Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. druck patronus auch auf die Kinder des Patrons aus. 630) DieWorte der Zwölf Tafeln, auf die sich die act. aquae pluviae ar- cendae stützte, lauteten: si aqua pluvia nocet. Wollte man wört- lich interpretiren, so mußte man die Klage auf den Fall beschränken, wenn ein Schaden bereits geschehen, allein die Jurisprudenz faßte das nocet auf im Sinne von: Schaden droht. 631) Bei der Intestat- erbfolge rief das Gesetz den suus und agnatus proximus. Wollte man hier die masculinische Form urgiren, so war das weibliche Geschlecht von der Intestaterbfolge ausgeschlossen. Und selbst das Erbrecht der männlichen sui hätte man wegdisputiren kön- nen, da das Gesetz es ihnen nicht ausdrücklich ertheilt, sondern es nur stillschweigend vorausgesetzt hatte. Ja, wer die Worte: si intestato moritur streng wörtlich nehmen wollte, mußte so- gar zu dem Resultate gelangen, daß die Intestaterbfolge in dem Fall ausgeschlossen sei, wenn der Erblasser mit Hinterlassung eines Testaments gestorben, einerlei ob die eingesetzten Erben angetreten oder ausgeschlagen hatten. Ueber das testamenta- rische Erbrecht enthalten die Zwölf Tafeln nur den einen bekannten Satz: uti legassit super pecunia tutelave suae rei ita jus esto. Wohin würde es geführt haben, wenn man diesen Satz in dem Umfange hätte gelten lassen, wie er lautete! Von einem Ein- fluß der capitis deminutio des Testators, von dem Requisit der Erbfähigkeit der Erben u. s. w. hätte dann gar keine Rede sein können. Diese und andere Beschränkungen wurden also gegen den Wortlaut von der Jurisprudenz in das Gesetz hineinge- tragen. 632) Doch genug! Die angeführten Beispiele lehren zur Ge- 630) Vat. fragm. §. 308: in XII patroni appellatione etiam liberi patroni continentur. 631) L. 21 pr. de statul. (40. 7) .. sic et verba legis XII tabul. veteres interpretati sunt: si aqua pluvia nocet i. e. nocere poterit. 632) L. 120 de V. S. (50. 16) ... sed id coangustatum est
vel legum vel auctoritate jura constituentium. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. druck patronus auch auf die Kinder des Patrons aus. 630) DieWorte der Zwölf Tafeln, auf die ſich die act. aquae pluviae ar- cendae ſtützte, lauteten: si aqua pluvia nocet. Wollte man wört- lich interpretiren, ſo mußte man die Klage auf den Fall beſchränken, wenn ein Schaden bereits geſchehen, allein die Jurisprudenz faßte das nocet auf im Sinne von: Schaden droht. 631) Bei der Inteſtat- erbfolge rief das Geſetz den suus und agnatus proximus. Wollte man hier die masculiniſche Form urgiren, ſo war das weibliche Geſchlecht von der Inteſtaterbfolge ausgeſchloſſen. Und ſelbſt das Erbrecht der männlichen sui hätte man wegdisputiren kön- nen, da das Geſetz es ihnen nicht ausdrücklich ertheilt, ſondern es nur ſtillſchweigend vorausgeſetzt hatte. Ja, wer die Worte: si intestato moritur ſtreng wörtlich nehmen wollte, mußte ſo- gar zu dem Reſultate gelangen, daß die Inteſtaterbfolge in dem Fall ausgeſchloſſen ſei, wenn der Erblaſſer mit Hinterlaſſung eines Teſtaments geſtorben, einerlei ob die eingeſetzten Erben angetreten oder ausgeſchlagen hatten. Ueber das teſtamenta- riſche Erbrecht enthalten die Zwölf Tafeln nur den einen bekannten Satz: uti legassit super pecunia tutelave suae rei ita jus esto. Wohin würde es geführt haben, wenn man dieſen Satz in dem Umfange hätte gelten laſſen, wie er lautete! Von einem Ein- fluß der capitis deminutio des Teſtators, von dem Requiſit der Erbfähigkeit der Erben u. ſ. w. hätte dann gar keine Rede ſein können. Dieſe und andere Beſchränkungen wurden alſo gegen den Wortlaut von der Jurisprudenz in das Geſetz hineinge- tragen. 632) Doch genug! Die angeführten Beiſpiele lehren zur Ge- 630) Vat. fragm. §. 308: in XII patroni appellatione etiam liberi patroni continentur. 631) L. 21 pr. de statul. (40. 7) .. sic et verba legis XII tabul. veteres interpretati sunt: si aqua pluvia nocet i. e. nocere poterit. 632) L. 120 de V. S. (50. 16) … sed id coangustatum est
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
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Worte der Zwölf Tafeln, auf die ſich die act. aquae pluviae ar-
cendae ſtützte, lauteten: si aqua pluvia nocet. Wollte man wört-
lich interpretiren, ſo mußte man die Klage auf den Fall beſchränken,
wenn ein Schaden bereits geſchehen, allein die Jurisprudenz faßte
das nocet auf im Sinne von: Schaden droht. 631) Bei der Inteſtat-
erbfolge rief das Geſetz den suus und agnatus proximus. Wollte
man hier die masculiniſche Form urgiren, ſo war das weibliche
Geſchlecht von der Inteſtaterbfolge ausgeſchloſſen. Und ſelbſt
das Erbrecht der männlichen sui hätte man wegdisputiren kön-
nen, da das Geſetz es ihnen nicht ausdrücklich ertheilt, ſondern
es nur ſtillſchweigend vorausgeſetzt hatte. Ja, wer die Worte:
si intestato moritur ſtreng wörtlich nehmen wollte, mußte ſo-
gar zu dem Reſultate gelangen, daß die Inteſtaterbfolge in dem
Fall ausgeſchloſſen ſei, wenn der Erblaſſer mit Hinterlaſſung
eines Teſtaments geſtorben, einerlei ob die eingeſetzten Erben
angetreten oder ausgeſchlagen hatten. Ueber das teſtamenta-
riſche Erbrecht enthalten die Zwölf Tafeln nur den einen bekannten
Satz: uti legassit super pecunia tutelave suae rei ita jus esto.
Wohin würde es geführt haben, wenn man dieſen Satz in dem
Umfange hätte gelten laſſen, wie er lautete! Von einem Ein-
fluß der capitis deminutio des Teſtators, von dem Requiſit der
Erbfähigkeit der Erben u. ſ. w. hätte dann gar keine Rede ſein
können. Dieſe und andere Beſchränkungen wurden alſo gegen
den Wortlaut von der Jurisprudenz in das Geſetz hineinge-
tragen. 632)
Doch genug! Die angeführten Beiſpiele lehren zur Ge-
nüge, daß die alte Jurisprudenz ſich nicht, unbekümmert um
630) Vat. fragm. §. 308: in XII patroni appellatione etiam liberi
patroni continentur.
631) L. 21 pr. de statul. (40. 7) .. sic et verba legis XII tabul.
veteres interpretati sunt: si aqua pluvia nocet i. e. nocere poterit.
632) L. 120 de V. S. (50. 16) … sed id coangustatum est
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