Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. Glauben des Volks an die Unantastbarkeit und Heiligkeit desRechts verletzt und erschüttert. Fassen wir jetzt das ältere römische Recht ins Auge, so wer- 69) Ich erinnere ferner an die Vorgänge bei Erlaß der lex Poetelia Pa- piria Liv. VIII. 28: victum eo die ob impotentem injuriam unius ingens vinculum fidei. 70) Schmidt in der öfter angeführten Schrift S. 152. Wenn man ein-
mal, wie der Verf. es thut, von der Idee ausgeht, daß die moderne Lehre von der Volkssouveränetät aus dem römischen Recht stammt, so ergibt sich die im Text berührte Ansicht als nothwendige Consequenz. Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. Glauben des Volks an die Unantaſtbarkeit und Heiligkeit desRechts verletzt und erſchüttert. Faſſen wir jetzt das ältere römiſche Recht ins Auge, ſo wer- 69) Ich erinnere ferner an die Vorgänge bei Erlaß der lex Poetelia Pa- piria Liv. VIII. 28: victum eo die ob impotentem injuriam unius ingens vinculum fidei. 70) Schmidt in der öfter angeführten Schrift S. 152. Wenn man ein-
mal, wie der Verf. es thut, von der Idee ausgeht, daß die moderne Lehre von der Volksſouveränetät aus dem römiſchen Recht ſtammt, ſo ergibt ſich die im Text berührte Anſicht als nothwendige Conſequenz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0090" n="76"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> Glauben des Volks an die Unantaſtbarkeit und Heiligkeit des<lb/> Rechts verletzt und erſchüttert.</p><lb/> <p>Faſſen wir jetzt das ältere römiſche Recht ins Auge, ſo wer-<lb/> den wir ſchon von vornherein, wenn wir uns der intenſiven Ge-<lb/> walt, die die Rechtsidee über den römiſchen Geiſt ausübte, erin-<lb/> nern (B. 1 S. 302 u. fl.), einen Schluß auf die äußere Unab-<lb/> hängigkeit des Rechts wagen dürfen. Die Geſchichte hat es uns<lb/> nicht an Beiſpielen dafür fehlen laſſen, wie empfindlich das rö-<lb/> miſche Volk gegen eine Verletzung der Rechtsordnung war. Der<lb/> Sturz des Königthums und Decemvirats läßt ſich als die ge-<lb/> waltige Reaction des verletzten nationalen Rechtsgefühls gegen<lb/> eine ſchnöde Nichtachtung von Privatrechten bezeichnen. Was<lb/> der Druck eines ſtrengen, unumſchränkten, dem ganzen Volk<lb/> fühlbaren Regiments nicht vermocht hatte, bewirkte ſofort ein ei-<lb/> ner einzelnen Perſon zugefügtes Unrecht.<note place="foot" n="69)">Ich erinnere ferner an die Vorgänge bei Erlaß der <hi rendition="#aq">lex Poetelia Pa-<lb/> piria Liv. VIII. 28: victum eo die ob impotentem <hi rendition="#g">injuriam unius</hi><lb/> ingens vinculum fidei</hi>.</note> Daß nun im herben<lb/> Contraſt mit dieſer Erſcheinung „für das Volk ſelbſt und den mit<lb/> der Machtvollkommenheit des Volks bekleideten Inhaber der<lb/> Staatsgewalt der Grundſatz der Unverletzlichkeit der Rechte gar<lb/> nicht ſollte exiſtirt haben, daß der Begriff: „„wohlerworbene<lb/> Rechte,““ welche auch der Staat als ſolche zu reſpektiren verpflich-<lb/> tet wäre, dem Römer vollkommen fremd geweſen wäre“<note place="foot" n="70)">Schmidt in der öfter angeführten Schrift S. 152. Wenn man ein-<lb/> mal, wie der Verf. es thut, von der Idee ausgeht, daß die moderne Lehre<lb/> von der Volksſouveränetät aus dem römiſchen Recht ſtammt, ſo ergibt ſich<lb/> die im Text berührte Anſicht als nothwendige Conſequenz.</note> —<lb/> dies iſt wenigſtens für das ältere Recht eine ganz entſchieden<lb/> unrichtige Behauptung. Wir können hier Bezug nehmen auf<lb/> unſere Ausführungen am Ende des §. 26, und die dort mitge-<lb/> theilten Ausſprüche Cicero’s über das Verhältniß des ſubjekti-<lb/> ven Rechts zu der legislativen Gewalt des Volks. Es waren<lb/> nicht Cicero’s individuelle Anſichten von dem, was Recht ſein<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0090]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
Glauben des Volks an die Unantaſtbarkeit und Heiligkeit des
Rechts verletzt und erſchüttert.
Faſſen wir jetzt das ältere römiſche Recht ins Auge, ſo wer-
den wir ſchon von vornherein, wenn wir uns der intenſiven Ge-
walt, die die Rechtsidee über den römiſchen Geiſt ausübte, erin-
nern (B. 1 S. 302 u. fl.), einen Schluß auf die äußere Unab-
hängigkeit des Rechts wagen dürfen. Die Geſchichte hat es uns
nicht an Beiſpielen dafür fehlen laſſen, wie empfindlich das rö-
miſche Volk gegen eine Verletzung der Rechtsordnung war. Der
Sturz des Königthums und Decemvirats läßt ſich als die ge-
waltige Reaction des verletzten nationalen Rechtsgefühls gegen
eine ſchnöde Nichtachtung von Privatrechten bezeichnen. Was
der Druck eines ſtrengen, unumſchränkten, dem ganzen Volk
fühlbaren Regiments nicht vermocht hatte, bewirkte ſofort ein ei-
ner einzelnen Perſon zugefügtes Unrecht. 69) Daß nun im herben
Contraſt mit dieſer Erſcheinung „für das Volk ſelbſt und den mit
der Machtvollkommenheit des Volks bekleideten Inhaber der
Staatsgewalt der Grundſatz der Unverletzlichkeit der Rechte gar
nicht ſollte exiſtirt haben, daß der Begriff: „„wohlerworbene
Rechte,““ welche auch der Staat als ſolche zu reſpektiren verpflich-
tet wäre, dem Römer vollkommen fremd geweſen wäre“ 70) —
dies iſt wenigſtens für das ältere Recht eine ganz entſchieden
unrichtige Behauptung. Wir können hier Bezug nehmen auf
unſere Ausführungen am Ende des §. 26, und die dort mitge-
theilten Ausſprüche Cicero’s über das Verhältniß des ſubjekti-
ven Rechts zu der legislativen Gewalt des Volks. Es waren
nicht Cicero’s individuelle Anſichten von dem, was Recht ſein
69) Ich erinnere ferner an die Vorgänge bei Erlaß der lex Poetelia Pa-
piria Liv. VIII. 28: victum eo die ob impotentem injuriam unius
ingens vinculum fidei.
70) Schmidt in der öfter angeführten Schrift S. 152. Wenn man ein-
mal, wie der Verf. es thut, von der Idee ausgeht, daß die moderne Lehre
von der Volksſouveränetät aus dem römiſchen Recht ſtammt, ſo ergibt ſich
die im Text berührte Anſicht als nothwendige Conſequenz.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |