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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Die höchste Steigerung der schriftlichen Form besteht in der
amtlichen Aufzeichnung (Eintragung in die Flur-, Lager-,
Hypothekenbücher, Handelsregister, Aufnahme zu Protokoll),
die des Zeugnisses in dem amtlichen Zeugniß (testam. in
comitiis calatis, judici oblatum, in jure cessio,
Insinuation).

Die allgemeinen Vortheile der Form beschränken sich auf die
Personen, welche in unmittelbare Berührung mit dem Rechts-
geschäft treten, die Partheien und den Richter, die besondern
erstrecken ihre Wirkungen unendlich viel weiter. Hervorhebung
verdient in dieser Beziehung namentlich die Eigenschaft der
Oeffentlichkeit der Form, vermöge welcher das Rechts-
geschäft zur allgemeinen Kunde gelangt. Durch sie erhielten
z. B. die Gläubiger eines Schuldners, der sich arrogiren lassen
wollte, Gelegenheit rechtzeitig ihre Ansprüche geltend zu machen,
und erst als die Arrogationen nicht mehr vor der Volksversamm-
lung vorgenommen wurden, und damit dieses in der Form gele-
gene Sicherungsmittel hinweggefallen war, bedurfte es für die
Gläubiger eines eignen selbständigen Schutzmittels, der resti-
tutio propter capitis deminutionem.
Einen ähnlichen Dienst
leistete die alte Form der Testamentserrichtung vor versammelter
Gemeinde (testamentum in comitiis calatis) den Verwandten
des Testators. 668) Auch wer die von mir früher (B. 1 S. 138 fl.)
aufgestellte Hypothese nicht theilt, daß das Volk über die Testa-
mente wie über Gesetze abgestimmt und mithin das Recht gehabt
habe, unbillige, lieblose Testamente (inofficiosa) zu verwerfen,
wird mir wenigstens darin beistimmen, daß die Publication des
letzten Willens vor dem gesammten Volk factisch eine gewisse
Garantie gegen einen schnöden Mißbrauch der Testirfreiheit ge-
währte. Denn sie setzte ihren Urheber noch bei seinen Lebzeiten

668) Aus heutiger Zeit nenne ich das öffentliche Aufgebot bei der Ein-
gehung der Ehe. -- Wie auch fiscalische, polizeiliche, statistische u. s. w. kurz
staatliche Zwecke durch die Form verfolgt werden können, will ich hier über-
gehen.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Die höchſte Steigerung der ſchriftlichen Form beſteht in der
amtlichen Aufzeichnung (Eintragung in die Flur-, Lager-,
Hypothekenbücher, Handelsregiſter, Aufnahme zu Protokoll),
die des Zeugniſſes in dem amtlichen Zeugniß (testam. in
comitiis calatis, judici oblatum, in jure cessio,
Inſinuation).

Die allgemeinen Vortheile der Form beſchränken ſich auf die
Perſonen, welche in unmittelbare Berührung mit dem Rechts-
geſchäft treten, die Partheien und den Richter, die beſondern
erſtrecken ihre Wirkungen unendlich viel weiter. Hervorhebung
verdient in dieſer Beziehung namentlich die Eigenſchaft der
Oeffentlichkeit der Form, vermöge welcher das Rechts-
geſchäft zur allgemeinen Kunde gelangt. Durch ſie erhielten
z. B. die Gläubiger eines Schuldners, der ſich arrogiren laſſen
wollte, Gelegenheit rechtzeitig ihre Anſprüche geltend zu machen,
und erſt als die Arrogationen nicht mehr vor der Volksverſamm-
lung vorgenommen wurden, und damit dieſes in der Form gele-
gene Sicherungsmittel hinweggefallen war, bedurfte es für die
Gläubiger eines eignen ſelbſtändigen Schutzmittels, der resti-
tutio propter capitis deminutionem.
Einen ähnlichen Dienſt
leiſtete die alte Form der Teſtamentserrichtung vor verſammelter
Gemeinde (testamentum in comitiis calatis) den Verwandten
des Teſtators. 668) Auch wer die von mir früher (B. 1 S. 138 fl.)
aufgeſtellte Hypotheſe nicht theilt, daß das Volk über die Teſta-
mente wie über Geſetze abgeſtimmt und mithin das Recht gehabt
habe, unbillige, liebloſe Teſtamente (inofficiosa) zu verwerfen,
wird mir wenigſtens darin beiſtimmen, daß die Publication des
letzten Willens vor dem geſammten Volk factiſch eine gewiſſe
Garantie gegen einen ſchnöden Mißbrauch der Teſtirfreiheit ge-
währte. Denn ſie ſetzte ihren Urheber noch bei ſeinen Lebzeiten

668) Aus heutiger Zeit nenne ich das öffentliche Aufgebot bei der Ein-
gehung der Ehe. — Wie auch fiscaliſche, polizeiliche, ſtatiſtiſche u. ſ. w. kurz
ſtaatliche Zwecke durch die Form verfolgt werden können, will ich hier über-
gehen.
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[526/0232] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Die höchſte Steigerung der ſchriftlichen Form beſteht in der amtlichen Aufzeichnung (Eintragung in die Flur-, Lager-, Hypothekenbücher, Handelsregiſter, Aufnahme zu Protokoll), die des Zeugniſſes in dem amtlichen Zeugniß (testam. in comitiis calatis, judici oblatum, in jure cessio, Inſinuation). Die allgemeinen Vortheile der Form beſchränken ſich auf die Perſonen, welche in unmittelbare Berührung mit dem Rechts- geſchäft treten, die Partheien und den Richter, die beſondern erſtrecken ihre Wirkungen unendlich viel weiter. Hervorhebung verdient in dieſer Beziehung namentlich die Eigenſchaft der Oeffentlichkeit der Form, vermöge welcher das Rechts- geſchäft zur allgemeinen Kunde gelangt. Durch ſie erhielten z. B. die Gläubiger eines Schuldners, der ſich arrogiren laſſen wollte, Gelegenheit rechtzeitig ihre Anſprüche geltend zu machen, und erſt als die Arrogationen nicht mehr vor der Volksverſamm- lung vorgenommen wurden, und damit dieſes in der Form gele- gene Sicherungsmittel hinweggefallen war, bedurfte es für die Gläubiger eines eignen ſelbſtändigen Schutzmittels, der resti- tutio propter capitis deminutionem. Einen ähnlichen Dienſt leiſtete die alte Form der Teſtamentserrichtung vor verſammelter Gemeinde (testamentum in comitiis calatis) den Verwandten des Teſtators. 668) Auch wer die von mir früher (B. 1 S. 138 fl.) aufgeſtellte Hypotheſe nicht theilt, daß das Volk über die Teſta- mente wie über Geſetze abgeſtimmt und mithin das Recht gehabt habe, unbillige, liebloſe Teſtamente (inofficiosa) zu verwerfen, wird mir wenigſtens darin beiſtimmen, daß die Publication des letzten Willens vor dem geſammten Volk factiſch eine gewiſſe Garantie gegen einen ſchnöden Mißbrauch der Teſtirfreiheit ge- währte. Denn ſie ſetzte ihren Urheber noch bei ſeinen Lebzeiten 668) Aus heutiger Zeit nenne ich das öffentliche Aufgebot bei der Ein- gehung der Ehe. — Wie auch fiscaliſche, polizeiliche, ſtatiſtiſche u. ſ. w. kurz ſtaatliche Zwecke durch die Form verfolgt werden können, will ich hier über- gehen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/232>, abgerufen am 25.11.2024.