Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.
I. Der Selbständigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26. des Vorsprunges, den die wissenschaftliche Cultur des Privat-rechts vor der des Kriminalrechts erlangt hat.32) Als letzteres in den Gesetzen über die quaestiones perpetuae sich abzulagern begann, hatte ersteres bereits seit Jahrhunderten die Vortheile des Zustandes der Festigkeit genossen, wozu noch kam, daß die- ser Ablagerungsprozeß dort in die Zeiten der Auflösung der Re- publik fiel, und daß auch die folgenden Jahrhunderte einer ruhigen Entwicklung des Vorhandenen nichts weniger als gün- stig waren, während das Privatrecht es in dieser Beziehung sehr glücklich traf. 2. Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts. Ausscheidung fremdartiger Elemente -- abgesonderte Befriedi- XXVI. Wir haben im bisherigen bloß die Bedeutung der 32) In Deutschland haben entgegengesetzte Ursachen entgegengesetzte
Wirkungen zur Folge gehabt, wenigstens finde ich den Grund, warum das Kriminalrecht in seiner wissenschaftlichen Ausbildung das deutsche Privatrecht überflügelt hat, vorzugsweise in der gemeinrechtlichen Fixirung desselben durch die Carolina. I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26. des Vorſprunges, den die wiſſenſchaftliche Cultur des Privat-rechts vor der des Kriminalrechts erlangt hat.32) Als letzteres in den Geſetzen über die quaestiones perpetuae ſich abzulagern begann, hatte erſteres bereits ſeit Jahrhunderten die Vortheile des Zuſtandes der Feſtigkeit genoſſen, wozu noch kam, daß die- ſer Ablagerungsprozeß dort in die Zeiten der Auflöſung der Re- publik fiel, und daß auch die folgenden Jahrhunderte einer ruhigen Entwicklung des Vorhandenen nichts weniger als gün- ſtig waren, während das Privatrecht es in dieſer Beziehung ſehr glücklich traf. 2. Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts. Ausſcheidung fremdartiger Elemente — abgeſonderte Befriedi- XXVI. Wir haben im bisherigen bloß die Bedeutung der 32) In Deutſchland haben entgegengeſetzte Urſachen entgegengeſetzte
Wirkungen zur Folge gehabt, wenigſtens finde ich den Grund, warum das Kriminalrecht in ſeiner wiſſenſchaftlichen Ausbildung das deutſche Privatrecht überflügelt hat, vorzugsweiſe in der gemeinrechtlichen Fixirung deſſelben durch die Carolina. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0061" n="47"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26.</fw><lb/> des Vorſprunges, den die wiſſenſchaftliche Cultur des Privat-<lb/> rechts vor der des Kriminalrechts erlangt hat.<note place="foot" n="32)">In Deutſchland haben entgegengeſetzte Urſachen entgegengeſetzte<lb/> Wirkungen zur Folge gehabt, wenigſtens finde ich den Grund, warum das<lb/> Kriminalrecht in ſeiner wiſſenſchaftlichen Ausbildung das deutſche Privatrecht<lb/> überflügelt hat, vorzugsweiſe in der gemeinrechtlichen Fixirung deſſelben durch<lb/> die <hi rendition="#aq">Carolina</hi>.</note> Als letzteres<lb/> in den Geſetzen über die <hi rendition="#aq">quaestiones perpetuae</hi> ſich abzulagern<lb/> begann, hatte erſteres bereits ſeit Jahrhunderten die Vortheile<lb/> des Zuſtandes der Feſtigkeit genoſſen, wozu noch kam, daß die-<lb/> ſer Ablagerungsprozeß dort in die Zeiten der Auflöſung der Re-<lb/> publik fiel, und daß auch die folgenden Jahrhunderte einer<lb/> ruhigen Entwicklung des Vorhandenen nichts weniger als gün-<lb/> ſtig waren, während das Privatrecht es in dieſer Beziehung ſehr<lb/> glücklich traf.</p> </div><lb/> <div n="5"> <head>2. <hi rendition="#g">Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts</hi>.</head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#b">Ausſcheidung fremdartiger Elemente — abgeſonderte Befriedi-<lb/> gung derſelben, des religiöſen im <hi rendition="#aq">Fas,</hi> des moraliſchen und poli-<lb/> tiſch-ökonomiſchen in der Cenſur — die Cenſur ein Ableiter für<lb/> das Recht. — Scharfer Gegenſatz zwiſchen Recht und Moral.</hi> </p> </argument><lb/> <p><hi rendition="#aq">XXVI.</hi> Wir haben im bisherigen bloß die Bedeutung der<lb/> Form des Rechts ins Auge gefaßt; aber mit der Form allein<lb/> iſt es nicht gethan. Was nützt der Uebergang von der Sitte<lb/> zum Geſetz, wenn nicht zugleich das Recht ſich innerlich zu ſich<lb/> ſelbſt erhebt, ſondern wenn, wie dies z. B. in den orientaliſchen<lb/> Geſetz- und Religionsbüchern der Fall iſt, der geſammte ſittliche<lb/> Stoff, der ſich im Volk entwickelt hat, ungeſichtet und unge-<lb/> trennt in das Geſetzbuch hinübergeleitet wird? Jener primitive<lb/> Zuſtand, von dem wir im vorigen Paragraphen geſprochen, ſoll<lb/> in der Weiſe ein Ende nehmen, daß die verſchiedenen Elemente<lb/> der ſittlichen Subſtanz: Religion, Recht, Moral u. ſ. w. ſich<lb/> innerlich ſcheiden; wo dies nicht der Fall iſt, dennoch aber jener<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0061]
I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26.
des Vorſprunges, den die wiſſenſchaftliche Cultur des Privat-
rechts vor der des Kriminalrechts erlangt hat. 32) Als letzteres
in den Geſetzen über die quaestiones perpetuae ſich abzulagern
begann, hatte erſteres bereits ſeit Jahrhunderten die Vortheile
des Zuſtandes der Feſtigkeit genoſſen, wozu noch kam, daß die-
ſer Ablagerungsprozeß dort in die Zeiten der Auflöſung der Re-
publik fiel, und daß auch die folgenden Jahrhunderte einer
ruhigen Entwicklung des Vorhandenen nichts weniger als gün-
ſtig waren, während das Privatrecht es in dieſer Beziehung ſehr
glücklich traf.
2. Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts.
Ausſcheidung fremdartiger Elemente — abgeſonderte Befriedi-
gung derſelben, des religiöſen im Fas, des moraliſchen und poli-
tiſch-ökonomiſchen in der Cenſur — die Cenſur ein Ableiter für
das Recht. — Scharfer Gegenſatz zwiſchen Recht und Moral.
XXVI. Wir haben im bisherigen bloß die Bedeutung der
Form des Rechts ins Auge gefaßt; aber mit der Form allein
iſt es nicht gethan. Was nützt der Uebergang von der Sitte
zum Geſetz, wenn nicht zugleich das Recht ſich innerlich zu ſich
ſelbſt erhebt, ſondern wenn, wie dies z. B. in den orientaliſchen
Geſetz- und Religionsbüchern der Fall iſt, der geſammte ſittliche
Stoff, der ſich im Volk entwickelt hat, ungeſichtet und unge-
trennt in das Geſetzbuch hinübergeleitet wird? Jener primitive
Zuſtand, von dem wir im vorigen Paragraphen geſprochen, ſoll
in der Weiſe ein Ende nehmen, daß die verſchiedenen Elemente
der ſittlichen Subſtanz: Religion, Recht, Moral u. ſ. w. ſich
innerlich ſcheiden; wo dies nicht der Fall iſt, dennoch aber jener
32) In Deutſchland haben entgegengeſetzte Urſachen entgegengeſetzte
Wirkungen zur Folge gehabt, wenigſtens finde ich den Grund, warum das
Kriminalrecht in ſeiner wiſſenſchaftlichen Ausbildung das deutſche Privatrecht
überflügelt hat, vorzugsweiſe in der gemeinrechtlichen Fixirung deſſelben durch
die Carolina.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/61 |
| Zitationshilfe: | Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/61>, abgerufen am 18.11.2024. |
