Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.I. Der Selbständigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26. es Gesetz. Das concrete wie das abstrakte Recht verdankt demGesetz nicht seine Existenz, sondern bloß seine formelle Anerken- nung.49) Das ältere Privatrecht, aus dem die Ursprünglichkeit, Selbständigkeit, die gewaltige Kraft und der Trotz des indi- viduellen Rechtsgefühls uns von allen Seiten anschaut, und jene moderne Idee, die ihm untergelegt werden soll -- in der That es kann kaum schneidendere Gegensätze geben, und ein alter Römer würde diese ihm angedichtete Vorstellung, als wenn er sein Recht lediglich dem Staat verdanke, als ob die Rechts- grundsätze, die einem Römer nicht minder hoch und theuer wa- ren, als andern Völkern die religiösen Glaubenssätze, ein Gegen- stand des bloßen Volksbeliebens seien -- willkührlich eingeführt, willkührlich wieder aufzuheben -- mit Entrüstung zurückgewiesen haben. Wie verfuhr denn das Volk, als es gezwungen war, die privatrechtliche Autonomie hinsichtlich der Höhe der Legate zu beschränken? Es wählte dazu einen Weg, der uns in der That durch das Uebermaß der Aengstlichkeit fast lächerlich erscheint. Es wurden nicht die Legate über den gesetzlich bestimmten Betrag für nichtig erklärt, sondern dem Legatar die Annahme des Ueber schusses indirekt untersagt.50) Da dies praktisch auf ein Verbot höherer Legate hinauslief, so kann der Grund, warum das Volk diesen Zweck auf einem Umwege verfolgte, nur darin gefunden werden, daß es sich scheute, die privatrechtliche Autonomie direkt zu beschränken. 49) Man vergleiche z. B. die bekannte Stelle bei Cicero pro Caecina c. 26: fundus a patre relinqui potest, at usucapio fundi, hoc est finis sollicitudinis ac periculi litium non a patre relinquitur, sed a le- gibus. Aquae ductus, haustus, iter, actus a patre, sed rata auc- toritas harum rerum omnium a jure civili sumitur. 50) Das Legat war und blieb seinem ganzen Betrage nach gültig und
klagbar, aber der Legatar, der sich die Kürzung desselben auf das gesetzliche Maximum nicht hatte gefallen lassen, dasselbe vielmehr zum ganzen Betrage eingeklagt hatte, mußte zur Strafe dem Erben den vierfachen Werth des Ueberschusses zahlen. I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26. es Geſetz. Das concrete wie das abſtrakte Recht verdankt demGeſetz nicht ſeine Exiſtenz, ſondern bloß ſeine formelle Anerken- nung.49) Das ältere Privatrecht, aus dem die Urſprünglichkeit, Selbſtändigkeit, die gewaltige Kraft und der Trotz des indi- viduellen Rechtsgefühls uns von allen Seiten anſchaut, und jene moderne Idee, die ihm untergelegt werden ſoll — in der That es kann kaum ſchneidendere Gegenſätze geben, und ein alter Römer würde dieſe ihm angedichtete Vorſtellung, als wenn er ſein Recht lediglich dem Staat verdanke, als ob die Rechts- grundſätze, die einem Römer nicht minder hoch und theuer wa- ren, als andern Völkern die religiöſen Glaubensſätze, ein Gegen- ſtand des bloßen Volksbeliebens ſeien — willkührlich eingeführt, willkührlich wieder aufzuheben — mit Entrüſtung zurückgewieſen haben. Wie verfuhr denn das Volk, als es gezwungen war, die privatrechtliche Autonomie hinſichtlich der Höhe der Legate zu beſchränken? Es wählte dazu einen Weg, der uns in der That durch das Uebermaß der Aengſtlichkeit faſt lächerlich erſcheint. Es wurden nicht die Legate über den geſetzlich beſtimmten Betrag für nichtig erklärt, ſondern dem Legatar die Annahme des Ueber ſchuſſes indirekt unterſagt.50) Da dies praktiſch auf ein Verbot höherer Legate hinauslief, ſo kann der Grund, warum das Volk dieſen Zweck auf einem Umwege verfolgte, nur darin gefunden werden, daß es ſich ſcheute, die privatrechtliche Autonomie direkt zu beſchränken. 49) Man vergleiche z. B. die bekannte Stelle bei Cicero pro Caecina c. 26: fundus a patre relinqui potest, at usucapio fundi, hoc est finis sollicitudinis ac periculi litium non a patre relinquitur, sed a le- gibus. Aquae ductus, haustus, iter, actus a patre, sed rata auc- toritas harum rerum omnium a jure civili sumitur. 50) Das Legat war und blieb ſeinem ganzen Betrage nach gültig und
klagbar, aber der Legatar, der ſich die Kürzung deſſelben auf das geſetzliche Maximum nicht hatte gefallen laſſen, daſſelbe vielmehr zum ganzen Betrage eingeklagt hatte, mußte zur Strafe dem Erben den vierfachen Werth des Ueberſchuſſes zahlen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0075" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26.</fw><lb/> es Geſetz. Das concrete wie das abſtrakte Recht verdankt dem<lb/> Geſetz nicht ſeine Exiſtenz, ſondern bloß ſeine formelle Anerken-<lb/> nung.<note place="foot" n="49)">Man vergleiche z. B. die bekannte Stelle bei <hi rendition="#aq">Cicero pro Caecina<lb/> c. 26: fundus a <hi rendition="#g">patre</hi> relinqui potest, at usucapio fundi, hoc est<lb/> finis sollicitudinis ac periculi litium non a patre relinquitur, <hi rendition="#g">sed a le-<lb/> gibus</hi>. Aquae ductus, haustus, iter, actus a <hi rendition="#g">patre</hi>, sed <hi rendition="#g">rata auc-<lb/> toritas harum rerum omnium a jure civili sumitur</hi></hi>.</note> Das ältere Privatrecht, aus dem die Urſprünglichkeit,<lb/> Selbſtändigkeit, die gewaltige Kraft und der Trotz des indi-<lb/> viduellen Rechtsgefühls uns von allen Seiten anſchaut, und<lb/> jene moderne Idee, die ihm untergelegt werden ſoll — in der<lb/> That es kann kaum ſchneidendere Gegenſätze geben, und ein alter<lb/> Römer würde dieſe ihm angedichtete Vorſtellung, als wenn er<lb/> ſein Recht lediglich dem Staat verdanke, als ob die Rechts-<lb/> grundſätze, die einem Römer nicht minder hoch und theuer wa-<lb/> ren, als andern Völkern die religiöſen Glaubensſätze, ein Gegen-<lb/> ſtand des bloßen Volksbeliebens ſeien — willkührlich eingeführt,<lb/> willkührlich wieder aufzuheben — mit Entrüſtung zurückgewieſen<lb/> haben. Wie verfuhr denn das Volk, als es gezwungen war, die<lb/> privatrechtliche Autonomie hinſichtlich der Höhe der Legate zu<lb/> beſchränken? Es wählte dazu einen Weg, der uns in der That<lb/> durch das Uebermaß der Aengſtlichkeit faſt lächerlich erſcheint.<lb/> Es wurden nicht die Legate über den geſetzlich beſtimmten Betrag<lb/> für nichtig erklärt, ſondern dem Legatar die Annahme des Ueber<lb/> ſchuſſes indirekt unterſagt.<note place="foot" n="50)">Das Legat war und blieb ſeinem ganzen Betrage nach gültig und<lb/> klagbar, aber der Legatar, der ſich die Kürzung deſſelben auf das geſetzliche<lb/> Maximum nicht hatte gefallen laſſen, daſſelbe vielmehr zum ganzen Betrage<lb/> eingeklagt hatte, mußte zur Strafe dem Erben den vierfachen Werth des<lb/> Ueberſchuſſes zahlen.</note> Da dies praktiſch auf ein Verbot<lb/> höherer Legate hinauslief, ſo kann der Grund, warum das Volk<lb/> dieſen Zweck auf einem Umwege verfolgte, nur darin gefunden<lb/> werden, daß es ſich ſcheute, die privatrechtliche Autonomie direkt<lb/> zu beſchränken.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0075]
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es Geſetz. Das concrete wie das abſtrakte Recht verdankt dem
Geſetz nicht ſeine Exiſtenz, ſondern bloß ſeine formelle Anerken-
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Selbſtändigkeit, die gewaltige Kraft und der Trotz des indi-
viduellen Rechtsgefühls uns von allen Seiten anſchaut, und
jene moderne Idee, die ihm untergelegt werden ſoll — in der
That es kann kaum ſchneidendere Gegenſätze geben, und ein alter
Römer würde dieſe ihm angedichtete Vorſtellung, als wenn er
ſein Recht lediglich dem Staat verdanke, als ob die Rechts-
grundſätze, die einem Römer nicht minder hoch und theuer wa-
ren, als andern Völkern die religiöſen Glaubensſätze, ein Gegen-
ſtand des bloßen Volksbeliebens ſeien — willkührlich eingeführt,
willkührlich wieder aufzuheben — mit Entrüſtung zurückgewieſen
haben. Wie verfuhr denn das Volk, als es gezwungen war, die
privatrechtliche Autonomie hinſichtlich der Höhe der Legate zu
beſchränken? Es wählte dazu einen Weg, der uns in der That
durch das Uebermaß der Aengſtlichkeit faſt lächerlich erſcheint.
Es wurden nicht die Legate über den geſetzlich beſtimmten Betrag
für nichtig erklärt, ſondern dem Legatar die Annahme des Ueber
ſchuſſes indirekt unterſagt. 50) Da dies praktiſch auf ein Verbot
höherer Legate hinauslief, ſo kann der Grund, warum das Volk
dieſen Zweck auf einem Umwege verfolgte, nur darin gefunden
werden, daß es ſich ſcheute, die privatrechtliche Autonomie direkt
zu beſchränken.
49) Man vergleiche z. B. die bekannte Stelle bei Cicero pro Caecina
c. 26: fundus a patre relinqui potest, at usucapio fundi, hoc est
finis sollicitudinis ac periculi litium non a patre relinquitur, sed a le-
gibus. Aquae ductus, haustus, iter, actus a patre, sed rata auc-
toritas harum rerum omnium a jure civili sumitur.
50) Das Legat war und blieb ſeinem ganzen Betrage nach gültig und
klagbar, aber der Legatar, der ſich die Kürzung deſſelben auf das geſetzliche
Maximum nicht hatte gefallen laſſen, daſſelbe vielmehr zum ganzen Betrage
eingeklagt hatte, mußte zur Strafe dem Erben den vierfachen Werth des
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