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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
ich doch diese Art der Verwendung desselben für unsern Zweck
weder für nöthig, noch für statthaft halten. Neben den Con-
suln, die man als die eigentlichen Erben der königlichen Würde
bezeichnen kann, kamen nach und nach noch andere Magistra-
turen auf, die darum kein geringeres Ansehen und Einfluß be-
saßen, daß es für sie keine alten religiösen Traditionen und kein
Königthum gab, das ihnen die nöthige Weihe hätte verleihen
können. Und sodann ward ja die eigentlich priesterliche Fun-
ction des römischen Königthums von der Magistratur getrennt
und dem rex sacrificulus überwiesen. Welch' klägliche Rolle
aber spielte dieser religiöse Schattenkönig!

Wir wollen jetzt die Machtstellung der römischen Beamten
an einigen schlagenden Beispielen erläutern. Höchst beachtens-
werth ist zunächst die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der
Magistrate in ihrem Verhältniß zum Volke. Das Volk bestellte
sich in dem Beamten nicht einen Diener, sondern einen Herrn
magis-stratus). Der Umstand, daß er durch die Wahl des Volkes
berufen und nach Niederlegung des Amts vor demselben zur Ver-
antwortung gezogen werden konnte, hatte auf die ihm anvertraute
Gewalt selbst gar keinen Einfluß. Sowie er sein Amt angetreten,
änderte sich sein Verhältniß zum Volk völlig; kurz vorher noch
hinauf blickend zu demselben, blickte er jetzt auf dasselbe hin-
unter
. Der Wille des Volks konnte ihm jetzt nichts mehr ent-
ziehen -- er war für die Dauer seines Amtsjahres rechtlich un-
absetzbar -- noch auch ihn hindern, in seiner Amtsführung ganz
seiner eigenen Ueberzeugung zu folgen. Der Volkswille er-
scheint also nur als rein transitorisches Moment bei der Magi-
stratur, er erschöpft sich mit dem Einen Akt der Wahl und tritt
sodann ein ganzes Jahr wieder in den Hintergrund. Es ist
begreiflich, daß die Beamten auf den Willen und die Wünsche
des Volkes Gewicht legten, aber kein höheres, als etwa in einer
monarchischen Verfassung der Fürst. Wo sie anderer Ueber-
zeugung waren, nahmen sie nicht den geringsten Anstand, sich
über denselben hinwegzusetzen, ja es werden uns in dieser Be-

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
ich doch dieſe Art der Verwendung deſſelben für unſern Zweck
weder für nöthig, noch für ſtatthaft halten. Neben den Con-
ſuln, die man als die eigentlichen Erben der königlichen Würde
bezeichnen kann, kamen nach und nach noch andere Magiſtra-
turen auf, die darum kein geringeres Anſehen und Einfluß be-
ſaßen, daß es für ſie keine alten religiöſen Traditionen und kein
Königthum gab, das ihnen die nöthige Weihe hätte verleihen
können. Und ſodann ward ja die eigentlich prieſterliche Fun-
ction des römiſchen Königthums von der Magiſtratur getrennt
und dem rex sacrificulus überwieſen. Welch’ klägliche Rolle
aber ſpielte dieſer religiöſe Schattenkönig!

Wir wollen jetzt die Machtſtellung der römiſchen Beamten
an einigen ſchlagenden Beiſpielen erläutern. Höchſt beachtens-
werth iſt zunächſt die Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit der
Magiſtrate in ihrem Verhältniß zum Volke. Das Volk beſtellte
ſich in dem Beamten nicht einen Diener, ſondern einen Herrn
magis-stratus). Der Umſtand, daß er durch die Wahl des Volkes
berufen und nach Niederlegung des Amts vor demſelben zur Ver-
antwortung gezogen werden konnte, hatte auf die ihm anvertraute
Gewalt ſelbſt gar keinen Einfluß. Sowie er ſein Amt angetreten,
änderte ſich ſein Verhältniß zum Volk völlig; kurz vorher noch
hinauf blickend zu demſelben, blickte er jetzt auf daſſelbe hin-
unter
. Der Wille des Volks konnte ihm jetzt nichts mehr ent-
ziehen — er war für die Dauer ſeines Amtsjahres rechtlich un-
abſetzbar — noch auch ihn hindern, in ſeiner Amtsführung ganz
ſeiner eigenen Ueberzeugung zu folgen. Der Volkswille er-
ſcheint alſo nur als rein transitoriſches Moment bei der Magi-
ſtratur, er erſchöpft ſich mit dem Einen Akt der Wahl und tritt
ſodann ein ganzes Jahr wieder in den Hintergrund. Es iſt
begreiflich, daß die Beamten auf den Willen und die Wünſche
des Volkes Gewicht legten, aber kein höheres, als etwa in einer
monarchiſchen Verfaſſung der Fürſt. Wo ſie anderer Ueber-
zeugung waren, nahmen ſie nicht den geringſten Anſtand, ſich
über denſelben hinwegzuſetzen, ja es werden uns in dieſer Be-

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[274/0288] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. ich doch dieſe Art der Verwendung deſſelben für unſern Zweck weder für nöthig, noch für ſtatthaft halten. Neben den Con- ſuln, die man als die eigentlichen Erben der königlichen Würde bezeichnen kann, kamen nach und nach noch andere Magiſtra- turen auf, die darum kein geringeres Anſehen und Einfluß be- ſaßen, daß es für ſie keine alten religiöſen Traditionen und kein Königthum gab, das ihnen die nöthige Weihe hätte verleihen können. Und ſodann ward ja die eigentlich prieſterliche Fun- ction des römiſchen Königthums von der Magiſtratur getrennt und dem rex sacrificulus überwieſen. Welch’ klägliche Rolle aber ſpielte dieſer religiöſe Schattenkönig! Wir wollen jetzt die Machtſtellung der römiſchen Beamten an einigen ſchlagenden Beiſpielen erläutern. Höchſt beachtens- werth iſt zunächſt die Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit der Magiſtrate in ihrem Verhältniß zum Volke. Das Volk beſtellte ſich in dem Beamten nicht einen Diener, ſondern einen Herrn magis-stratus). Der Umſtand, daß er durch die Wahl des Volkes berufen und nach Niederlegung des Amts vor demſelben zur Ver- antwortung gezogen werden konnte, hatte auf die ihm anvertraute Gewalt ſelbſt gar keinen Einfluß. Sowie er ſein Amt angetreten, änderte ſich ſein Verhältniß zum Volk völlig; kurz vorher noch hinauf blickend zu demſelben, blickte er jetzt auf daſſelbe hin- unter. Der Wille des Volks konnte ihm jetzt nichts mehr ent- ziehen — er war für die Dauer ſeines Amtsjahres rechtlich un- abſetzbar — noch auch ihn hindern, in ſeiner Amtsführung ganz ſeiner eigenen Ueberzeugung zu folgen. Der Volkswille er- ſcheint alſo nur als rein transitoriſches Moment bei der Magi- ſtratur, er erſchöpft ſich mit dem Einen Akt der Wahl und tritt ſodann ein ganzes Jahr wieder in den Hintergrund. Es iſt begreiflich, daß die Beamten auf den Willen und die Wünſche des Volkes Gewicht legten, aber kein höheres, als etwa in einer monarchiſchen Verfaſſung der Fürſt. Wo ſie anderer Ueber- zeugung waren, nahmen ſie nicht den geringſten Anſtand, ſich über denſelben hinwegzuſetzen, ja es werden uns in dieſer Be-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/288>, abgerufen am 22.11.2024.