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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Es gab in Rom Eine Gewalt, an der die Macht der Sitte
sich wie an keinem andern Punkt bethätigte, den römischen Se-
nat, und unsere Aufgabe verstattet uns, wenigstens nach einer
Seite einen Blick auf ihn zu werfen, nämlich was sein Verhält-
niß zu den Magistraten, namentlich den Consuln anbetrifft. 445)
Daß dem Rechte nach der Senat nur eine rein berathende Be-
hörde war und nicht über, sondern unter den Consuln stand,
darüber würde wahrscheinlich gar kein Zweifel herrschen, wenn
hier nicht wiederum die Gestaltung, die dies Verhältniß in der
Sitte gewonnen hatte, irre geleitet hätte. Die Formen, in die
der Senat seine Beschlüsse einkleidete, 446) sollten allein schon
auf den rechten Weg weisen, und außerdem fehlte es nicht an
historischen Thatsachen und Aeußerungen der Römer, die jenes
Verhältniß des Senats in das klarste Licht setzen. 447) Es be-

Bearbeitung des römischen Staatsrechts sich durch den Zweck leiten zu las-
sen, überall bestimmte und sichere Rechtsgrundsätze zu gewinnen, umgekehrt
einmal die Controversen desselben zu sammeln. Es ist mir hier nicht möglich
das Material, das ich mir gesammelt, mitzutheilen, ganz abgesehen davon,
daß es noch bei weitem nicht vollständig ist. Aber ich kann auf Grund dessel-
ben Jedem, der sich zu einer solchen Arbeit entschließen wollte, im voraus
eine sehr reiche Ausbeute in Aussicht stellen.
445) Fast alle Normen, die sich in Bezug auf den Senat entwickelt hat-
ten, waren meiner Ansicht nach Praxis und Sitte, z. B. die Verpflichtung
zur Berufung des Senats, zur Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge bei
der Abstimmung, die Wirkung der senatus autoritas, daß sie den Beam-
ten, der dieser autoritas gefolgt war, gegen eine Anklage vor dem Volk sicher
stellte u. s. w.
446) Senatui placere, videri, senatum existimare, arbitrari, aequum
censere etc. Brisson. de voc. ac form. lib. II, c.
73--78. Daher auch
der Beschluß selbst: Senatus consultum.
447) z. B. Dionys. excerpta XVI, 16, wo der Consul einen Senats-
beschluß mit den Worten zurückwies: ou ten boulen arkhein eautou, eos
estin upatos, all auton tes boules, ferner solche Scenen, wie z. B. bei
Val. Max. VI, 2. 2. IX, 5. 1, 2, wo der Senat sich dem Consul gegenüber
aufs Bitten legte, und letzterer ihn nicht einmal einer Antwort würdigte,
oder der Consul in der Sitzung des Senats an ein Mitglied Hand anlegen
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Es gab in Rom Eine Gewalt, an der die Macht der Sitte
ſich wie an keinem andern Punkt bethätigte, den römiſchen Se-
nat, und unſere Aufgabe verſtattet uns, wenigſtens nach einer
Seite einen Blick auf ihn zu werfen, nämlich was ſein Verhält-
niß zu den Magiſtraten, namentlich den Conſuln anbetrifft. 445)
Daß dem Rechte nach der Senat nur eine rein berathende Be-
hörde war und nicht über, ſondern unter den Conſuln ſtand,
darüber würde wahrſcheinlich gar kein Zweifel herrſchen, wenn
hier nicht wiederum die Geſtaltung, die dies Verhältniß in der
Sitte gewonnen hatte, irre geleitet hätte. Die Formen, in die
der Senat ſeine Beſchlüſſe einkleidete, 446) ſollten allein ſchon
auf den rechten Weg weiſen, und außerdem fehlte es nicht an
hiſtoriſchen Thatſachen und Aeußerungen der Römer, die jenes
Verhältniß des Senats in das klarſte Licht ſetzen. 447) Es be-

Bearbeitung des römiſchen Staatsrechts ſich durch den Zweck leiten zu laſ-
ſen, überall beſtimmte und ſichere Rechtsgrundſätze zu gewinnen, umgekehrt
einmal die Controverſen deſſelben zu ſammeln. Es iſt mir hier nicht möglich
das Material, das ich mir geſammelt, mitzutheilen, ganz abgeſehen davon,
daß es noch bei weitem nicht vollſtändig iſt. Aber ich kann auf Grund deſſel-
ben Jedem, der ſich zu einer ſolchen Arbeit entſchließen wollte, im voraus
eine ſehr reiche Ausbeute in Ausſicht ſtellen.
445) Faſt alle Normen, die ſich in Bezug auf den Senat entwickelt hat-
ten, waren meiner Anſicht nach Praxis und Sitte, z. B. die Verpflichtung
zur Berufung des Senats, zur Einhaltung einer beſtimmten Reihenfolge bei
der Abſtimmung, die Wirkung der senatus autoritas, daß ſie den Beam-
ten, der dieſer autoritas gefolgt war, gegen eine Anklage vor dem Volk ſicher
ſtellte u. ſ. w.
446) Senatui placere, videri, senatum existimare, arbitrari, aequum
censere etc. Brisson. de voc. ac form. lib. II, c.
73—78. Daher auch
der Beſchluß ſelbſt: Senatus consultum.
447) z. B. Dionys. excerpta XVI, 16, wo der Conſul einen Senats-
beſchluß mit den Worten zurückwies: οὐ τὴν βουλὴν ἄϱχειν ἑαυτοῦ, ἕως
ἐστιν ὕπατος, ἀλλ̛ αὐτὸν τῆς βουλῆς, ferner ſolche Scenen, wie z. B. bei
Val. Max. VI, 2. 2. IX, 5. 1, 2, wo der Senat ſich dem Conſul gegenüber
aufs Bitten legte, und letzterer ihn nicht einmal einer Antwort würdigte,
oder der Conſul in der Sitzung des Senats an ein Mitglied Hand anlegen
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[292/0306] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Es gab in Rom Eine Gewalt, an der die Macht der Sitte ſich wie an keinem andern Punkt bethätigte, den römiſchen Se- nat, und unſere Aufgabe verſtattet uns, wenigſtens nach einer Seite einen Blick auf ihn zu werfen, nämlich was ſein Verhält- niß zu den Magiſtraten, namentlich den Conſuln anbetrifft. 445) Daß dem Rechte nach der Senat nur eine rein berathende Be- hörde war und nicht über, ſondern unter den Conſuln ſtand, darüber würde wahrſcheinlich gar kein Zweifel herrſchen, wenn hier nicht wiederum die Geſtaltung, die dies Verhältniß in der Sitte gewonnen hatte, irre geleitet hätte. Die Formen, in die der Senat ſeine Beſchlüſſe einkleidete, 446) ſollten allein ſchon auf den rechten Weg weiſen, und außerdem fehlte es nicht an hiſtoriſchen Thatſachen und Aeußerungen der Römer, die jenes Verhältniß des Senats in das klarſte Licht ſetzen. 447) Es be- 444) 445) Faſt alle Normen, die ſich in Bezug auf den Senat entwickelt hat- ten, waren meiner Anſicht nach Praxis und Sitte, z. B. die Verpflichtung zur Berufung des Senats, zur Einhaltung einer beſtimmten Reihenfolge bei der Abſtimmung, die Wirkung der senatus autoritas, daß ſie den Beam- ten, der dieſer autoritas gefolgt war, gegen eine Anklage vor dem Volk ſicher ſtellte u. ſ. w. 446) Senatui placere, videri, senatum existimare, arbitrari, aequum censere etc. Brisson. de voc. ac form. lib. II, c. 73—78. Daher auch der Beſchluß ſelbſt: Senatus consultum. 447) z. B. Dionys. excerpta XVI, 16, wo der Conſul einen Senats- beſchluß mit den Worten zurückwies: οὐ τὴν βουλὴν ἄϱχειν ἑαυτοῦ, ἕως ἐστιν ὕπατος, ἀλλ̛ αὐτὸν τῆς βουλῆς, ferner ſolche Scenen, wie z. B. bei Val. Max. VI, 2. 2. IX, 5. 1, 2, wo der Senat ſich dem Conſul gegenüber aufs Bitten legte, und letzterer ihn nicht einmal einer Antwort würdigte, oder der Conſul in der Sitzung des Senats an ein Mitglied Hand anlegen 444) Bearbeitung des römiſchen Staatsrechts ſich durch den Zweck leiten zu laſ- ſen, überall beſtimmte und ſichere Rechtsgrundſätze zu gewinnen, umgekehrt einmal die Controverſen deſſelben zu ſammeln. Es iſt mir hier nicht möglich das Material, das ich mir geſammelt, mitzutheilen, ganz abgeſehen davon, daß es noch bei weitem nicht vollſtändig iſt. Aber ich kann auf Grund deſſel- ben Jedem, der ſich zu einer ſolchen Arbeit entſchließen wollte, im voraus eine ſehr reiche Ausbeute in Ausſicht ſtellen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/306>, abgerufen am 23.11.2024.