Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Sprüchwort: Ein Mann, Ein Wort -- einem Sprüch-wort, mit dem sich in dem Sinn, den es hat, jedes gesittete Volk der Erde einverstanden erklären wird -- ein Rechts princip zu finden,664) und die principielle Formlosigkeit des deutschen Rechts stand fest. Von diesem festen Punkt aus fand sich dann leicht die Anknüpfung an den specifisch germanischen Zug zur Sittlichkeit und als Gegensatz die Anknüpfung des Formalis- mus an die angebliche moralische Indifferenz des römischen Rechts, um schließlich die Frage: ob Form oder nicht Form zur Competenz der Ethik zu verweisen und mit billigem Pathos von diesem Standpunkt aus eine Anklageschrift gegen den For- malismus zu entwerfen. Welche Mißachtung des sittlichen Ge- fühls von Seiten des Rechts, das gegebene Wort wegen des geringsten Formfehlers für unverbindlich zu erklären, den schreiend- diese Behauptung zu beweisen, hatte mich nicht überzeugt. Je weniger ich aber in der Lage war, mir über diese Frage eine selbständige Ansicht zu bilden und zu begründen, mit um so größerer Freude habe ich die Lösung aufgenom- men, die dieselbe in einer demnächst erscheinenden an neuen Ergebnissen höchst reichen Schrift eines Germanisten von Fach gefunden hat, nämlich in dem mir bereits in einzelnen Druckbogen mitgetheilten Werk von H. Siegel B. 1 S. 40 über das deutsche Gerichtsverfahren. Derselbe unterscheidet zwischen läugenbaren und unläugenbaren Schulden. Der Anspruch aus einem form- losen Vertrag konnte durch den bloßen Eid des Beklagten beseitigt werden, zur vollen Wirkung des Vertrages d. h. damit die Schuld eine läugen- bare sei, verlangt auch das germanische Recht eine Form. Der Gegensatz erinnert an den des Legats und des fideicommissum heredi praesenti in- junctum. 664) C. A. Schmidt Der princip. Unterschied zwischen dem röm. und
germ. Recht S. 250: "Das germanische Vertragsrecht ist ganz einfach auf die Vorschrift des Sittengesetzes gegründet, daß Verträge gehalten werden müssen u. s. w. Anders dachte der alte Möser (S. Anm. 666) darüber, und sein Urtheil wiegt um so schwerer, als er weder ein Ideolog oder ein romani- sirender Theoretiker, sondern eine durch und durch praktische und kernhaft deutsche Natur war. "Der Narr, sagt er in nicht sehr höflicher Weise, der zuerst das Sprichwort: ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort so ausgelegt hat, daß ein ehrlicher Mann sein erstes Wort nicht widerrufen könne, hat mehr Unglück angestiftet, als man glauben sollte." Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Sprüchwort: Ein Mann, Ein Wort — einem Sprüch-wort, mit dem ſich in dem Sinn, den es hat, jedes geſittete Volk der Erde einverſtanden erklären wird — ein Rechts princip zu finden,664) und die principielle Formloſigkeit des deutſchen Rechts ſtand feſt. Von dieſem feſten Punkt aus fand ſich dann leicht die Anknüpfung an den ſpecifiſch germaniſchen Zug zur Sittlichkeit und als Gegenſatz die Anknüpfung des Formalis- mus an die angebliche moraliſche Indifferenz des römiſchen Rechts, um ſchließlich die Frage: ob Form oder nicht Form zur Competenz der Ethik zu verweiſen und mit billigem Pathos von dieſem Standpunkt aus eine Anklageſchrift gegen den For- malismus zu entwerfen. Welche Mißachtung des ſittlichen Ge- fühls von Seiten des Rechts, das gegebene Wort wegen des geringſten Formfehlers für unverbindlich zu erklären, den ſchreiend- dieſe Behauptung zu beweiſen, hatte mich nicht überzeugt. Je weniger ich aber in der Lage war, mir über dieſe Frage eine ſelbſtändige Anſicht zu bilden und zu begründen, mit um ſo größerer Freude habe ich die Löſung aufgenom- men, die dieſelbe in einer demnächſt erſcheinenden an neuen Ergebniſſen höchſt reichen Schrift eines Germaniſten von Fach gefunden hat, nämlich in dem mir bereits in einzelnen Druckbogen mitgetheilten Werk von H. Siegel B. 1 S. 40 über das deutſche Gerichtsverfahren. Derſelbe unterſcheidet zwiſchen läugenbaren und unläugenbaren Schulden. Der Anſpruch aus einem form- loſen Vertrag konnte durch den bloßen Eid des Beklagten beſeitigt werden, zur vollen Wirkung des Vertrages d. h. damit die Schuld eine läugen- bare ſei, verlangt auch das germaniſche Recht eine Form. Der Gegenſatz erinnert an den des Legats und des fideicommissum heredi praesenti in- junctum. 664) C. A. Schmidt Der princip. Unterſchied zwiſchen dem röm. und
germ. Recht S. 250: „Das germaniſche Vertragsrecht iſt ganz einfach auf die Vorſchrift des Sittengeſetzes gegründet, daß Verträge gehalten werden müſſen u. ſ. w. Anders dachte der alte Möſer (S. Anm. 666) darüber, und ſein Urtheil wiegt um ſo ſchwerer, als er weder ein Ideolog oder ein romani- ſirender Theoretiker, ſondern eine durch und durch praktiſche und kernhaft deutſche Natur war. „Der Narr, ſagt er in nicht ſehr höflicher Weiſe, der zuerſt das Sprichwort: ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort ſo ausgelegt hat, daß ein ehrlicher Mann ſein erſtes Wort nicht widerrufen könne, hat mehr Unglück angeſtiftet, als man glauben ſollte.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0222" n="516"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> Sprüchwort: <hi rendition="#g">Ein Mann, Ein Wort</hi> — einem Sprüch-<lb/> wort, mit dem ſich in dem Sinn, den es hat, jedes geſittete<lb/> Volk der Erde einverſtanden erklären wird — ein <hi rendition="#g">Rechts</hi> princip<lb/> zu finden,<note place="foot" n="664)">C. A. Schmidt Der princip. Unterſchied zwiſchen dem röm. und<lb/> germ. Recht S. 250: „Das germaniſche Vertragsrecht iſt ganz einfach auf<lb/> die Vorſchrift des Sittengeſetzes gegründet, daß Verträge gehalten werden<lb/> müſſen u. ſ. w. Anders dachte der alte Möſer (S. Anm. 666) darüber, und<lb/> ſein Urtheil wiegt um ſo ſchwerer, als er weder ein Ideolog oder ein romani-<lb/> ſirender Theoretiker, ſondern eine durch und durch praktiſche und kernhaft<lb/> deutſche Natur war. „Der <hi rendition="#g">Narr</hi>, ſagt er in nicht ſehr höflicher Weiſe,<lb/> der zuerſt das Sprichwort: ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort ſo<lb/> ausgelegt hat, daß ein ehrlicher Mann ſein erſtes Wort nicht widerrufen<lb/> könne, hat mehr Unglück angeſtiftet, als man glauben ſollte.“</note> und die principielle Formloſigkeit des deutſchen<lb/> Rechts ſtand feſt. Von dieſem feſten Punkt aus fand ſich dann<lb/> leicht die Anknüpfung an den ſpecifiſch germaniſchen Zug zur<lb/> Sittlichkeit und als Gegenſatz die Anknüpfung des Formalis-<lb/> mus an die angebliche moraliſche Indifferenz des römiſchen<lb/> Rechts, um ſchließlich die Frage: ob Form oder nicht Form<lb/> zur Competenz der Ethik zu verweiſen und mit billigem Pathos<lb/> von dieſem Standpunkt aus eine Anklageſchrift gegen den For-<lb/> malismus zu entwerfen. Welche Mißachtung des ſittlichen Ge-<lb/> fühls von Seiten des Rechts, das gegebene Wort wegen des<lb/> geringſten Formfehlers für unverbindlich zu erklären, den ſchreiend-<lb/><note xml:id="seg2pn_22_2" prev="#seg2pn_22_1" place="foot" n="663)">dieſe Behauptung zu beweiſen, hatte mich nicht überzeugt. Je weniger ich<lb/> aber in der Lage war, mir über dieſe Frage eine ſelbſtändige Anſicht zu bilden<lb/> und zu begründen, mit um ſo größerer Freude habe ich die Löſung aufgenom-<lb/> men, die dieſelbe in einer demnächſt erſcheinenden an neuen Ergebniſſen höchſt<lb/> reichen Schrift eines Germaniſten von Fach gefunden hat, nämlich in dem<lb/> mir bereits in einzelnen Druckbogen mitgetheilten Werk von H. Siegel B. 1<lb/> S. 40 über das deutſche Gerichtsverfahren. Derſelbe unterſcheidet zwiſchen<lb/> läugenbaren und unläugenbaren Schulden. Der Anſpruch aus einem form-<lb/> loſen Vertrag konnte durch den bloßen Eid des Beklagten beſeitigt werden,<lb/> zur <hi rendition="#g">vollen Wirkung</hi> des Vertrages d. h. damit die Schuld eine läugen-<lb/> bare ſei, verlangt auch das germaniſche Recht eine Form. Der Gegenſatz<lb/> erinnert an den des Legats und des <hi rendition="#aq">fideicommissum heredi praesenti in-<lb/> junctum.</hi></note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [516/0222]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Sprüchwort: Ein Mann, Ein Wort — einem Sprüch-
wort, mit dem ſich in dem Sinn, den es hat, jedes geſittete
Volk der Erde einverſtanden erklären wird — ein Rechts princip
zu finden, 664) und die principielle Formloſigkeit des deutſchen
Rechts ſtand feſt. Von dieſem feſten Punkt aus fand ſich dann
leicht die Anknüpfung an den ſpecifiſch germaniſchen Zug zur
Sittlichkeit und als Gegenſatz die Anknüpfung des Formalis-
mus an die angebliche moraliſche Indifferenz des römiſchen
Rechts, um ſchließlich die Frage: ob Form oder nicht Form
zur Competenz der Ethik zu verweiſen und mit billigem Pathos
von dieſem Standpunkt aus eine Anklageſchrift gegen den For-
malismus zu entwerfen. Welche Mißachtung des ſittlichen Ge-
fühls von Seiten des Rechts, das gegebene Wort wegen des
geringſten Formfehlers für unverbindlich zu erklären, den ſchreiend-
663)
664) C. A. Schmidt Der princip. Unterſchied zwiſchen dem röm. und
germ. Recht S. 250: „Das germaniſche Vertragsrecht iſt ganz einfach auf
die Vorſchrift des Sittengeſetzes gegründet, daß Verträge gehalten werden
müſſen u. ſ. w. Anders dachte der alte Möſer (S. Anm. 666) darüber, und
ſein Urtheil wiegt um ſo ſchwerer, als er weder ein Ideolog oder ein romani-
ſirender Theoretiker, ſondern eine durch und durch praktiſche und kernhaft
deutſche Natur war. „Der Narr, ſagt er in nicht ſehr höflicher Weiſe,
der zuerſt das Sprichwort: ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort ſo
ausgelegt hat, daß ein ehrlicher Mann ſein erſtes Wort nicht widerrufen
könne, hat mehr Unglück angeſtiftet, als man glauben ſollte.“
663) dieſe Behauptung zu beweiſen, hatte mich nicht überzeugt. Je weniger ich
aber in der Lage war, mir über dieſe Frage eine ſelbſtändige Anſicht zu bilden
und zu begründen, mit um ſo größerer Freude habe ich die Löſung aufgenom-
men, die dieſelbe in einer demnächſt erſcheinenden an neuen Ergebniſſen höchſt
reichen Schrift eines Germaniſten von Fach gefunden hat, nämlich in dem
mir bereits in einzelnen Druckbogen mitgetheilten Werk von H. Siegel B. 1
S. 40 über das deutſche Gerichtsverfahren. Derſelbe unterſcheidet zwiſchen
läugenbaren und unläugenbaren Schulden. Der Anſpruch aus einem form-
loſen Vertrag konnte durch den bloßen Eid des Beklagten beſeitigt werden,
zur vollen Wirkung des Vertrages d. h. damit die Schuld eine läugen-
bare ſei, verlangt auch das germaniſche Recht eine Form. Der Gegenſatz
erinnert an den des Legats und des fideicommissum heredi praesenti in-
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