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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.

War nun schon der Eintritt der Plebejer bei Verdoppelung
der Stellen für die Verbreitung juristischer Kenntnisse gewiß
nicht ohne Bedeutung, so ward der letzte Rest des Zunftzwanges
durch die oben berichtete Handlungsweise des Coruncanius völ-
lig beseitigt. Von jetzt an war der Bann gebrochen, und die
Jurisprudenz eine freie Kunst und Wissenschaft geworden. Bald
nach ihm war bereits die Sitte des öffentlichen Respondirens in
lebendigster Uebung. 562)

Diese Veränderung muß sowohl für die Rechtspflege als die
Jurisprudenz einen Wendepunkt begründet haben. Für jene --
denn an die Stelle eines ständigen Collegiums, welches sich überall
schwerer entschließt von der bisherigen Praxis abzugehen, traten
jährlich wechselnde Prätoren und mit ihnen nicht lange nachher
an die Stelle des Legisactionenprozesses der freiere Formular-
prozeß. Für diese, die Wissenschaft -- denn an die Stelle einer
Zunftlehre trat die Freiheit der individuellen Meinung und For-
schung, der rege Wetteifer der Kräfte und Talente. Freilich ver-
ging noch lange Zeit, bevor der Umschwung, der hiermit für die
Wissenschaft vorbereitet war, sich gänzlich vollzogen hatte, und
es würde sehr verkehrt sein, zu glauben, als ob die Jünger
der Pontifices die Lehre und Methode der Meister verläugnet
hätten; wir dürfen vielmehr die ganze Jurisprudenz dieser
Periode als Eine und zwar als die pontificische Schule
bezeichnen. Allein nichts desto weniger war doch die obige Ver-
änderung in der äußern Form dieser Jurisprudenz der erste An-
satz oder die nöthige Voraussetzung zu einer innern Umwand-
lung derselben.

Auch in dem Verhältniß der Jurisprudenz zum Volk trat
jetzt eine wesentliche Aenderung ein. Nicht als ob die Ab-
hängigkeit des Volks von den Juristen dadurch beseitigt, das

562) L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). Pomponius hat hier nur irriger-
weise den Scipio Nasica vor Coruncanius gesetzt. Zimmern, Rechtsgesch.
Bd. 1 §. 14.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 28
Die Jurisprudenz. §. 42.

War nun ſchon der Eintritt der Plebejer bei Verdoppelung
der Stellen für die Verbreitung juriſtiſcher Kenntniſſe gewiß
nicht ohne Bedeutung, ſo ward der letzte Reſt des Zunftzwanges
durch die oben berichtete Handlungsweiſe des Coruncanius völ-
lig beſeitigt. Von jetzt an war der Bann gebrochen, und die
Jurisprudenz eine freie Kunſt und Wiſſenſchaft geworden. Bald
nach ihm war bereits die Sitte des öffentlichen Reſpondirens in
lebendigſter Uebung. 562)

Dieſe Veränderung muß ſowohl für die Rechtspflege als die
Jurisprudenz einen Wendepunkt begründet haben. Für jene —
denn an die Stelle eines ſtändigen Collegiums, welches ſich überall
ſchwerer entſchließt von der bisherigen Praxis abzugehen, traten
jährlich wechſelnde Prätoren und mit ihnen nicht lange nachher
an die Stelle des Legisactionenprozeſſes der freiere Formular-
prozeß. Für dieſe, die Wiſſenſchaft — denn an die Stelle einer
Zunftlehre trat die Freiheit der individuellen Meinung und For-
ſchung, der rege Wetteifer der Kräfte und Talente. Freilich ver-
ging noch lange Zeit, bevor der Umſchwung, der hiermit für die
Wiſſenſchaft vorbereitet war, ſich gänzlich vollzogen hatte, und
es würde ſehr verkehrt ſein, zu glauben, als ob die Jünger
der Pontifices die Lehre und Methode der Meiſter verläugnet
hätten; wir dürfen vielmehr die ganze Jurisprudenz dieſer
Periode als Eine und zwar als die pontificiſche Schule
bezeichnen. Allein nichts deſto weniger war doch die obige Ver-
änderung in der äußern Form dieſer Jurisprudenz der erſte An-
ſatz oder die nöthige Vorausſetzung zu einer innern Umwand-
lung derſelben.

Auch in dem Verhältniß der Jurisprudenz zum Volk trat
jetzt eine weſentliche Aenderung ein. Nicht als ob die Ab-
hängigkeit des Volks von den Juriſten dadurch beſeitigt, das

562) L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). Pomponius hat hier nur irriger-
weiſe den Scipio Naſica vor Coruncanius geſetzt. Zimmern, Rechtsgeſch.
Bd. 1 §. 14.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 28
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[433/0139] Die Jurisprudenz. §. 42. War nun ſchon der Eintritt der Plebejer bei Verdoppelung der Stellen für die Verbreitung juriſtiſcher Kenntniſſe gewiß nicht ohne Bedeutung, ſo ward der letzte Reſt des Zunftzwanges durch die oben berichtete Handlungsweiſe des Coruncanius völ- lig beſeitigt. Von jetzt an war der Bann gebrochen, und die Jurisprudenz eine freie Kunſt und Wiſſenſchaft geworden. Bald nach ihm war bereits die Sitte des öffentlichen Reſpondirens in lebendigſter Uebung. 562) Dieſe Veränderung muß ſowohl für die Rechtspflege als die Jurisprudenz einen Wendepunkt begründet haben. Für jene — denn an die Stelle eines ſtändigen Collegiums, welches ſich überall ſchwerer entſchließt von der bisherigen Praxis abzugehen, traten jährlich wechſelnde Prätoren und mit ihnen nicht lange nachher an die Stelle des Legisactionenprozeſſes der freiere Formular- prozeß. Für dieſe, die Wiſſenſchaft — denn an die Stelle einer Zunftlehre trat die Freiheit der individuellen Meinung und For- ſchung, der rege Wetteifer der Kräfte und Talente. Freilich ver- ging noch lange Zeit, bevor der Umſchwung, der hiermit für die Wiſſenſchaft vorbereitet war, ſich gänzlich vollzogen hatte, und es würde ſehr verkehrt ſein, zu glauben, als ob die Jünger der Pontifices die Lehre und Methode der Meiſter verläugnet hätten; wir dürfen vielmehr die ganze Jurisprudenz dieſer Periode als Eine und zwar als die pontificiſche Schule bezeichnen. Allein nichts deſto weniger war doch die obige Ver- änderung in der äußern Form dieſer Jurisprudenz der erſte An- ſatz oder die nöthige Vorausſetzung zu einer innern Umwand- lung derſelben. Auch in dem Verhältniß der Jurisprudenz zum Volk trat jetzt eine weſentliche Aenderung ein. Nicht als ob die Ab- hängigkeit des Volks von den Juriſten dadurch beſeitigt, das 562) L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). Pomponius hat hier nur irriger- weiſe den Scipio Naſica vor Coruncanius geſetzt. Zimmern, Rechtsgeſch. Bd. 1 §. 14. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 28

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/139>, abgerufen am 25.11.2024.