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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
ein, wenn er ihn zwar für den entgegengesetzten Fall ausdrück-
lich ausgeschlossen, aber nicht mit den hergebrachten Worten --
was jedoch in den folgenden Paragraphen gehört.

Es ist Jemand dem Andern zur Eigenthumsübertragung
(dare) eines Sklaven verpflichtet, der Sklav erkrankt und stirbt
aus Mangel an Pflege oder ärztlicher Behandlung. Haftet der
Schuldner dafür? Nein, denn er hat sich nur zum dare, nicht
zu einem facere verpflichtet. 616) Der Verkäufer hat für den
Fall der Entwährung der Sache die stipulatio dupli geleistet, es
wird jetzt ein Theil evincirt, haftet er? Nein! 617) Wie rück-
sichtlich dieses Punktes, so bestimmen rücksichtlich aller andern
die Vertragsworte 618) genau den Umfang der Verpflichtung;
satis est, sagt Cicero (de off. III, 16) von dem Rechte des
Verkaufs nach den XII Tafeln, ea praestari, quae sunt lingua
nuncupata.
Darum haftet der Verkäufer für keine Fehler und
Mängel, wenn er nicht ausdrücklich die Garantie übernahm,
selbst wenn er sie kannte. Erst das spätere Recht hat hier, wie
in so vielen andern Fällen geholfen und den Anspruch der
Partei auf Punkte ausgedehnt, deren im Vertrage selbst keine
Erwähnung geschehen war. 619)

Eine beträchtliche Auslese für unsern Zweck gewähren auch
die Geschäfts- und Prozeßformeln. Die Fassung dieser Formeln
war eine außerordentlich prägnante; jedes Wort wog schwer.

616) L. 56 §. 2 de evict. (21. 2).
617) So noch Paulus in L. 91 pr. de V. O. (45. 1). Wer die Stel-
len in den beiden vorigen Noten noch für heutiges Recht hält, müßte auch
diese noch für anwendbar erklären, und man dürfte z. B. bei einem Tausch-
contract die dem Andern versprochene Sache ruhig verbrennen, verderben
u. s. w. lassen, obgleich man sie mit leichtester Mühe hätte retten können!
618) L. 26 §. 2 de V. O. i. f. (45. 1).
619) Z. B. Verzugszinsen, Verpflichtungen zur diligentia, zur Be-
stellung einer cautio dupli (L. 31 §. 20 de aed. ed. 21. 1), Verkaufsrecht
des Pfandgläubigers (früher bedurfte es eines pactum de re vendenda).
Das läßt sich auch so ausdrücken: es hat die accidentalia (quae extrin-
secus veniunt)
in naturalia (quae tacite insunt) verwandelt.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ein, wenn er ihn zwar für den entgegengeſetzten Fall ausdrück-
lich ausgeſchloſſen, aber nicht mit den hergebrachten Worten —
was jedoch in den folgenden Paragraphen gehört.

Es iſt Jemand dem Andern zur Eigenthumsübertragung
(dare) eines Sklaven verpflichtet, der Sklav erkrankt und ſtirbt
aus Mangel an Pflege oder ärztlicher Behandlung. Haftet der
Schuldner dafür? Nein, denn er hat ſich nur zum dare, nicht
zu einem facere verpflichtet. 616) Der Verkäufer hat für den
Fall der Entwährung der Sache die stipulatio dupli geleiſtet, es
wird jetzt ein Theil evincirt, haftet er? Nein! 617) Wie rück-
ſichtlich dieſes Punktes, ſo beſtimmen rückſichtlich aller andern
die Vertragsworte 618) genau den Umfang der Verpflichtung;
satis est, ſagt Cicero (de off. III, 16) von dem Rechte des
Verkaufs nach den XII Tafeln, ea praestari, quae sunt lingua
nuncupata.
Darum haftet der Verkäufer für keine Fehler und
Mängel, wenn er nicht ausdrücklich die Garantie übernahm,
ſelbſt wenn er ſie kannte. Erſt das ſpätere Recht hat hier, wie
in ſo vielen andern Fällen geholfen und den Anſpruch der
Partei auf Punkte ausgedehnt, deren im Vertrage ſelbſt keine
Erwähnung geſchehen war. 619)

Eine beträchtliche Ausleſe für unſern Zweck gewähren auch
die Geſchäfts- und Prozeßformeln. Die Faſſung dieſer Formeln
war eine außerordentlich prägnante; jedes Wort wog ſchwer.

616) L. 56 §. 2 de evict. (21. 2).
617) So noch Paulus in L. 91 pr. de V. O. (45. 1). Wer die Stel-
len in den beiden vorigen Noten noch für heutiges Recht hält, müßte auch
dieſe noch für anwendbar erklären, und man dürfte z. B. bei einem Tauſch-
contract die dem Andern verſprochene Sache ruhig verbrennen, verderben
u. ſ. w. laſſen, obgleich man ſie mit leichteſter Mühe hätte retten können!
618) L. 26 §. 2 de V. O. i. f. (45. 1).
619) Z. B. Verzugszinſen, Verpflichtungen zur diligentia, zur Be-
ſtellung einer cautio dupli (L. 31 §. 20 de aed. ed. 21. 1), Verkaufsrecht
des Pfandgläubigers (früher bedurfte es eines pactum de re vendenda).
Das läßt ſich auch ſo ausdrücken: es hat die accidentalia (quae extrin-
secus veniunt)
in naturalia (quae tacite insunt) verwandelt.
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[478/0184] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. ein, wenn er ihn zwar für den entgegengeſetzten Fall ausdrück- lich ausgeſchloſſen, aber nicht mit den hergebrachten Worten — was jedoch in den folgenden Paragraphen gehört. Es iſt Jemand dem Andern zur Eigenthumsübertragung (dare) eines Sklaven verpflichtet, der Sklav erkrankt und ſtirbt aus Mangel an Pflege oder ärztlicher Behandlung. Haftet der Schuldner dafür? Nein, denn er hat ſich nur zum dare, nicht zu einem facere verpflichtet. 616) Der Verkäufer hat für den Fall der Entwährung der Sache die stipulatio dupli geleiſtet, es wird jetzt ein Theil evincirt, haftet er? Nein! 617) Wie rück- ſichtlich dieſes Punktes, ſo beſtimmen rückſichtlich aller andern die Vertragsworte 618) genau den Umfang der Verpflichtung; satis est, ſagt Cicero (de off. III, 16) von dem Rechte des Verkaufs nach den XII Tafeln, ea praestari, quae sunt lingua nuncupata. Darum haftet der Verkäufer für keine Fehler und Mängel, wenn er nicht ausdrücklich die Garantie übernahm, ſelbſt wenn er ſie kannte. Erſt das ſpätere Recht hat hier, wie in ſo vielen andern Fällen geholfen und den Anſpruch der Partei auf Punkte ausgedehnt, deren im Vertrage ſelbſt keine Erwähnung geſchehen war. 619) Eine beträchtliche Ausleſe für unſern Zweck gewähren auch die Geſchäfts- und Prozeßformeln. Die Faſſung dieſer Formeln war eine außerordentlich prägnante; jedes Wort wog ſchwer. 616) L. 56 §. 2 de evict. (21. 2). 617) So noch Paulus in L. 91 pr. de V. O. (45. 1). Wer die Stel- len in den beiden vorigen Noten noch für heutiges Recht hält, müßte auch dieſe noch für anwendbar erklären, und man dürfte z. B. bei einem Tauſch- contract die dem Andern verſprochene Sache ruhig verbrennen, verderben u. ſ. w. laſſen, obgleich man ſie mit leichteſter Mühe hätte retten können! 618) L. 26 §. 2 de V. O. i. f. (45. 1). 619) Z. B. Verzugszinſen, Verpflichtungen zur diligentia, zur Be- ſtellung einer cautio dupli (L. 31 §. 20 de aed. ed. 21. 1), Verkaufsrecht des Pfandgläubigers (früher bedurfte es eines pactum de re vendenda). Das läßt ſich auch ſo ausdrücken: es hat die accidentalia (quae extrin- secus veniunt) in naturalia (quae tacite insunt) verwandelt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/184>, abgerufen am 24.11.2024.