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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.
liberorum kannte das geistliche Recht gewiß längst vor dem
Civilrecht. 555)

Nach allen diesen Belegen wird sich die Behauptung recht-
fertigen, daß die Pontifices eine eigene Theorie und Methode,
kurz eine Jurisprudenz besaßen. Ist nun schon die Juris-
prudenz der großen Masse überall etwas Unverständliches, so
erklärt es sich aus der eigenthümlichen zunstmäßigen Abgeschlos-
senheit, in der sie in Rom auftritt, sehr wohl, wie sie geradezu
den Eindruck einer Geheimlehre machen konnte.

So tief das römische Volk diese Absperrung und die damit
verbundene Entfremdung des Rechts empfinden mochte, so war
doch dieselbe für die technische Entwicklung des Rechts selbst von
heilsamem Einfluß. Der Atmosphäre der Volksthümlichkeit bis
zu einem gewissen Grade entrückt, hatte das Recht sich so zu
sagen zurückgezogen an einen abgelegenen Ort, an dem es un-
gestört seine Schuljahre durchmachen konnte. Die Schule, in
die es hier kam, war eine strenge; man merkt dem ältern Recht
überall an, daß es nicht wild aufgewachsen ist, wie unser deut-
sches Recht, sondern daß es schon früh unter die Leitung eines
fast pedantisch gestrengen, aber consequenten Zuchtmeisters gera-
then ist. 556) Aber gerade dieser Strenge verdankt das römische
Recht im wesentlichen jene Solidität und Festigkeit seines Fun-
daments, jene Einfachheit und Consequenz seiner ganzen Anlage.
Um aber eine solche Zuchtmeisterrolle über das Recht auszu-
üben, dazu bedurfte die Jurisprudenz jener Autorität und excep-
tionellen Stellung, wie nur eine geistliche Corporation von der
Art des Pontificalcollegiums sie zu behaupten vermochte.

Von dem Uebergange der Rechtspflege und Rechtswissen-
schaft von den Pontifices auf die Prätoren, beziehungsweise

555) Gell. a. a. O.: excusandam (filiam, nämlich gegenüber dem ca-
pere
zur virgo vest.) ejus, qui liberos tres haberet.
556) Eine ähnliche Idee scheint auch dem Pomponius vorgeschwebt zu
haben, wenn er von den legis actiones in L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2)
sagt: quas actiones ne populus prout vellet institueret, certas solennes-
que esse voluerunt.

Die Jurisprudenz. §. 42.
liberorum kannte das geiſtliche Recht gewiß längſt vor dem
Civilrecht. 555)

Nach allen dieſen Belegen wird ſich die Behauptung recht-
fertigen, daß die Pontifices eine eigene Theorie und Methode,
kurz eine Jurisprudenz beſaßen. Iſt nun ſchon die Juris-
prudenz der großen Maſſe überall etwas Unverſtändliches, ſo
erklärt es ſich aus der eigenthümlichen zunſtmäßigen Abgeſchloſ-
ſenheit, in der ſie in Rom auftritt, ſehr wohl, wie ſie geradezu
den Eindruck einer Geheimlehre machen konnte.

So tief das römiſche Volk dieſe Abſperrung und die damit
verbundene Entfremdung des Rechts empfinden mochte, ſo war
doch dieſelbe für die techniſche Entwicklung des Rechts ſelbſt von
heilſamem Einfluß. Der Atmoſphäre der Volksthümlichkeit bis
zu einem gewiſſen Grade entrückt, hatte das Recht ſich ſo zu
ſagen zurückgezogen an einen abgelegenen Ort, an dem es un-
geſtört ſeine Schuljahre durchmachen konnte. Die Schule, in
die es hier kam, war eine ſtrenge; man merkt dem ältern Recht
überall an, daß es nicht wild aufgewachſen iſt, wie unſer deut-
ſches Recht, ſondern daß es ſchon früh unter die Leitung eines
faſt pedantiſch geſtrengen, aber conſequenten Zuchtmeiſters gera-
then iſt. 556) Aber gerade dieſer Strenge verdankt das römiſche
Recht im weſentlichen jene Solidität und Feſtigkeit ſeines Fun-
daments, jene Einfachheit und Conſequenz ſeiner ganzen Anlage.
Um aber eine ſolche Zuchtmeiſterrolle über das Recht auszu-
üben, dazu bedurfte die Jurisprudenz jener Autorität und excep-
tionellen Stellung, wie nur eine geiſtliche Corporation von der
Art des Pontificalcollegiums ſie zu behaupten vermochte.

Von dem Uebergange der Rechtspflege und Rechtswiſſen-
ſchaft von den Pontifices auf die Prätoren, beziehungsweiſe

555) Gell. a. a. O.: excusandam (filiam, nämlich gegenüber dem ca-
pere
zur virgo vest.) ejus, qui liberos tres haberet.
556) Eine ähnliche Idee ſcheint auch dem Pomponius vorgeſchwebt zu
haben, wenn er von den legis actiones in L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2)
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que esse voluerunt.
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[429/0135] Die Jurisprudenz. §. 42. liberorum kannte das geiſtliche Recht gewiß längſt vor dem Civilrecht. 555) Nach allen dieſen Belegen wird ſich die Behauptung recht- fertigen, daß die Pontifices eine eigene Theorie und Methode, kurz eine Jurisprudenz beſaßen. Iſt nun ſchon die Juris- prudenz der großen Maſſe überall etwas Unverſtändliches, ſo erklärt es ſich aus der eigenthümlichen zunſtmäßigen Abgeſchloſ- ſenheit, in der ſie in Rom auftritt, ſehr wohl, wie ſie geradezu den Eindruck einer Geheimlehre machen konnte. So tief das römiſche Volk dieſe Abſperrung und die damit verbundene Entfremdung des Rechts empfinden mochte, ſo war doch dieſelbe für die techniſche Entwicklung des Rechts ſelbſt von heilſamem Einfluß. Der Atmoſphäre der Volksthümlichkeit bis zu einem gewiſſen Grade entrückt, hatte das Recht ſich ſo zu ſagen zurückgezogen an einen abgelegenen Ort, an dem es un- geſtört ſeine Schuljahre durchmachen konnte. Die Schule, in die es hier kam, war eine ſtrenge; man merkt dem ältern Recht überall an, daß es nicht wild aufgewachſen iſt, wie unſer deut- ſches Recht, ſondern daß es ſchon früh unter die Leitung eines faſt pedantiſch geſtrengen, aber conſequenten Zuchtmeiſters gera- then iſt. 556) Aber gerade dieſer Strenge verdankt das römiſche Recht im weſentlichen jene Solidität und Feſtigkeit ſeines Fun- daments, jene Einfachheit und Conſequenz ſeiner ganzen Anlage. Um aber eine ſolche Zuchtmeiſterrolle über das Recht auszu- üben, dazu bedurfte die Jurisprudenz jener Autorität und excep- tionellen Stellung, wie nur eine geiſtliche Corporation von der Art des Pontificalcollegiums ſie zu behaupten vermochte. Von dem Uebergange der Rechtspflege und Rechtswiſſen- ſchaft von den Pontifices auf die Prätoren, beziehungsweiſe 555) Gell. a. a. O.: excusandam (filiam, nämlich gegenüber dem ca- pere zur virgo vest.) ejus, qui liberos tres haberet. 556) Eine ähnliche Idee ſcheint auch dem Pomponius vorgeſchwebt zu haben, wenn er von den legis actiones in L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2) ſagt: quas actiones ne populus prout vellet institueret, certas solennes- que esse voluerunt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/135>, abgerufen am 22.11.2024.