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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
Selbst wenn das Interesse des Standes nicht ausschließlich
oder nicht gerade in hohem Grade bei der Erhaltung des Ge-
setzes betheiligt ist, so macht doch jene Beziehung, jene Ehe bei-
der diese Erhaltung desselben zu einem Ehrenpunkt. Das Gesetz
wird zu einem Bestandtheil des Standes, und selbst wenn es
praktisch werthlos geworden, doch gehütet wie eine theure Reli-
quie, ein ruhmvolles Erbstück der Vorzeit. Für das abstracte
Recht ist also diese Form, durch die es mit der juristischen Be-
deutung eines Rechts im subjektiven Sinn (Privilegien, Frei-
heiten) zugleich persönliches Leben, Liebe und Werthschätzung,
Hand und Herz gewinnt, ein außerordentlich wichtiges Beför-
derungsmittel seiner Dauerhaftigkeit und Stärke.

Erklärt uns nun die Entstehungsgeschichte des Zwölftafel-
Gesetzes und seine Beziehung zu den Plebejern den Werth, den
man von vornherein auf dasselbe legte, die Liebe, Anhänglich-
keit, Verehrung, die man für dasselbe hegte, und die mit dem
Gegensatz der Patricier und Plebejer nicht unterging, brachte
also das Gesetz schon bei seiner Geburt eine Aussicht auf treue
und sorgsame Pflege und langes Leben mit auf die Welt, so lag
in seinem Inhalt, in seiner eignen, wenn ich sagen darf, gesun-
den Constitution ein nicht minderer Grund seiner Dauerhaftig-
keit. Zwar das Staatsrecht der Zwölf Tafeln ward bald anti-
quirt, da die Plebejer unaufhaltsam vorwärts drangen, allein
für das Privatrecht und den Prozeß kann das Gesetz als Funda-
ment des ganzen zweiten Systems betrachtet werden. Nicht als
ob nach dieser Seite hin die Dauerhaftigkeit in Stagnation be-
standen hätte, sondern es fand eine reiche Entwicklung Statt,
aber eine Entwicklung, die sich ganz an das Gesetz anschloß, ein
inneres Leben, Wachsen und Gedeihen des Gesetzes selbst. Dies
innere Leben der Gesetze hat etwas höchst Anziehendes. Das
Gesetz scheint uns von Anfang an todt, den Buchstaben nennen

Gesetzes kann natürlich auch andern Ständen zu Gute kommen, wovon be-
kanntlich das Mittelalter manche Beispiele liefert.

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
Selbſt wenn das Intereſſe des Standes nicht ausſchließlich
oder nicht gerade in hohem Grade bei der Erhaltung des Ge-
ſetzes betheiligt iſt, ſo macht doch jene Beziehung, jene Ehe bei-
der dieſe Erhaltung deſſelben zu einem Ehrenpunkt. Das Geſetz
wird zu einem Beſtandtheil des Standes, und ſelbſt wenn es
praktiſch werthlos geworden, doch gehütet wie eine theure Reli-
quie, ein ruhmvolles Erbſtück der Vorzeit. Für das abſtracte
Recht iſt alſo dieſe Form, durch die es mit der juriſtiſchen Be-
deutung eines Rechts im ſubjektiven Sinn (Privilegien, Frei-
heiten) zugleich perſönliches Leben, Liebe und Werthſchätzung,
Hand und Herz gewinnt, ein außerordentlich wichtiges Beför-
derungsmittel ſeiner Dauerhaftigkeit und Stärke.

Erklärt uns nun die Entſtehungsgeſchichte des Zwölftafel-
Geſetzes und ſeine Beziehung zu den Plebejern den Werth, den
man von vornherein auf daſſelbe legte, die Liebe, Anhänglich-
keit, Verehrung, die man für daſſelbe hegte, und die mit dem
Gegenſatz der Patricier und Plebejer nicht unterging, brachte
alſo das Geſetz ſchon bei ſeiner Geburt eine Ausſicht auf treue
und ſorgſame Pflege und langes Leben mit auf die Welt, ſo lag
in ſeinem Inhalt, in ſeiner eignen, wenn ich ſagen darf, geſun-
den Conſtitution ein nicht minderer Grund ſeiner Dauerhaftig-
keit. Zwar das Staatsrecht der Zwölf Tafeln ward bald anti-
quirt, da die Plebejer unaufhaltſam vorwärts drangen, allein
für das Privatrecht und den Prozeß kann das Geſetz als Funda-
ment des ganzen zweiten Syſtems betrachtet werden. Nicht als
ob nach dieſer Seite hin die Dauerhaftigkeit in Stagnation be-
ſtanden hätte, ſondern es fand eine reiche Entwicklung Statt,
aber eine Entwicklung, die ſich ganz an das Geſetz anſchloß, ein
inneres Leben, Wachſen und Gedeihen des Geſetzes ſelbſt. Dies
innere Leben der Geſetze hat etwas höchſt Anziehendes. Das
Geſetz ſcheint uns von Anfang an todt, den Buchſtaben nennen

Geſetzes kann natürlich auch andern Ständen zu Gute kommen, wovon be-
kanntlich das Mittelalter manche Beiſpiele liefert.
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[66/0080] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. Selbſt wenn das Intereſſe des Standes nicht ausſchließlich oder nicht gerade in hohem Grade bei der Erhaltung des Ge- ſetzes betheiligt iſt, ſo macht doch jene Beziehung, jene Ehe bei- der dieſe Erhaltung deſſelben zu einem Ehrenpunkt. Das Geſetz wird zu einem Beſtandtheil des Standes, und ſelbſt wenn es praktiſch werthlos geworden, doch gehütet wie eine theure Reli- quie, ein ruhmvolles Erbſtück der Vorzeit. Für das abſtracte Recht iſt alſo dieſe Form, durch die es mit der juriſtiſchen Be- deutung eines Rechts im ſubjektiven Sinn (Privilegien, Frei- heiten) zugleich perſönliches Leben, Liebe und Werthſchätzung, Hand und Herz gewinnt, ein außerordentlich wichtiges Beför- derungsmittel ſeiner Dauerhaftigkeit und Stärke. Erklärt uns nun die Entſtehungsgeſchichte des Zwölftafel- Geſetzes und ſeine Beziehung zu den Plebejern den Werth, den man von vornherein auf daſſelbe legte, die Liebe, Anhänglich- keit, Verehrung, die man für daſſelbe hegte, und die mit dem Gegenſatz der Patricier und Plebejer nicht unterging, brachte alſo das Geſetz ſchon bei ſeiner Geburt eine Ausſicht auf treue und ſorgſame Pflege und langes Leben mit auf die Welt, ſo lag in ſeinem Inhalt, in ſeiner eignen, wenn ich ſagen darf, geſun- den Conſtitution ein nicht minderer Grund ſeiner Dauerhaftig- keit. Zwar das Staatsrecht der Zwölf Tafeln ward bald anti- quirt, da die Plebejer unaufhaltſam vorwärts drangen, allein für das Privatrecht und den Prozeß kann das Geſetz als Funda- ment des ganzen zweiten Syſtems betrachtet werden. Nicht als ob nach dieſer Seite hin die Dauerhaftigkeit in Stagnation be- ſtanden hätte, ſondern es fand eine reiche Entwicklung Statt, aber eine Entwicklung, die ſich ganz an das Geſetz anſchloß, ein inneres Leben, Wachſen und Gedeihen des Geſetzes ſelbſt. Dies innere Leben der Geſetze hat etwas höchſt Anziehendes. Das Geſetz ſcheint uns von Anfang an todt, den Buchſtaben nennen 54) 54) Geſetzes kann natürlich auch andern Ständen zu Gute kommen, wovon be- kanntlich das Mittelalter manche Beiſpiele liefert.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/80>, abgerufen am 22.11.2024.