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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
abstracte Recht selbst bereichern, weniger indem sie Sätze zu ge-
wohnheitsrechtlicher Geltung bringt, die der äußern Autorität
bedürfen, um zu gelten, als indem sie Sätze, Begriffe, rechtliche
Mittel und Wege auffindet, die nur von dem juristischen Be-
wußtsein in Besitz genommen
zu werden brauchen. Es
ist, so zu sagen, eine auf Veranlassung des praktischen Bedürf-
nisses unternommene Entdeckungsreise des Verkehrs auf dem Ge-
biete der Autonomie; was er hier findet, sind verborgene Parthien
des Rechts selbst, die mit der Autonomie bereits gegeben sind
-- apriorisch zu bestimmende Combinationen des Vermögens-
austausches, in der Natur der Sache gelegene Unterschiede, kurz
die natürliche Gliederung und innere Logik der Verhältnisse, in
denen der Verkehr sich bewegt.

Das ältere Recht hatte den Verkehr im wesentlichen sich
selbst überlassen und zwar in dem Maße, daß es ihm nicht ein-
mal mit sogenannten dispositiven (subsidiären, die Autono-
mie ergänzenden) Bestimmungen zu Hülfe kam. Jedes einzelne
Rechtsgeschäft, das abgeschlossen ward, mußte mithin außer
seinem materiellen Inhalt zugleich sämmtliche Normen aufstel-
len, nach denen es sich beurtheilt wissen wollte; die lex, leges
contractus
mußten die leges de contractibus ersetzen. Ohne
allen gesetzlichen Anhaltspunkt hätte sich also der Verkehr in
eine endlose Masse verschiedener Rechtsgeschäfte zersplittern kön-
nen, allein es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß einmal
die Gleichmäßigkeit der innern Motive des Verkehrs (der
menschlichen Bedürfnisse) mit Nothwendigkeit dahin führt, daß
gewisse, im wesentlichen sich gleich bleibende Grundformen von
Geschäften sich wiederholen, und daß andrerseits das Bedürfniß
und der instinktive Zug des Verkehrs nach Ordnung ihn auch
abgesehen davon zur Innehaltung gewisser Bahnen veranlaßt.
So nun auch in Rom. Die Classifikation der hauptsächlichsten
Geschäfte, des Geldgeschäfts, des Kauf-, Mieth-Contrakts
u. s. w. versteht sich schon für die ältesten Zeiten von selbst,
wenn auch die Form derselben eine vielfach andere war, als spä-

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
abſtracte Recht ſelbſt bereichern, weniger indem ſie Sätze zu ge-
wohnheitsrechtlicher Geltung bringt, die der äußern Autorität
bedürfen, um zu gelten, als indem ſie Sätze, Begriffe, rechtliche
Mittel und Wege auffindet, die nur von dem juriſtiſchen Be-
wußtſein in Beſitz genommen
zu werden brauchen. Es
iſt, ſo zu ſagen, eine auf Veranlaſſung des praktiſchen Bedürf-
niſſes unternommene Entdeckungsreiſe des Verkehrs auf dem Ge-
biete der Autonomie; was er hier findet, ſind verborgene Parthien
des Rechts ſelbſt, die mit der Autonomie bereits gegeben ſind
— aprioriſch zu beſtimmende Combinationen des Vermögens-
austauſches, in der Natur der Sache gelegene Unterſchiede, kurz
die natürliche Gliederung und innere Logik der Verhältniſſe, in
denen der Verkehr ſich bewegt.

Das ältere Recht hatte den Verkehr im weſentlichen ſich
ſelbſt überlaſſen und zwar in dem Maße, daß es ihm nicht ein-
mal mit ſogenannten dispoſitiven (ſubſidiären, die Autono-
mie ergänzenden) Beſtimmungen zu Hülfe kam. Jedes einzelne
Rechtsgeſchäft, das abgeſchloſſen ward, mußte mithin außer
ſeinem materiellen Inhalt zugleich ſämmtliche Normen aufſtel-
len, nach denen es ſich beurtheilt wiſſen wollte; die lex, leges
contractus
mußten die leges de contractibus erſetzen. Ohne
allen geſetzlichen Anhaltspunkt hätte ſich alſo der Verkehr in
eine endloſe Maſſe verſchiedener Rechtsgeſchäfte zerſplittern kön-
nen, allein es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß einmal
die Gleichmäßigkeit der innern Motive des Verkehrs (der
menſchlichen Bedürfniſſe) mit Nothwendigkeit dahin führt, daß
gewiſſe, im weſentlichen ſich gleich bleibende Grundformen von
Geſchäften ſich wiederholen, und daß andrerſeits das Bedürfniß
und der inſtinktive Zug des Verkehrs nach Ordnung ihn auch
abgeſehen davon zur Innehaltung gewiſſer Bahnen veranlaßt.
So nun auch in Rom. Die Claſſifikation der hauptſächlichſten
Geſchäfte, des Geldgeſchäfts, des Kauf-, Mieth-Contrakts
u. ſ. w. verſteht ſich ſchon für die älteſten Zeiten von ſelbſt,
wenn auch die Form derſelben eine vielfach andere war, als ſpä-

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[312/0326] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. abſtracte Recht ſelbſt bereichern, weniger indem ſie Sätze zu ge- wohnheitsrechtlicher Geltung bringt, die der äußern Autorität bedürfen, um zu gelten, als indem ſie Sätze, Begriffe, rechtliche Mittel und Wege auffindet, die nur von dem juriſtiſchen Be- wußtſein in Beſitz genommen zu werden brauchen. Es iſt, ſo zu ſagen, eine auf Veranlaſſung des praktiſchen Bedürf- niſſes unternommene Entdeckungsreiſe des Verkehrs auf dem Ge- biete der Autonomie; was er hier findet, ſind verborgene Parthien des Rechts ſelbſt, die mit der Autonomie bereits gegeben ſind — aprioriſch zu beſtimmende Combinationen des Vermögens- austauſches, in der Natur der Sache gelegene Unterſchiede, kurz die natürliche Gliederung und innere Logik der Verhältniſſe, in denen der Verkehr ſich bewegt. Das ältere Recht hatte den Verkehr im weſentlichen ſich ſelbſt überlaſſen und zwar in dem Maße, daß es ihm nicht ein- mal mit ſogenannten dispoſitiven (ſubſidiären, die Autono- mie ergänzenden) Beſtimmungen zu Hülfe kam. Jedes einzelne Rechtsgeſchäft, das abgeſchloſſen ward, mußte mithin außer ſeinem materiellen Inhalt zugleich ſämmtliche Normen aufſtel- len, nach denen es ſich beurtheilt wiſſen wollte; die lex, leges contractus mußten die leges de contractibus erſetzen. Ohne allen geſetzlichen Anhaltspunkt hätte ſich alſo der Verkehr in eine endloſe Maſſe verſchiedener Rechtsgeſchäfte zerſplittern kön- nen, allein es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß einmal die Gleichmäßigkeit der innern Motive des Verkehrs (der menſchlichen Bedürfniſſe) mit Nothwendigkeit dahin führt, daß gewiſſe, im weſentlichen ſich gleich bleibende Grundformen von Geſchäften ſich wiederholen, und daß andrerſeits das Bedürfniß und der inſtinktive Zug des Verkehrs nach Ordnung ihn auch abgeſehen davon zur Innehaltung gewiſſer Bahnen veranlaßt. So nun auch in Rom. Die Claſſifikation der hauptſächlichſten Geſchäfte, des Geldgeſchäfts, des Kauf-, Mieth-Contrakts u. ſ. w. verſteht ſich ſchon für die älteſten Zeiten von ſelbſt, wenn auch die Form derſelben eine vielfach andere war, als ſpä-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/326>, abgerufen am 29.11.2024.