fall allerdings wage ich nicht zu behaupten, daß diese
Gränzen inne gehalten sind, nämlich bei dem testam. per aes
et libram.
Eine Mancipation, die das gesammte Vermögen
übertragen sollte mit Schulden und Forderungen, und die es
noch dazu nicht sofort und unwiderruflich, sondern erst in der
Zukunft und unter einer (stillschweigenden) Bedingung thun
sollte, und aus der ferner dritte Personen, die Legatare, Rechte

690) S. z. B. Gaj. I, 135 ...: qui ex eo filio conceptus est, qui
in tertia mancipatione est.
Der §. 115b hätte sonst gar keinen Sinn,
ebenso §. 118 .. nec ob id filiae loco sit; ferner §. 132 .. etiamsi non-
dum manumissus sit, sed adhuc in causa mancipii,
und noch weniger die
Bemerkung: sed in usu est eidem mancipari und die Wiederholung dersel-
ben in Anwendung auf die dritte Mancipation. S. auch Gaj. II, 41.
691) Beobachtet man doch auch heutzutage bei dem unvermeidlichen
Avancement eines Prinzen vom gemeinen Soldaten zum General gewisse
Zwischenräume, ungeachtet die Mittelstufen auch hier keine ernstere Bedeu-
tung haben, als bei der Emancipation eines römischen Haussohns, und zur
Noth ebenfalls in einen Tag zusammengedrängt werden könnten.

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
wiſſen, ausdehnen konnte. 690) Da nun dies Durchgangsver-
hältniß ein reines Mittel zum Zweck war, ſo läßt ſich durchaus
nicht begreifen, aus welchem praktiſchen Grunde man demſelben
irgend welche Dauer hätte einräumen, und warum man nicht
vielmehr z. B. die Emancipation eines Sohnes mit ihren drei-
maligen Mancipationen und Freilaſſungen im Lauf eines ein-
zigen Tages hätte beſchaffen ſollen. Allein ſo ſehr es ſich hier
auch nur um Schein-Acte und Schein-Verhältniſſe handelte,
ſo durften doch ſelbſt ſie nicht in eine reine Form ausarten; es
lag in der römiſchen Weiſe, auch eine Comödie mit einem ge-
wiſſen Ernſt und Anſtand aufzuführen, jenen Schein-Verhält-
niſſen alſo eine gewiſſe reale Exiſtenz einzuräumen. 691)

Wie rückſichtlich der äußern Form, ſo mußte man auch rück-
ſichtlich der innern juriſtiſchen Natur des zum Scheingeſchäft
verwandten Geſchäfts eine gewiſſe Rückſicht beobachten. So
konnte man z. B. die in jure cessio nicht auf Verhältniſſe an-
wenden, bei denen eine Vindication undenkbar war. In ei-
nem
Fall allerdings wage ich nicht zu behaupten, daß dieſe
Gränzen inne gehalten ſind, nämlich bei dem testam. per aes
et libram.
Eine Mancipation, die das geſammte Vermögen
übertragen ſollte mit Schulden und Forderungen, und die es
noch dazu nicht ſofort und unwiderruflich, ſondern erſt in der
Zukunft und unter einer (ſtillſchweigenden) Bedingung thun
ſollte, und aus der ferner dritte Perſonen, die Legatare, Rechte

690) S. z. B. Gaj. I, 135 …: qui ex eo filio conceptus est, qui
in tertia mancipatione est.
Der §. 115b hätte ſonſt gar keinen Sinn,
ebenſo §. 118 .. nec ob id filiae loco sit; ferner §. 132 .. etiamsi non-
dum manumissus sit, sed adhuc in causa mancipii,
und noch weniger die
Bemerkung: sed in usu est eidem mancipari und die Wiederholung derſel-
ben in Anwendung auf die dritte Mancipation. S. auch Gaj. II, 41.
691) Beobachtet man doch auch heutzutage bei dem unvermeidlichen
Avancement eines Prinzen vom gemeinen Soldaten zum General gewiſſe
Zwiſchenräume, ungeachtet die Mittelſtufen auch hier keine ernſtere Bedeu-
tung haben, als bei der Emancipation eines römiſchen Hausſohns, und zur
Noth ebenfalls in einen Tag zuſammengedrängt werden könnten.
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[559/0265] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. wiſſen, ausdehnen konnte. 690) Da nun dies Durchgangsver- hältniß ein reines Mittel zum Zweck war, ſo läßt ſich durchaus nicht begreifen, aus welchem praktiſchen Grunde man demſelben irgend welche Dauer hätte einräumen, und warum man nicht vielmehr z. B. die Emancipation eines Sohnes mit ihren drei- maligen Mancipationen und Freilaſſungen im Lauf eines ein- zigen Tages hätte beſchaffen ſollen. Allein ſo ſehr es ſich hier auch nur um Schein-Acte und Schein-Verhältniſſe handelte, ſo durften doch ſelbſt ſie nicht in eine reine Form ausarten; es lag in der römiſchen Weiſe, auch eine Comödie mit einem ge- wiſſen Ernſt und Anſtand aufzuführen, jenen Schein-Verhält- niſſen alſo eine gewiſſe reale Exiſtenz einzuräumen. 691) Wie rückſichtlich der äußern Form, ſo mußte man auch rück- ſichtlich der innern juriſtiſchen Natur des zum Scheingeſchäft verwandten Geſchäfts eine gewiſſe Rückſicht beobachten. So konnte man z. B. die in jure cessio nicht auf Verhältniſſe an- wenden, bei denen eine Vindication undenkbar war. In ei- nem Fall allerdings wage ich nicht zu behaupten, daß dieſe Gränzen inne gehalten ſind, nämlich bei dem testam. per aes et libram. Eine Mancipation, die das geſammte Vermögen übertragen ſollte mit Schulden und Forderungen, und die es noch dazu nicht ſofort und unwiderruflich, ſondern erſt in der Zukunft und unter einer (ſtillſchweigenden) Bedingung thun ſollte, und aus der ferner dritte Perſonen, die Legatare, Rechte 690) S. z. B. Gaj. I, 135 …: qui ex eo filio conceptus est, qui in tertia mancipatione est. Der §. 115b hätte ſonſt gar keinen Sinn, ebenſo §. 118 .. nec ob id filiae loco sit; ferner §. 132 .. etiamsi non- dum manumissus sit, sed adhuc in causa mancipii, und noch weniger die Bemerkung: sed in usu est eidem mancipari und die Wiederholung derſel- ben in Anwendung auf die dritte Mancipation. S. auch Gaj. II, 41. 691) Beobachtet man doch auch heutzutage bei dem unvermeidlichen Avancement eines Prinzen vom gemeinen Soldaten zum General gewiſſe Zwiſchenräume, ungeachtet die Mittelſtufen auch hier keine ernſtere Bedeu- tung haben, als bei der Emancipation eines römiſchen Hausſohns, und zur Noth ebenfalls in einen Tag zuſammengedrängt werden könnten.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/265>, abgerufen am 16.07.2024.