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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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C. Histor. Bedeutung d. Systems. -- Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
tisch durchsetzte, die Gestalt, die sie den reinen Rechtsinstituten
gab, die positiven Institute, die sie selbst hervorgebracht hatte
-- alles das waren Thatsachen, die jeder kannte und respek-
tirte, denen man aber trotz alle dem eine rechtliche Bedeutung
fortwährend versagte. So konnte denn der abstract-rechtliche
Zuschnitt der Gewaltverhältnisse Jahrhunderte lang in seiner
Ursprünglichkeit und begrifflichen Reinheit unverändert erhal-
ten werden. Was auch das Leben aus ihnen machte, wie auch
ihr praktisches Verhalten und die sittlichen und politischen
Ideen, so wie die thatsächlichen Gewalten, die sie in diesem
Verhalten bestimmten, wechseln mochten -- der abstracte Be-
griff blieb, soweit nicht das Gesetz eine Aenderung traf, über
allen Wechsel erhaben, immer derselbe. Für das Leben hatte
diese starre Unveränderlichkeit des abstracten Rechts keinen
Nachtheil, da einerseits die abstracten Formen weit genug wa-
ren, um allen Strömungen des Lebens freien Spielraum zu
gewähren, und andrerseits das Leben selbst einen hinlänglichen
Reichthum an Kräften und Mitteln besaß, um das, was Noth
that, auch ohne eine Aenderung des Rechts zu erzwingen. Erst
als diese Kräfte schwach wurden, ward dieser Zustand unhalt-
bar und das Recht gezwungen, sich dem zu akkommodiren.
Wie sehr diese frühere Stabilität des Rechts seiner Cultur för-
derlich sein mußte, darüber brauche ich wohl kaum ein Wort zu
verlieren. Die Freiheit, die das Recht dem Subjekt
eingeräumt hatte, hat für letzteres selbst reichliche
Früchte getragen
.

Während nun nach dieser Seite hin das abstracte Recht
von der Bewegung innerhalb des Lebens gar nicht berührt
ward, gibt es allerdings Einen Punkt, wo diese Bewegung auf
das Recht selbst einen nicht unwichtigen Einfluß äußerte und
einen Niederschlag von abstract-rechtlichem Material zur Folge
hatte. Es war dies die rechtliche Produktivität der autono-
mischen Bewegung des Vermögens-Verkehrs
.

Die autonomische Thätigkeit des Verkehrs wird überall das

C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. — Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
tiſch durchſetzte, die Geſtalt, die ſie den reinen Rechtsinſtituten
gab, die poſitiven Inſtitute, die ſie ſelbſt hervorgebracht hatte
— alles das waren Thatſachen, die jeder kannte und reſpek-
tirte, denen man aber trotz alle dem eine rechtliche Bedeutung
fortwährend verſagte. So konnte denn der abſtract-rechtliche
Zuſchnitt der Gewaltverhältniſſe Jahrhunderte lang in ſeiner
Urſprünglichkeit und begrifflichen Reinheit unverändert erhal-
ten werden. Was auch das Leben aus ihnen machte, wie auch
ihr praktiſches Verhalten und die ſittlichen und politiſchen
Ideen, ſo wie die thatſächlichen Gewalten, die ſie in dieſem
Verhalten beſtimmten, wechſeln mochten — der abſtracte Be-
griff blieb, ſoweit nicht das Geſetz eine Aenderung traf, über
allen Wechſel erhaben, immer derſelbe. Für das Leben hatte
dieſe ſtarre Unveränderlichkeit des abſtracten Rechts keinen
Nachtheil, da einerſeits die abſtracten Formen weit genug wa-
ren, um allen Strömungen des Lebens freien Spielraum zu
gewähren, und andrerſeits das Leben ſelbſt einen hinlänglichen
Reichthum an Kräften und Mitteln beſaß, um das, was Noth
that, auch ohne eine Aenderung des Rechts zu erzwingen. Erſt
als dieſe Kräfte ſchwach wurden, ward dieſer Zuſtand unhalt-
bar und das Recht gezwungen, ſich dem zu akkommodiren.
Wie ſehr dieſe frühere Stabilität des Rechts ſeiner Cultur för-
derlich ſein mußte, darüber brauche ich wohl kaum ein Wort zu
verlieren. Die Freiheit, die das Recht dem Subjekt
eingeräumt hatte, hat für letzteres ſelbſt reichliche
Früchte getragen
.

Während nun nach dieſer Seite hin das abſtracte Recht
von der Bewegung innerhalb des Lebens gar nicht berührt
ward, gibt es allerdings Einen Punkt, wo dieſe Bewegung auf
das Recht ſelbſt einen nicht unwichtigen Einfluß äußerte und
einen Niederſchlag von abſtract-rechtlichem Material zur Folge
hatte. Es war dies die rechtliche Produktivität der autono-
miſchen Bewegung des Vermögens-Verkehrs
.

Die autonomiſche Thätigkeit des Verkehrs wird überall das

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[311/0325] C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. — Entdeckung d. Privatrechts. §. 36. tiſch durchſetzte, die Geſtalt, die ſie den reinen Rechtsinſtituten gab, die poſitiven Inſtitute, die ſie ſelbſt hervorgebracht hatte — alles das waren Thatſachen, die jeder kannte und reſpek- tirte, denen man aber trotz alle dem eine rechtliche Bedeutung fortwährend verſagte. So konnte denn der abſtract-rechtliche Zuſchnitt der Gewaltverhältniſſe Jahrhunderte lang in ſeiner Urſprünglichkeit und begrifflichen Reinheit unverändert erhal- ten werden. Was auch das Leben aus ihnen machte, wie auch ihr praktiſches Verhalten und die ſittlichen und politiſchen Ideen, ſo wie die thatſächlichen Gewalten, die ſie in dieſem Verhalten beſtimmten, wechſeln mochten — der abſtracte Be- griff blieb, ſoweit nicht das Geſetz eine Aenderung traf, über allen Wechſel erhaben, immer derſelbe. Für das Leben hatte dieſe ſtarre Unveränderlichkeit des abſtracten Rechts keinen Nachtheil, da einerſeits die abſtracten Formen weit genug wa- ren, um allen Strömungen des Lebens freien Spielraum zu gewähren, und andrerſeits das Leben ſelbſt einen hinlänglichen Reichthum an Kräften und Mitteln beſaß, um das, was Noth that, auch ohne eine Aenderung des Rechts zu erzwingen. Erſt als dieſe Kräfte ſchwach wurden, ward dieſer Zuſtand unhalt- bar und das Recht gezwungen, ſich dem zu akkommodiren. Wie ſehr dieſe frühere Stabilität des Rechts ſeiner Cultur för- derlich ſein mußte, darüber brauche ich wohl kaum ein Wort zu verlieren. Die Freiheit, die das Recht dem Subjekt eingeräumt hatte, hat für letzteres ſelbſt reichliche Früchte getragen. Während nun nach dieſer Seite hin das abſtracte Recht von der Bewegung innerhalb des Lebens gar nicht berührt ward, gibt es allerdings Einen Punkt, wo dieſe Bewegung auf das Recht ſelbſt einen nicht unwichtigen Einfluß äußerte und einen Niederſchlag von abſtract-rechtlichem Material zur Folge hatte. Es war dies die rechtliche Produktivität der autono- miſchen Bewegung des Vermögens-Verkehrs. Die autonomiſche Thätigkeit des Verkehrs wird überall das

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/325>, abgerufen am 29.11.2024.