I. Der Selbständigkeitstrieb. 3. Selbsterhaltungstrieb des Rechts. §. 27.
für die Entwicklung des römischen Rechts hat, um so mehr zu einem nähern Eingehen auf.
Was jene Gründe betrifft, so kamen zu der Eigenschaft des römischen Volks, die den allgemeinen Grund für die Dauerhaf- tigkeit der römischen Rechtswelt überhaupt bildet, seiner conser- vativen Tendenz, (B. 1 S. 308) noch besondere Gründe hinzu, die sich nur oder vorzugsweise auf das Zwölftafeln-Gesetz be- ziehen und demselben gleich von vornherein eine große Festigkeit verliehen. Zuerst die Art der Entstehung. Für die physische wie die moralische Welt gilt gleichmäßig der Satz, daß was mit Schmerzen geboren wird, einen ganz andern Werth hat, als was leicht erworben ward. Ueber das Schicksal der Ge- setze entscheidet nicht immer ihr Inhalt, sondern auch ihre Entstehungsweise, nicht bloß die Mühelosig- keit oder Mühsamkeit derselben, -- was uns hier allerdings allein interessirt -- sondern ihre Entstehungsweise überhaupt; auch für die Gesetze gibt es glückliche und unglückliche Sterne, unter denen sie geboren werden, und der Beruf des Gesetzge- bers bewährt sich nicht bloß daran, die rechte Saat, sondern auch die rechte Zeit der Aussaat zu treffen.
Das Zwölftafeln-Gesetz war nun ein mühsam errungenes Gut, das auch das spätere Geschlecht an die Kämpfe erinnerte, die es gekostet, so wie an den Werth, den man auf die Erlan- gung desselben gelegt hatte. Es kömmt hinzu, daß die ganze Ent- stehungsgeschichte des Gesetzes ihm den Charakter einer von dem einen Theil des Volks dem andern Theil gemachten Concession verlieh. Für das Interesse und die Liebe, mit der ein Gesetz um- faßt werden soll, ist aber der Gesichtspunkt sehr wichtig, daß es nicht in beziehungsloser Allgemeinheit und Objektivität auftritt, sondern daß es sich von vornherein, selbst wenn es auch den Charakter der Allgemeinheit an sich trägt, doch an einen beson- dern Stand anschmiegt, ihm vertragsmäßig zugewiesen wird.54)
54) Der diesem besondern Stand zur Ehrenpflicht gemachte Schutz des
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 5
I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 3. Selbſterhaltungstrieb des Rechts. §. 27.
für die Entwicklung des römiſchen Rechts hat, um ſo mehr zu einem nähern Eingehen auf.
Was jene Gründe betrifft, ſo kamen zu der Eigenſchaft des römiſchen Volks, die den allgemeinen Grund für die Dauerhaf- tigkeit der römiſchen Rechtswelt überhaupt bildet, ſeiner conſer- vativen Tendenz, (B. 1 S. 308) noch beſondere Gründe hinzu, die ſich nur oder vorzugsweiſe auf das Zwölftafeln-Geſetz be- ziehen und demſelben gleich von vornherein eine große Feſtigkeit verliehen. Zuerſt die Art der Entſtehung. Für die phyſiſche wie die moraliſche Welt gilt gleichmäßig der Satz, daß was mit Schmerzen geboren wird, einen ganz andern Werth hat, als was leicht erworben ward. Ueber das Schickſal der Ge- ſetze entſcheidet nicht immer ihr Inhalt, ſondern auch ihre Entſtehungsweiſe, nicht bloß die Müheloſig- keit oder Mühſamkeit derſelben, — was uns hier allerdings allein intereſſirt — ſondern ihre Entſtehungsweiſe überhaupt; auch für die Geſetze gibt es glückliche und unglückliche Sterne, unter denen ſie geboren werden, und der Beruf des Geſetzge- bers bewährt ſich nicht bloß daran, die rechte Saat, ſondern auch die rechte Zeit der Ausſaat zu treffen.
Das Zwölftafeln-Geſetz war nun ein mühſam errungenes Gut, das auch das ſpätere Geſchlecht an die Kämpfe erinnerte, die es gekoſtet, ſo wie an den Werth, den man auf die Erlan- gung deſſelben gelegt hatte. Es kömmt hinzu, daß die ganze Ent- ſtehungsgeſchichte des Geſetzes ihm den Charakter einer von dem einen Theil des Volks dem andern Theil gemachten Conceſſion verlieh. Für das Intereſſe und die Liebe, mit der ein Geſetz um- faßt werden ſoll, iſt aber der Geſichtspunkt ſehr wichtig, daß es nicht in beziehungsloſer Allgemeinheit und Objektivität auftritt, ſondern daß es ſich von vornherein, ſelbſt wenn es auch den Charakter der Allgemeinheit an ſich trägt, doch an einen beſon- dern Stand anſchmiegt, ihm vertragsmäßig zugewieſen wird.54)
54) Der dieſem beſondern Stand zur Ehrenpflicht gemachte Schutz des
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 5
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I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 3. Selbſterhaltungstrieb des Rechts. §. 27.
für die Entwicklung des römiſchen Rechts hat, um ſo mehr zu
einem nähern Eingehen auf.
Was jene Gründe betrifft, ſo kamen zu der Eigenſchaft des
römiſchen Volks, die den allgemeinen Grund für die Dauerhaf-
tigkeit der römiſchen Rechtswelt überhaupt bildet, ſeiner conſer-
vativen Tendenz, (B. 1 S. 308) noch beſondere Gründe hinzu,
die ſich nur oder vorzugsweiſe auf das Zwölftafeln-Geſetz be-
ziehen und demſelben gleich von vornherein eine große Feſtigkeit
verliehen. Zuerſt die Art der Entſtehung. Für die phyſiſche wie
die moraliſche Welt gilt gleichmäßig der Satz, daß was mit
Schmerzen geboren wird, einen ganz andern Werth hat, als
was leicht erworben ward. Ueber das Schickſal der Ge-
ſetze entſcheidet nicht immer ihr Inhalt, ſondern
auch ihre Entſtehungsweiſe, nicht bloß die Müheloſig-
keit oder Mühſamkeit derſelben, — was uns hier allerdings
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auch für die Geſetze gibt es glückliche und unglückliche Sterne,
unter denen ſie geboren werden, und der Beruf des Geſetzge-
bers bewährt ſich nicht bloß daran, die rechte Saat, ſondern
auch die rechte Zeit der Ausſaat zu treffen.
Das Zwölftafeln-Geſetz war nun ein mühſam errungenes
Gut, das auch das ſpätere Geſchlecht an die Kämpfe erinnerte,
die es gekoſtet, ſo wie an den Werth, den man auf die Erlan-
gung deſſelben gelegt hatte. Es kömmt hinzu, daß die ganze Ent-
ſtehungsgeſchichte des Geſetzes ihm den Charakter einer von dem
einen Theil des Volks dem andern Theil gemachten Conceſſion
verlieh. Für das Intereſſe und die Liebe, mit der ein Geſetz um-
faßt werden ſoll, iſt aber der Geſichtspunkt ſehr wichtig, daß es
nicht in beziehungsloſer Allgemeinheit und Objektivität auftritt,
ſondern daß es ſich von vornherein, ſelbſt wenn es auch den
Charakter der Allgemeinheit an ſich trägt, doch an einen beſon-
dern Stand anſchmiegt, ihm vertragsmäßig zugewieſen wird. 54)
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/79>, abgerufen am 23.07.2024.
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