Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. geschichte könnte den Satz "im Anfang war das Wort" alsMotto über ihr erstes Buch schreiben. Allen ungebildeten Völ- kern erscheint das Wort, sowohl das geschriebene als das ge- sprochene solenne Wort (die Formel) als etwas Geheimnißvol- les und der naive Glaube stattet es mit übernatürlicher Kraft aus. Nirgends war dieser Glaube an das Wort mächtiger, als im alten Rom. Der Cultus des Worts geht durch alle Ver- hältnisse des öffentlichen und Privatlebens, der Religion, Sitte und des Rechts. 608) Das Wort ist dem alten Römer eine Macht, es bindet und löst, und es hat, wenn auch nicht die Kraft, Berge, so doch Früchte auf ein fremdes Feld zu ver- setzen. 609) Mit welcher Strenge und Pedanterie daher auch die alte Jurisprudenz auf ihrem Gebiete das Wort handhaben mochte, sie gerieth dadurch mit der nationalen Denkweise in keinen Widerspruch, ja im Gegentheil es gab eine Zeit, und sie dauerte lange, wo dieselbe Wortklauberei der Juristen, die spä- terhin ein so dankbarer Stoff für die Persiflage eines Cicero ward und selbst aus dem Munde von Juristen und Kaisern ihr Verdammungsurtheil hören mußte, 610) in den Augen des Volks, 608) Es genügt auf das bekannte Werk von Brissonius de vocibus ac formulis zu verweisen. 609) Die XII Tafeln enthielten gegen den Versuch einer solchen An- wendung der Zaubersprüche Strafbestimmungen Plin. Hist. Nat. XXVIII, 2, 4: qui fruges excantasset. Ueber die dem Wort beigelegte mystische Kraft siehe die in Anm. 544 mitgetheilte Stelle. 610) Gaj. IV § 30: nimia subtilitas veterum; Constantin in L. 1
Cod. de form. subl. (2. 58): Juris formulae aucupatione syllabarum in- sidiantes, namentlich aber Cicero z. B. pro Caecina c. 23: aucupia ver- borum et literarnm tendiculas; de off. I c. 10, pro Murena c. 11--13, de orat. I, 55: praeco actionum, cantor formularum, auceps syllaba- rum. Keiner nahm übrigens wohl einen für das Verständniß jenes Wort- und Formelwesens so ungeeigneten Standpunkt ein, als Cicero. Denn ganz abgesehen von seiner unverkennbaren Tendenz, die Jurisprudenz im Interesse der Redekunst zu erniedrigen, einer Tendenz, die ihn eingestandenermaßen bei einer Rede pro Murena zu seiner bekannten Diatribe gegen die Juristen ver- Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. geſchichte könnte den Satz „im Anfang war das Wort“ alsMotto über ihr erſtes Buch ſchreiben. Allen ungebildeten Völ- kern erſcheint das Wort, ſowohl das geſchriebene als das ge- ſprochene ſolenne Wort (die Formel) als etwas Geheimnißvol- les und der naive Glaube ſtattet es mit übernatürlicher Kraft aus. Nirgends war dieſer Glaube an das Wort mächtiger, als im alten Rom. Der Cultus des Worts geht durch alle Ver- hältniſſe des öffentlichen und Privatlebens, der Religion, Sitte und des Rechts. 608) Das Wort iſt dem alten Römer eine Macht, es bindet und löſt, und es hat, wenn auch nicht die Kraft, Berge, ſo doch Früchte auf ein fremdes Feld zu ver- ſetzen. 609) Mit welcher Strenge und Pedanterie daher auch die alte Jurisprudenz auf ihrem Gebiete das Wort handhaben mochte, ſie gerieth dadurch mit der nationalen Denkweiſe in keinen Widerſpruch, ja im Gegentheil es gab eine Zeit, und ſie dauerte lange, wo dieſelbe Wortklauberei der Juriſten, die ſpä- terhin ein ſo dankbarer Stoff für die Perſiflage eines Cicero ward und ſelbſt aus dem Munde von Juriſten und Kaiſern ihr Verdammungsurtheil hören mußte, 610) in den Augen des Volks, 608) Es genügt auf das bekannte Werk von Brissonius de vocibus ac formulis zu verweiſen. 609) Die XII Tafeln enthielten gegen den Verſuch einer ſolchen An- wendung der Zauberſprüche Strafbeſtimmungen Plin. Hist. Nat. XXVIII, 2, 4: qui fruges excantasset. Ueber die dem Wort beigelegte myſtiſche Kraft ſiehe die in Anm. 544 mitgetheilte Stelle. 610) Gaj. IV § 30: nimia subtilitas veterum; Conſtantin in L. 1
Cod. de form. subl. (2. 58): Juris formulae aucupatione syllabarum in- sidiantes, namentlich aber Cicero z. B. pro Caecina c. 23: aucupia ver- borum et literarnm tendiculas; de off. I c. 10, pro Murena c. 11—13, de orat. I, 55: praeco actionum, cantor formularum, auceps syllaba- rum. Keiner nahm übrigens wohl einen für das Verſtändniß jenes Wort- und Formelweſens ſo ungeeigneten Standpunkt ein, als Cicero. Denn ganz abgeſehen von ſeiner unverkennbaren Tendenz, die Jurisprudenz im Intereſſe der Redekunſt zu erniedrigen, einer Tendenz, die ihn eingeſtandenermaßen bei einer Rede pro Murena zu ſeiner bekannten Diatribe gegen die Juriſten ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0174" n="468"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> geſchichte könnte den Satz „im Anfang war das Wort“ als<lb/> Motto über ihr erſtes Buch ſchreiben. Allen ungebildeten Völ-<lb/> kern erſcheint das Wort, ſowohl das geſchriebene als das ge-<lb/> ſprochene ſolenne Wort (die Formel) als etwas Geheimnißvol-<lb/> les und der naive Glaube ſtattet es mit übernatürlicher Kraft<lb/> aus. Nirgends war dieſer Glaube an das Wort mächtiger,<lb/> als im alten Rom. Der Cultus des Worts geht durch alle Ver-<lb/> hältniſſe des öffentlichen und Privatlebens, der Religion, Sitte<lb/> und des Rechts. <note place="foot" n="608)">Es genügt auf das bekannte Werk von <hi rendition="#aq">Brissonius de vocibus ac<lb/> formulis</hi> zu verweiſen.</note> Das Wort iſt dem alten Römer eine<lb/><hi rendition="#g">Macht</hi>, es bindet und löſt, und es hat, wenn auch nicht die<lb/> Kraft, Berge, ſo doch Früchte auf ein fremdes Feld zu ver-<lb/> ſetzen. <note place="foot" n="609)">Die <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln enthielten gegen den Verſuch einer ſolchen An-<lb/> wendung der Zauberſprüche Strafbeſtimmungen <hi rendition="#aq">Plin. Hist. Nat. XXVIII,<lb/> 2, 4: qui fruges excantasset.</hi> Ueber die dem Wort beigelegte myſtiſche<lb/> Kraft ſiehe die in Anm. 544 mitgetheilte Stelle.</note> Mit welcher Strenge und Pedanterie daher auch die<lb/> alte Jurisprudenz auf ihrem Gebiete das Wort handhaben<lb/> mochte, ſie gerieth dadurch mit der nationalen Denkweiſe in<lb/> keinen Widerſpruch, ja im Gegentheil es gab eine Zeit, und ſie<lb/> dauerte lange, wo dieſelbe Wortklauberei der Juriſten, die ſpä-<lb/> terhin ein ſo dankbarer Stoff für die Perſiflage eines Cicero<lb/> ward und ſelbſt aus dem Munde von Juriſten und Kaiſern ihr<lb/> Verdammungsurtheil hören mußte, <note xml:id="seg2pn_17_1" next="#seg2pn_17_2" place="foot" n="610)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV § 30: nimia subtilitas veterum;</hi> Conſtantin in <hi rendition="#aq">L. 1<lb/> Cod. de form. subl. (2. 58): Juris formulae aucupatione syllabarum in-<lb/> sidiantes,</hi> namentlich aber Cicero z. B. <hi rendition="#aq">pro Caecina c. 23: aucupia ver-<lb/> borum et literarnm tendiculas; de off. I c. 10, pro Murena c. 11—13,<lb/> de orat. I, 55: praeco actionum, cantor formularum, auceps syllaba-<lb/> rum.</hi> Keiner nahm übrigens wohl einen für das Verſtändniß jenes Wort-<lb/> und Formelweſens ſo ungeeigneten Standpunkt ein, als Cicero. Denn ganz<lb/> abgeſehen von ſeiner unverkennbaren Tendenz, die Jurisprudenz im Intereſſe<lb/> der Redekunſt zu erniedrigen, einer Tendenz, die ihn eingeſtandenermaßen bei<lb/> einer Rede <hi rendition="#aq">pro Murena</hi> zu ſeiner bekannten Diatribe gegen die Juriſten ver-</note> in den Augen des Volks,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [468/0174]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
geſchichte könnte den Satz „im Anfang war das Wort“ als
Motto über ihr erſtes Buch ſchreiben. Allen ungebildeten Völ-
kern erſcheint das Wort, ſowohl das geſchriebene als das ge-
ſprochene ſolenne Wort (die Formel) als etwas Geheimnißvol-
les und der naive Glaube ſtattet es mit übernatürlicher Kraft
aus. Nirgends war dieſer Glaube an das Wort mächtiger,
als im alten Rom. Der Cultus des Worts geht durch alle Ver-
hältniſſe des öffentlichen und Privatlebens, der Religion, Sitte
und des Rechts. 608) Das Wort iſt dem alten Römer eine
Macht, es bindet und löſt, und es hat, wenn auch nicht die
Kraft, Berge, ſo doch Früchte auf ein fremdes Feld zu ver-
ſetzen. 609) Mit welcher Strenge und Pedanterie daher auch die
alte Jurisprudenz auf ihrem Gebiete das Wort handhaben
mochte, ſie gerieth dadurch mit der nationalen Denkweiſe in
keinen Widerſpruch, ja im Gegentheil es gab eine Zeit, und ſie
dauerte lange, wo dieſelbe Wortklauberei der Juriſten, die ſpä-
terhin ein ſo dankbarer Stoff für die Perſiflage eines Cicero
ward und ſelbſt aus dem Munde von Juriſten und Kaiſern ihr
Verdammungsurtheil hören mußte, 610) in den Augen des Volks,
608) Es genügt auf das bekannte Werk von Brissonius de vocibus ac
formulis zu verweiſen.
609) Die XII Tafeln enthielten gegen den Verſuch einer ſolchen An-
wendung der Zauberſprüche Strafbeſtimmungen Plin. Hist. Nat. XXVIII,
2, 4: qui fruges excantasset. Ueber die dem Wort beigelegte myſtiſche
Kraft ſiehe die in Anm. 544 mitgetheilte Stelle.
610) Gaj. IV § 30: nimia subtilitas veterum; Conſtantin in L. 1
Cod. de form. subl. (2. 58): Juris formulae aucupatione syllabarum in-
sidiantes, namentlich aber Cicero z. B. pro Caecina c. 23: aucupia ver-
borum et literarnm tendiculas; de off. I c. 10, pro Murena c. 11—13,
de orat. I, 55: praeco actionum, cantor formularum, auceps syllaba-
rum. Keiner nahm übrigens wohl einen für das Verſtändniß jenes Wort-
und Formelweſens ſo ungeeigneten Standpunkt ein, als Cicero. Denn ganz
abgeſehen von ſeiner unverkennbaren Tendenz, die Jurisprudenz im Intereſſe
der Redekunſt zu erniedrigen, einer Tendenz, die ihn eingeſtandenermaßen bei
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