Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. eine allmählige Verdrängung der Formensprache nach sich gezo-gen haben, auf der Höhe der Cultur müßten alle Reste der nai- ven Periode abgethan sein, und die Form, insoweit nicht, wie im Recht, ein praktisches Motiv ihr das Dasein fristete, dem nackten, dürren, abstracten Gedanken Platz gemacht haben. Allein dies ist keineswegs der Fall, so wenig ich im übrigen läugnen will, daß die Veränderung der geistigen Atmosphäre einen bemerklichen Einfluß in dieser Beziehung ausübt. Also: der Formalismus ist nicht bloß ein Nothbehelf des Die Anziehungskraft, die die Form auf den menschlichen Diese Mannigfaltigkeit der Anknüpfungspunkte, die die Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. eine allmählige Verdrängung der Formenſprache nach ſich gezo-gen haben, auf der Höhe der Cultur müßten alle Reſte der nai- ven Periode abgethan ſein, und die Form, inſoweit nicht, wie im Recht, ein praktiſches Motiv ihr das Daſein friſtete, dem nackten, dürren, abſtracten Gedanken Platz gemacht haben. Allein dies iſt keineswegs der Fall, ſo wenig ich im übrigen läugnen will, daß die Veränderung der geiſtigen Atmoſphäre einen bemerklichen Einfluß in dieſer Beziehung ausübt. Alſo: der Formalismus iſt nicht bloß ein Nothbehelf des Die Anziehungskraft, die die Form auf den menſchlichen Dieſe Mannigfaltigkeit der Anknüpfungspunkte, die die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0242" n="536"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> eine allmählige Verdrängung der Formenſprache nach ſich gezo-<lb/> gen haben, auf der Höhe der Cultur müßten alle Reſte der nai-<lb/> ven Periode abgethan ſein, und die Form, inſoweit nicht, wie<lb/> im Recht, ein praktiſches Motiv ihr das Daſein friſtete, dem<lb/> nackten, dürren, abſtracten Gedanken Platz gemacht haben.<lb/> Allein dies iſt keineswegs der Fall, ſo wenig ich im übrigen<lb/> läugnen will, daß die Veränderung der geiſtigen Atmoſphäre<lb/> einen bemerklichen Einfluß in dieſer Beziehung ausübt.</p><lb/> <p>Alſo: der Formalismus iſt nicht bloß ein Nothbehelf des<lb/> nach dem Ausdruck ringenden Geiſtes, er hat nicht bloß ſeinen<lb/> Grund in der urſprünglichen Unvollkommenheit der Sprache.<lb/> Zu dieſem <hi rendition="#g">erſten</hi> Motiv ſeines hiſtoriſchen Auftretens, das ſich<lb/> mit der Kindheitszeit der Völker erſchöpft, geſellt ſich vielmehr<lb/> noch ein <hi rendition="#g">zweites</hi>, das dieſelbe weit überdauert. Es iſt das<lb/> ſo eben angegebene: das Wohlgefallen an der Aeußerlichkeit,<lb/> die Freude am Sinnlichen — jene Eigenſchaft, deren ich bereits<lb/> oben S. 531 unter dem Namen des <hi rendition="#g">Formenſinns</hi> gedacht<lb/> habe.</p><lb/> <p>Die Anziehungskraft, die die Form auf den menſchlichen<lb/> Geiſt ausübt, iſt mannigfaltiger Art. Feſſelt ſie den poetiſchen<lb/> Sinn von der rein <hi rendition="#g">äſthetiſchen</hi> Seite durch das plaſtiſche<lb/> und dramatiſche Element, durch das ſie die Vorgänge des<lb/> Lebens zu verſchönern weiß, ſo den nüchternen, verſtändigen<lb/> Sinn von der <hi rendition="#g">praktiſchen</hi> Seite durch die Ordnung, Regel-<lb/> mäßigkeit, Gleichmäßigkeit, Sauberkeit des menſchlichen Seins<lb/> und Thuns, und das Gemüth endlich bei allen Vorgängen, bei<lb/> denen daſſelbe betheiligt iſt, von der <hi rendition="#g">ethiſchen</hi> Seite, indem ſie<lb/> daſſelbe mit dem Gefühl des Ernſtes und der Feierlichkeit durch-<lb/> dringt, indem ſie den Handelnden über ſich ſelbſt und das rein<lb/> Individuelle und Vorübergehende ſeiner eignen Situation auf<lb/> die Höhe der allgemein menſchlichen, typiſchen Bedeutung des<lb/> Akts erhebt, ihn mit denen, die vor ihm da waren und nach<lb/> ihm ſein werden, in eine unſichtbare Gemeinſchaft bringt.</p><lb/> <p>Dieſe Mannigfaltigkeit der Anknüpfungspunkte, die die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [536/0242]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
eine allmählige Verdrängung der Formenſprache nach ſich gezo-
gen haben, auf der Höhe der Cultur müßten alle Reſte der nai-
ven Periode abgethan ſein, und die Form, inſoweit nicht, wie
im Recht, ein praktiſches Motiv ihr das Daſein friſtete, dem
nackten, dürren, abſtracten Gedanken Platz gemacht haben.
Allein dies iſt keineswegs der Fall, ſo wenig ich im übrigen
läugnen will, daß die Veränderung der geiſtigen Atmoſphäre
einen bemerklichen Einfluß in dieſer Beziehung ausübt.
Alſo: der Formalismus iſt nicht bloß ein Nothbehelf des
nach dem Ausdruck ringenden Geiſtes, er hat nicht bloß ſeinen
Grund in der urſprünglichen Unvollkommenheit der Sprache.
Zu dieſem erſten Motiv ſeines hiſtoriſchen Auftretens, das ſich
mit der Kindheitszeit der Völker erſchöpft, geſellt ſich vielmehr
noch ein zweites, das dieſelbe weit überdauert. Es iſt das
ſo eben angegebene: das Wohlgefallen an der Aeußerlichkeit,
die Freude am Sinnlichen — jene Eigenſchaft, deren ich bereits
oben S. 531 unter dem Namen des Formenſinns gedacht
habe.
Die Anziehungskraft, die die Form auf den menſchlichen
Geiſt ausübt, iſt mannigfaltiger Art. Feſſelt ſie den poetiſchen
Sinn von der rein äſthetiſchen Seite durch das plaſtiſche
und dramatiſche Element, durch das ſie die Vorgänge des
Lebens zu verſchönern weiß, ſo den nüchternen, verſtändigen
Sinn von der praktiſchen Seite durch die Ordnung, Regel-
mäßigkeit, Gleichmäßigkeit, Sauberkeit des menſchlichen Seins
und Thuns, und das Gemüth endlich bei allen Vorgängen, bei
denen daſſelbe betheiligt iſt, von der ethiſchen Seite, indem ſie
daſſelbe mit dem Gefühl des Ernſtes und der Feierlichkeit durch-
dringt, indem ſie den Handelnden über ſich ſelbſt und das rein
Individuelle und Vorübergehende ſeiner eignen Situation auf
die Höhe der allgemein menſchlichen, typiſchen Bedeutung des
Akts erhebt, ihn mit denen, die vor ihm da waren und nach
ihm ſein werden, in eine unſichtbare Gemeinſchaft bringt.
Dieſe Mannigfaltigkeit der Anknüpfungspunkte, die die
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