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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
als er es hier thut.47) Aber ganz abgesehen von solchen Aus-
sprüchen der Römer selbst bedarf es nur eines Blickes auf das
subjektive Prinzip (§. 10--12), um sich von der Irrigkeit der
obigen Behauptung zu überzeugen.

In welchem Umfange sich jenes Prinzip praktisch bethätigen
durfte, hing allerdings von der Gesetzgebung ab, es existirte prak-
tisch nicht weiter, als die Gesetzgebung es anerkannt hatte, aber
so wenig der Richterspruch darum als Grund und Quelle des
durch denselben festgestellten subjektiven Rechts gilt, weil letzte-
res nicht weiter existirt, als es rechtskräftig anerkannt ist, eben-
sowenig läßt sich aus demselben Grunde die gesetzgebende Ge-
walt des römischen Volks als Grund des Rechts bezeichnen.48)
Nicht das war die römische Vorstellung, als ob das Recht erst
mit dem Staat und der Gesetzgebung in die Welt gekommen;
nicht weil es Gesetz, war es Recht, sondern weil es Recht, war

neat invitus. Haec sunt enim fundamenta firmissima nostrae libertatis,
sui quemque juris et retinendi et dimittendi esse dominum.
47) pro domo c. 29: Scilicet cum hoc juris a majoribus proditum sit,
ut nemo civis Romanus aut libertatem aut civitatem possit amittere,
nisi ipse autor factus sit .... quaero, si aut negasses aut tacuisses
(der
zu Arrogirende bei Vornahme der Arrogation), si tamen id XXX curiae
jussissent, num id jussum esset ratum? Certe non. Quid ita? quia jus
a majoribus nostris, qui non ficte et fallaciter populares, sed vere et
sapienter fuerunt, ita comparatum est, ut civis Romanus libertatem
nemo posset invitus amittere ... c. 30: majores nostri ... de civitate
et libertate ea jura sanxerunt, quae nec vis temporum, nec potentia ma-
gistratuum, nec res judicata, nec denique universipopuli Romani
potestas
, quae ceteris in rebus est maxima, labefactare possit. c. 40:
Quid? non exceperas, ut si quod jus non esset rogare, ne esset rogatum?
Jus igitur statuetis esse, unius cujusque vestrum sedes, aras, focos,
deos penates subjectos esse libidini Tribunitiae?
48) Dieselbe Verwechslung, die der oben genannte Schriftsteller sich hier
hat zu Schulden kommen lassen, brachte vor Jahren Savigny'n wegen seiner
Lehre über die Entstehung des Rechts den Vorwurf der demokratischen Ten-
denz ein. S. über diese Verwechslung Stahl Rechtsphilos. Aufl. 2. B. 2.
Abth. 1. S. 193.

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
als er es hier thut.47) Aber ganz abgeſehen von ſolchen Aus-
ſprüchen der Römer ſelbſt bedarf es nur eines Blickes auf das
ſubjektive Prinzip (§. 10—12), um ſich von der Irrigkeit der
obigen Behauptung zu überzeugen.

In welchem Umfange ſich jenes Prinzip praktiſch bethätigen
durfte, hing allerdings von der Geſetzgebung ab, es exiſtirte prak-
tiſch nicht weiter, als die Geſetzgebung es anerkannt hatte, aber
ſo wenig der Richterſpruch darum als Grund und Quelle des
durch denſelben feſtgeſtellten ſubjektiven Rechts gilt, weil letzte-
res nicht weiter exiſtirt, als es rechtskräftig anerkannt iſt, eben-
ſowenig läßt ſich aus demſelben Grunde die geſetzgebende Ge-
walt des römiſchen Volks als Grund des Rechts bezeichnen.48)
Nicht das war die römiſche Vorſtellung, als ob das Recht erſt
mit dem Staat und der Geſetzgebung in die Welt gekommen;
nicht weil es Geſetz, war es Recht, ſondern weil es Recht, war

neat invitus. Haec sunt enim fundamenta firmissima nostrae libertatis,
sui quemque juris et retinendi et dimittendi esse dominum.
47) pro domo c. 29: Scilicet cum hoc juris a majoribus proditum sit,
ut nemo civis Romanus aut libertatem aut civitatem possit amittere,
nisi ipse autor factus sit .... quaero, si aut negasses aut tacuisses
(der
zu Arrogirende bei Vornahme der Arrogation), si tamen id XXX curiae
jussissent, num id jussum esset ratum? Certe non. Quid ita? quia jus
a majoribus nostris, qui non ficte et fallaciter populares, sed vere et
sapienter fuerunt, ita comparatum est, ut civis Romanus libertatem
nemo posset invitus amittere … c. 30: majores nostri … de civitate
et libertate ea jura sanxerunt, quae nec vis temporum, nec potentia ma-
gistratuum, nec res judicata, nec denique universipopuli Romani
potestas
, quae ceteris in rebus est maxima, labefactare possit. c. 40:
Quid? non exceperas, ut si quod jus non esset rogare, ne esset rogatum?
Jus igitur statuetis esse, unius cujusque vestrum sedes, aras, focos,
deos penates subjectos esse libidini Tribunitiae?
48) Dieſelbe Verwechſlung, die der oben genannte Schriftſteller ſich hier
hat zu Schulden kommen laſſen, brachte vor Jahren Savigny’n wegen ſeiner
Lehre über die Entſtehung des Rechts den Vorwurf der demokratiſchen Ten-
denz ein. S. über dieſe Verwechſlung Stahl Rechtsphiloſ. Aufl. 2. B. 2.
Abth. 1. S. 193.
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[60/0074] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. als er es hier thut. 47) Aber ganz abgeſehen von ſolchen Aus- ſprüchen der Römer ſelbſt bedarf es nur eines Blickes auf das ſubjektive Prinzip (§. 10—12), um ſich von der Irrigkeit der obigen Behauptung zu überzeugen. In welchem Umfange ſich jenes Prinzip praktiſch bethätigen durfte, hing allerdings von der Geſetzgebung ab, es exiſtirte prak- tiſch nicht weiter, als die Geſetzgebung es anerkannt hatte, aber ſo wenig der Richterſpruch darum als Grund und Quelle des durch denſelben feſtgeſtellten ſubjektiven Rechts gilt, weil letzte- res nicht weiter exiſtirt, als es rechtskräftig anerkannt iſt, eben- ſowenig läßt ſich aus demſelben Grunde die geſetzgebende Ge- walt des römiſchen Volks als Grund des Rechts bezeichnen. 48) Nicht das war die römiſche Vorſtellung, als ob das Recht erſt mit dem Staat und der Geſetzgebung in die Welt gekommen; nicht weil es Geſetz, war es Recht, ſondern weil es Recht, war 46) 47) pro domo c. 29: Scilicet cum hoc juris a majoribus proditum sit, ut nemo civis Romanus aut libertatem aut civitatem possit amittere, nisi ipse autor factus sit .... quaero, si aut negasses aut tacuisses (der zu Arrogirende bei Vornahme der Arrogation), si tamen id XXX curiae jussissent, num id jussum esset ratum? Certe non. Quid ita? quia jus a majoribus nostris, qui non ficte et fallaciter populares, sed vere et sapienter fuerunt, ita comparatum est, ut civis Romanus libertatem nemo posset invitus amittere … c. 30: majores nostri … de civitate et libertate ea jura sanxerunt, quae nec vis temporum, nec potentia ma- gistratuum, nec res judicata, nec denique universipopuli Romani potestas, quae ceteris in rebus est maxima, labefactare possit. c. 40: Quid? non exceperas, ut si quod jus non esset rogare, ne esset rogatum? Jus igitur statuetis esse, unius cujusque vestrum sedes, aras, focos, deos penates subjectos esse libidini Tribunitiae? 48) Dieſelbe Verwechſlung, die der oben genannte Schriftſteller ſich hier hat zu Schulden kommen laſſen, brachte vor Jahren Savigny’n wegen ſeiner Lehre über die Entſtehung des Rechts den Vorwurf der demokratiſchen Ten- denz ein. S. über dieſe Verwechſlung Stahl Rechtsphiloſ. Aufl. 2. B. 2. Abth. 1. S. 193. 46) neat invitus. Haec sunt enim fundamenta firmissima nostrae libertatis, sui quemque juris et retinendi et dimittendi esse dominum.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/74>, abgerufen am 27.11.2024.