C. Histor. Bedeutung d. Systems. -- Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
Wesen der letzteren besteht gerade darin, daß sie von allem Nicht- juristischen in den Verhältnissen abstrahirt, und Nicht-juristisch ist alles, was auf den Gesichtspunkt der Macht nicht reagirt.
Daß ganz verschiedenartige Ideen und Rücksichten bei der legislativen Gestaltung eines Herrschaftsverhältnisses mitwir- ken können z. B. die Rücksicht auf das öffentliche Wohl, die Sittlichkeit u. s. w., wird Niemand läugnen, aber juristisch ge- sprochen besteht dieser Einfluß nicht darin, daß sie in das In- nere des Verhältnisses eine fremdartige Substanz brächten, den Inhalt desselben qualitativ zu etwas anderem machten, als Willensmacht, sondern daß sie, so zu sagen, von außen ge- gen die Wände des Rechtsverhältnisses drücken und dadurch den Machtgehalt desselben beschränken, die Herrschaft mehr oder weniger comprimiren. Wie sehr immerhin die sittliche Auf- fassung eines und desselben Instituts zu verschiedenen Zeiten variirt, wie sehr diese Verschiedenheit in der rechtlichen Gestal- tung des Instituts sich verwirklicht haben mag -- vom juristi- schen Standpunkte aus dürfen wir dieser Thatsache keinen andern Ausdruck geben, als: der Machtgehalt des Instituts war hier ein weiterer, dort ein geringerer. Die Unter- schiede also z. B. zwischen der Vormundschaft, dem Verhältniß des Vaters zu den Kindern, des Mannes zur Frau u. s. w. im ältern römischen und heutigen Recht reduciren sich, wenn man sie juristisch bezeichnen will, auf eine quantitative Differenz in dem Machtgehalt jener Verhältnisse und die Begründung einer gegenüberstehenden Macht (des Mündels, Kindes, der Frau); es heißt wie ein Laie sprechen, wenn man sagt, daß jene Verhält- nisse nicht mehr Gewaltverhältnisse seien, der nüchterne Gedanke der Macht hier vielmehr irgend einem edlern das Feld geräumt oder sich mit ihm zu irgend einem höhern, den Römern unbe- kannten, verbunden habe.
Man lasse sich dadurch nicht täuschen, daß der Zweck des Verhältnisses nicht immer in dem selbstnützigen Genuß der Macht besteht. Der Beamte hat seine Macht nicht seinetwegen,
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C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. — Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
Weſen der letzteren beſteht gerade darin, daß ſie von allem Nicht- juriſtiſchen in den Verhältniſſen abſtrahirt, und Nicht-juriſtiſch iſt alles, was auf den Geſichtspunkt der Macht nicht reagirt.
Daß ganz verſchiedenartige Ideen und Rückſichten bei der legislativen Geſtaltung eines Herrſchaftsverhältniſſes mitwir- ken können z. B. die Rückſicht auf das öffentliche Wohl, die Sittlichkeit u. ſ. w., wird Niemand läugnen, aber juriſtiſch ge- ſprochen beſteht dieſer Einfluß nicht darin, daß ſie in das In- nere des Verhältniſſes eine fremdartige Subſtanz brächten, den Inhalt deſſelben qualitativ zu etwas anderem machten, als Willensmacht, ſondern daß ſie, ſo zu ſagen, von außen ge- gen die Wände des Rechtsverhältniſſes drücken und dadurch den Machtgehalt deſſelben beſchränken, die Herrſchaft mehr oder weniger comprimiren. Wie ſehr immerhin die ſittliche Auf- faſſung eines und deſſelben Inſtituts zu verſchiedenen Zeiten variirt, wie ſehr dieſe Verſchiedenheit in der rechtlichen Geſtal- tung des Inſtituts ſich verwirklicht haben mag — vom juriſti- ſchen Standpunkte aus dürfen wir dieſer Thatſache keinen andern Ausdruck geben, als: der Machtgehalt des Inſtituts war hier ein weiterer, dort ein geringerer. Die Unter- ſchiede alſo z. B. zwiſchen der Vormundſchaft, dem Verhältniß des Vaters zu den Kindern, des Mannes zur Frau u. ſ. w. im ältern römiſchen und heutigen Recht reduciren ſich, wenn man ſie juriſtiſch bezeichnen will, auf eine quantitative Differenz in dem Machtgehalt jener Verhältniſſe und die Begründung einer gegenüberſtehenden Macht (des Mündels, Kindes, der Frau); es heißt wie ein Laie ſprechen, wenn man ſagt, daß jene Verhält- niſſe nicht mehr Gewaltverhältniſſe ſeien, der nüchterne Gedanke der Macht hier vielmehr irgend einem edlern das Feld geräumt oder ſich mit ihm zu irgend einem höhern, den Römern unbe- kannten, verbunden habe.
Man laſſe ſich dadurch nicht täuſchen, daß der Zweck des Verhältniſſes nicht immer in dem ſelbſtnützigen Genuß der Macht beſteht. Der Beamte hat ſeine Macht nicht ſeinetwegen,
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C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. — Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
Weſen der letzteren beſteht gerade darin, daß ſie von allem Nicht-
juriſtiſchen in den Verhältniſſen abſtrahirt, und Nicht-juriſtiſch
iſt alles, was auf den Geſichtspunkt der Macht nicht reagirt.
Daß ganz verſchiedenartige Ideen und Rückſichten bei der
legislativen Geſtaltung eines Herrſchaftsverhältniſſes mitwir-
ken können z. B. die Rückſicht auf das öffentliche Wohl, die
Sittlichkeit u. ſ. w., wird Niemand läugnen, aber juriſtiſch ge-
ſprochen beſteht dieſer Einfluß nicht darin, daß ſie in das In-
nere des Verhältniſſes eine fremdartige Subſtanz brächten, den
Inhalt deſſelben qualitativ zu etwas anderem machten, als
Willensmacht, ſondern daß ſie, ſo zu ſagen, von außen ge-
gen die Wände des Rechtsverhältniſſes drücken und dadurch den
Machtgehalt deſſelben beſchränken, die Herrſchaft mehr oder
weniger comprimiren. Wie ſehr immerhin die ſittliche Auf-
faſſung eines und deſſelben Inſtituts zu verſchiedenen Zeiten
variirt, wie ſehr dieſe Verſchiedenheit in der rechtlichen Geſtal-
tung des Inſtituts ſich verwirklicht haben mag — vom juriſti-
ſchen Standpunkte aus dürfen wir dieſer Thatſache keinen andern
Ausdruck geben, als: der Machtgehalt des Inſtituts war
hier ein weiterer, dort ein geringerer. Die Unter-
ſchiede alſo z. B. zwiſchen der Vormundſchaft, dem Verhältniß
des Vaters zu den Kindern, des Mannes zur Frau u. ſ. w. im
ältern römiſchen und heutigen Recht reduciren ſich, wenn man
ſie juriſtiſch bezeichnen will, auf eine quantitative Differenz in
dem Machtgehalt jener Verhältniſſe und die Begründung einer
gegenüberſtehenden Macht (des Mündels, Kindes, der Frau); es
heißt wie ein Laie ſprechen, wenn man ſagt, daß jene Verhält-
niſſe nicht mehr Gewaltverhältniſſe ſeien, der nüchterne Gedanke
der Macht hier vielmehr irgend einem edlern das Feld geräumt
oder ſich mit ihm zu irgend einem höhern, den Römern unbe-
kannten, verbunden habe.
Man laſſe ſich dadurch nicht täuſchen, daß der Zweck des
Verhältniſſes nicht immer in dem ſelbſtnützigen Genuß der
Macht beſteht. Der Beamte hat ſeine Macht nicht ſeinetwegen,
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/321>, abgerufen am 16.08.2024.
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