Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Doch die Geschichte hat es uns erspart, auf diesem Um- wege die Antwort zu holen, und wenn ich der Möglichkeit des- selben überhaupt gedachte, so geschah es nur, um auch hier, wie im vorigen Paragraphen, den Formalismus des Rechts in einen höhern Zusammenhang einzureihen und als Glied einer allgemeineren Erscheinung hinzustellen.
Eigenschaften der Völker und Individuen sind in ihrem letz- ten Grunde gegebene Thatsachen, die man nicht weiter analy- siren, begründen oder erklären kann. Dies schließt aber nicht aus, daß man nicht des Einflusses gedenken dürfte, den gewisse Umstände auf die Ausbildung derselben gewonnen haben, und noch weniger, daß man nicht den Bezügen, in denen sie unter- einander stehen, nachforschen dürfte. Wenn ich daher einerseits die starke Entwicklung des Formensinns als eine hervorstechende national-römische Eigenschaft bezeichnet habe, so hält mich dies nicht ab, in der angegebenen Weise nach Anknüpfungspunkten zu suchen. Und da bieten sich denn folgende dar, die ich hier jedoch, da ich ihrer bereits an andern Stellen gedacht habe, nicht weiter ausführe, sondern nur der Uebersichtlichkeit wegen zusammenstelle: die Beziehung des Formalismus zum System der Freiheit (S. 497), zur Tendenz der abstracten Gleichheit (S. 503), zur militärischen Disciplin (B. 1 S. 255) und zu dem conservativen Charakter des Volks (B. 1 S. 308), um der Beziehung der prakti- schen Seite des Formalismus zu der praktischen Richtung des römischen Geistes (B. 1 S. 302) völlig zu geschweigen.
Indem wir nun das Gebiet des ältern Rechts betreten, dür- fen wir es thun mit der Erwartung, daß die Herrschaft der Form auf ihm ihren Culminationspunkt erreicht. Und in der That ist dies meiner Ueberzeugung nach in dem Maße der Fall gewesen, daß formlose und rechtlich-bedeutungslose Willenserklärungen synonym waren, m. a. W. ich vindicire der Form für das äl- tere Recht eine exclusive Herrschaft.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Doch die Geſchichte hat es uns erſpart, auf dieſem Um- wege die Antwort zu holen, und wenn ich der Möglichkeit deſ- ſelben überhaupt gedachte, ſo geſchah es nur, um auch hier, wie im vorigen Paragraphen, den Formalismus des Rechts in einen höhern Zuſammenhang einzureihen und als Glied einer allgemeineren Erſcheinung hinzuſtellen.
Eigenſchaften der Völker und Individuen ſind in ihrem letz- ten Grunde gegebene Thatſachen, die man nicht weiter analy- ſiren, begründen oder erklären kann. Dies ſchließt aber nicht aus, daß man nicht des Einfluſſes gedenken dürfte, den gewiſſe Umſtände auf die Ausbildung derſelben gewonnen haben, und noch weniger, daß man nicht den Bezügen, in denen ſie unter- einander ſtehen, nachforſchen dürfte. Wenn ich daher einerſeits die ſtarke Entwicklung des Formenſinns als eine hervorſtechende national-römiſche Eigenſchaft bezeichnet habe, ſo hält mich dies nicht ab, in der angegebenen Weiſe nach Anknüpfungspunkten zu ſuchen. Und da bieten ſich denn folgende dar, die ich hier jedoch, da ich ihrer bereits an andern Stellen gedacht habe, nicht weiter ausführe, ſondern nur der Ueberſichtlichkeit wegen zuſammenſtelle: die Beziehung des Formalismus zum Syſtem der Freiheit (S. 497), zur Tendenz der abſtracten Gleichheit (S. 503), zur militäriſchen Disciplin (B. 1 S. 255) und zu dem conſervativen Charakter des Volks (B. 1 S. 308), um der Beziehung der prakti- ſchen Seite des Formalismus zu der praktiſchen Richtung des römiſchen Geiſtes (B. 1 S. 302) völlig zu geſchweigen.
Indem wir nun das Gebiet des ältern Rechts betreten, dür- fen wir es thun mit der Erwartung, daß die Herrſchaft der Form auf ihm ihren Culminationspunkt erreicht. Und in der That iſt dies meiner Ueberzeugung nach in dem Maße der Fall geweſen, daß formloſe und rechtlich-bedeutungsloſe Willenserklärungen ſynonym waren, m. a. W. ich vindicire der Form für das äl- tere Recht eine excluſive Herrſchaft.
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Doch die Geſchichte hat es uns erſpart, auf dieſem Um-
wege die Antwort zu holen, und wenn ich der Möglichkeit deſ-
ſelben überhaupt gedachte, ſo geſchah es nur, um auch hier,
wie im vorigen Paragraphen, den Formalismus des Rechts
in einen höhern Zuſammenhang einzureihen und als Glied
einer allgemeineren Erſcheinung hinzuſtellen.
Eigenſchaften der Völker und Individuen ſind in ihrem letz-
ten Grunde gegebene Thatſachen, die man nicht weiter analy-
ſiren, begründen oder erklären kann. Dies ſchließt aber nicht
aus, daß man nicht des Einfluſſes gedenken dürfte, den gewiſſe
Umſtände auf die Ausbildung derſelben gewonnen haben, und
noch weniger, daß man nicht den Bezügen, in denen ſie unter-
einander ſtehen, nachforſchen dürfte. Wenn ich daher einerſeits
die ſtarke Entwicklung des Formenſinns als eine hervorſtechende
national-römiſche Eigenſchaft bezeichnet habe, ſo hält mich dies
nicht ab, in der angegebenen Weiſe nach Anknüpfungspunkten
zu ſuchen. Und da bieten ſich denn folgende dar, die ich hier
jedoch, da ich ihrer bereits an andern Stellen gedacht habe,
nicht weiter ausführe, ſondern nur der Ueberſichtlichkeit wegen
zuſammenſtelle: die Beziehung des Formalismus zum Syſtem
der Freiheit (S. 497), zur Tendenz der abſtracten
Gleichheit (S. 503), zur militäriſchen Disciplin
(B. 1 S. 255) und zu dem conſervativen Charakter
des Volks (B. 1 S. 308), um der Beziehung der prakti-
ſchen Seite des Formalismus zu der praktiſchen Richtung
des römiſchen Geiſtes (B. 1 S. 302) völlig zu geſchweigen.
Indem wir nun das Gebiet des ältern Rechts betreten, dür-
fen wir es thun mit der Erwartung, daß die Herrſchaft der Form
auf ihm ihren Culminationspunkt erreicht. Und in der That iſt
dies meiner Ueberzeugung nach in dem Maße der Fall geweſen,
daß formloſe und rechtlich-bedeutungsloſe Willenserklärungen
ſynonym waren, m. a. W. ich vindicire der Form für das äl-
tere Recht eine excluſive Herrſchaft.
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/252>, abgerufen am 24.11.2024.
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