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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Hand. Ein Eintritt in fremde Rechte mag uns immerhin noch
so natürlich erscheinen, der ganze Vorgang beruht nichts desto
weniger auf Abstraction, er geht rein auf dem Gebiete des
Gedankens vor sich, das natürliche Auge sieht ihn nicht. Ganz
anders, wenn der Gegenstand selbst (Sache oder Person) über-
tragen wird, hier ist ein sichtbares Object vorhanden, an dem
der Wechsel der Personen augenfällig hervortritt. 600)

Eine Spur dieser alten Auffassung, von der sich im übrigen
das neuere römische Recht mehr und mehr emancipirt hat, ist
noch erhalten in der von Justinian in seinen Institutionen ad-
optirten und dadurch zur großen Celebrität gelangten Classifica-
tion der Dinge in res corporales und incorporales. 601) Wäh-
rend alle übrigen Rechte zur letzteren Classe gestellt werden,
figurirt hier das Eigenthum als res corporalis. Ueber die Ver-
kehrtheit dieser Identificirung des Eigenthums mit seinem Ge-
genstande sollte man meiner Ansicht nach kaum getheilter Mei-
nung sein können. Das Eigenthum ist ebensowohl eine res
incorporalis
, als die übrigen dinglichen Rechte, und bei der
Uebertragung desselben geht juristisch nicht die res corporalis,
sondern das Recht, die res incorporalis, über. Nichts desto
weniger hat dieser systematische Fehler eine historische Wahr-
heit, denn er enthält eben den völlig adäquaten Ausdruck der
entwickelten älteren Vorstellungsweise, wonach beim Eigenthum
die Sache, so zu sagen, das Recht verdeckte. 602)

600) Es läßt sich hier die Stelle von Quintilian. Inst. O. V, 10
§. 111 sq.
benutzen, worin er die Frage untersucht, ob Forderungen Gegen-
stand der occupatio bellica sein können. Dabei heißt es in §. 116: non
potuisse donari a victore jus, quia id demum sit ejus, quod teneat;
jus, quod sit incorporale, apprehendi manu non posse ... ut alia sit
conditio heredis, alia victoris, quia ad illum jus, ad hunc res transeat.
601) Iust. de reb. corporal. et incorpor. (2. 2). Ulp. XIX §. 11
L. 14 pr. de serv. (8. 1) L. 1 §. 1 de R. D. (1. 8).
602) Interessant ist auch die Erscheinung, auf die Windscheid Die Actio
des römischen Civilrechts S. 6 aufmerksam macht, daß der römische Sprach-
gebrauch "die Thatsache nennt statt des Rechts auf dieselbe" z. B. pignus

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Hand. Ein Eintritt in fremde Rechte mag uns immerhin noch
ſo natürlich erſcheinen, der ganze Vorgang beruht nichts deſto
weniger auf Abſtraction, er geht rein auf dem Gebiete des
Gedankens vor ſich, das natürliche Auge ſieht ihn nicht. Ganz
anders, wenn der Gegenſtand ſelbſt (Sache oder Perſon) über-
tragen wird, hier iſt ein ſichtbares Object vorhanden, an dem
der Wechſel der Perſonen augenfällig hervortritt. 600)

Eine Spur dieſer alten Auffaſſung, von der ſich im übrigen
das neuere römiſche Recht mehr und mehr emancipirt hat, iſt
noch erhalten in der von Juſtinian in ſeinen Inſtitutionen ad-
optirten und dadurch zur großen Celebrität gelangten Claſſifica-
tion der Dinge in res corporales und incorporales. 601) Wäh-
rend alle übrigen Rechte zur letzteren Claſſe geſtellt werden,
figurirt hier das Eigenthum als res corporalis. Ueber die Ver-
kehrtheit dieſer Identificirung des Eigenthums mit ſeinem Ge-
genſtande ſollte man meiner Anſicht nach kaum getheilter Mei-
nung ſein können. Das Eigenthum iſt ebenſowohl eine res
incorporalis
, als die übrigen dinglichen Rechte, und bei der
Uebertragung deſſelben geht juriſtiſch nicht die res corporalis,
ſondern das Recht, die res incorporalis, über. Nichts deſto
weniger hat dieſer ſyſtematiſche Fehler eine hiſtoriſche Wahr-
heit, denn er enthält eben den völlig adäquaten Ausdruck der
entwickelten älteren Vorſtellungsweiſe, wonach beim Eigenthum
die Sache, ſo zu ſagen, das Recht verdeckte. 602)

600) Es läßt ſich hier die Stelle von Quintilian. Inst. O. V, 10
§. 111 sq.
benutzen, worin er die Frage unterſucht, ob Forderungen Gegen-
ſtand der occupatio bellica ſein können. Dabei heißt es in §. 116: non
potuisse donari a victore jus, quia id demum sit ejus, quod teneat;
jus, quod sit incorporale, apprehendi manu non posse … ut alia sit
conditio heredis, alia victoris, quia ad illum jus, ad hunc res transeat.
601) Iust. de reb. corporal. et incorpor. (2. 2). Ulp. XIX §. 11
L. 14 pr. de serv. (8. 1) L. 1 §. 1 de R. D. (1. 8).
602) Intereſſant iſt auch die Erſcheinung, auf die Windſcheid Die Actio
des römiſchen Civilrechts S. 6 aufmerkſam macht, daß der römiſche Sprach-
gebrauch „die Thatſache nennt ſtatt des Rechts auf dieſelbe“ z. B. pignus
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[464/0170] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Hand. Ein Eintritt in fremde Rechte mag uns immerhin noch ſo natürlich erſcheinen, der ganze Vorgang beruht nichts deſto weniger auf Abſtraction, er geht rein auf dem Gebiete des Gedankens vor ſich, das natürliche Auge ſieht ihn nicht. Ganz anders, wenn der Gegenſtand ſelbſt (Sache oder Perſon) über- tragen wird, hier iſt ein ſichtbares Object vorhanden, an dem der Wechſel der Perſonen augenfällig hervortritt. 600) Eine Spur dieſer alten Auffaſſung, von der ſich im übrigen das neuere römiſche Recht mehr und mehr emancipirt hat, iſt noch erhalten in der von Juſtinian in ſeinen Inſtitutionen ad- optirten und dadurch zur großen Celebrität gelangten Claſſifica- tion der Dinge in res corporales und incorporales. 601) Wäh- rend alle übrigen Rechte zur letzteren Claſſe geſtellt werden, figurirt hier das Eigenthum als res corporalis. Ueber die Ver- kehrtheit dieſer Identificirung des Eigenthums mit ſeinem Ge- genſtande ſollte man meiner Anſicht nach kaum getheilter Mei- nung ſein können. Das Eigenthum iſt ebenſowohl eine res incorporalis, als die übrigen dinglichen Rechte, und bei der Uebertragung deſſelben geht juriſtiſch nicht die res corporalis, ſondern das Recht, die res incorporalis, über. Nichts deſto weniger hat dieſer ſyſtematiſche Fehler eine hiſtoriſche Wahr- heit, denn er enthält eben den völlig adäquaten Ausdruck der entwickelten älteren Vorſtellungsweiſe, wonach beim Eigenthum die Sache, ſo zu ſagen, das Recht verdeckte. 602) 600) Es läßt ſich hier die Stelle von Quintilian. Inst. O. V, 10 §. 111 sq. benutzen, worin er die Frage unterſucht, ob Forderungen Gegen- ſtand der occupatio bellica ſein können. Dabei heißt es in §. 116: non potuisse donari a victore jus, quia id demum sit ejus, quod teneat; jus, quod sit incorporale, apprehendi manu non posse … ut alia sit conditio heredis, alia victoris, quia ad illum jus, ad hunc res transeat. 601) Iust. de reb. corporal. et incorpor. (2. 2). Ulp. XIX §. 11 L. 14 pr. de serv. (8. 1) L. 1 §. 1 de R. D. (1. 8). 602) Intereſſant iſt auch die Erſcheinung, auf die Windſcheid Die Actio des römiſchen Civilrechts S. 6 aufmerkſam macht, daß der römiſche Sprach- gebrauch „die Thatſache nennt ſtatt des Rechts auf dieſelbe“ z. B. pignus

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/170>, abgerufen am 24.11.2024.