Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.

Jenes unnatürliche Uebergewicht, das dem bisherigen nach
der reiche Grundherr über den kleinen Mann ausübte, ward
noch dadurch erhöht, daß ersterer in der Lage war, letzteren von
der Concurrenz an den Vortheilen des ager publicus fast gänz-
lich auszuschließen. Aber ganz abgesehen hiervon war jenes
Uebergewicht schon bedeutend genug, um uns die bekannte That-
sache zu erklären (S. 156), daß der kleine Grundbesitz sich
neben dem großen nicht recht zu halten vermochte, und zum gro-
ßen Theil von ihm absorbirt wurde. 370) Das Mittel, das die
lex Licinia dagegen ergriff, reichte nicht aus und, wie einmal
die Verhältnisse lagen, gab es keins dagegen. Denn das ein-
zige, das hätte helfen können, das Verbot der Bewirthschaftung
durch Sklaven, war natürlich undenkbar; es hätte die Sklaverei
selbst aufgehoben werden müssen! Die Bestimmung des Ge-
setzes, welche die Verwendung einer gewissen Anzahl freier Leute
neben dem unfreien Gesinde vorschrieb, mochte den Nutzen ha-
ben, daß sie wenigstens einem Theile des ländlichen Proleta-
riats ein angemessenes Unterkommen sicherte und die Bewirth-
schaftung der großen Güter um etwas vertheuerte, das Ueber-
gewicht in der Concurrenz mit dem kleinen Grundbesitz also um
ein geringes verminderte. Aber, wie schon gesagt, eine Abhülfe
des Uebels selbst gewährte sie nicht, denn die Sklavenwirth-
schaft behielt immer zwei Vortheile, die sich durch nichts wieder
ausgleichen ließen, einmal die größere Billigkeit der Arbeit und
folglich der Produktion, sodann der oben hervorgehobene Um-
stand, auf den ich ein noch höheres Gewicht legen möchte, daß
nämlich ein Krieg die Wirthschaft des kleinen Bauern störte,
auf die des großen Grundbesitzers aber ohne allen nachtheiligen
Einfluß war. 371) Daß die lex Licinia ein Maximum des

370) Plinius H. N. XVIII. 7. Appian. I, 7. Bei Cicero de off. II, 21
die Aeußerung des Tribunen: non esse in civitate duo millia hominum,
qui rem haberent. Liv. VII. 22 ... solutio aeris alieni multarum rerum
mutaverat dominos
.
371) Im Mittelalter war das Verhältniß das gerade entgegengesetzte.
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.

Jenes unnatürliche Uebergewicht, das dem bisherigen nach
der reiche Grundherr über den kleinen Mann ausübte, ward
noch dadurch erhöht, daß erſterer in der Lage war, letzteren von
der Concurrenz an den Vortheilen des ager publicus faſt gänz-
lich auszuſchließen. Aber ganz abgeſehen hiervon war jenes
Uebergewicht ſchon bedeutend genug, um uns die bekannte That-
ſache zu erklären (S. 156), daß der kleine Grundbeſitz ſich
neben dem großen nicht recht zu halten vermochte, und zum gro-
ßen Theil von ihm abſorbirt wurde. 370) Das Mittel, das die
lex Licinia dagegen ergriff, reichte nicht aus und, wie einmal
die Verhältniſſe lagen, gab es keins dagegen. Denn das ein-
zige, das hätte helfen können, das Verbot der Bewirthſchaftung
durch Sklaven, war natürlich undenkbar; es hätte die Sklaverei
ſelbſt aufgehoben werden müſſen! Die Beſtimmung des Ge-
ſetzes, welche die Verwendung einer gewiſſen Anzahl freier Leute
neben dem unfreien Geſinde vorſchrieb, mochte den Nutzen ha-
ben, daß ſie wenigſtens einem Theile des ländlichen Proleta-
riats ein angemeſſenes Unterkommen ſicherte und die Bewirth-
ſchaftung der großen Güter um etwas vertheuerte, das Ueber-
gewicht in der Concurrenz mit dem kleinen Grundbeſitz alſo um
ein geringes verminderte. Aber, wie ſchon geſagt, eine Abhülfe
des Uebels ſelbſt gewährte ſie nicht, denn die Sklavenwirth-
ſchaft behielt immer zwei Vortheile, die ſich durch nichts wieder
ausgleichen ließen, einmal die größere Billigkeit der Arbeit und
folglich der Produktion, ſodann der oben hervorgehobene Um-
ſtand, auf den ich ein noch höheres Gewicht legen möchte, daß
nämlich ein Krieg die Wirthſchaft des kleinen Bauern ſtörte,
auf die des großen Grundbeſitzers aber ohne allen nachtheiligen
Einfluß war. 371) Daß die lex Licinia ein Maximum des

370) Plinius H. N. XVIII. 7. Appian. I, 7. Bei Cicero de off. II, 21
die Aeußerung des Tribunen: non esse in civitate duo millia hominum,
qui rem haberent. Liv. VII. 22 … solutio aeris alieni multarum rerum
mutaverat dominos
.
371) Im Mittelalter war das Verhältniß das gerade entgegengeſetzte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0261" n="247"/>
                    <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.</fw><lb/>
                    <p>Jenes unnatürliche Uebergewicht, das dem bisherigen nach<lb/>
der reiche Grundherr über den kleinen Mann ausübte, ward<lb/>
noch dadurch erhöht, daß er&#x017F;terer in der Lage war, letzteren von<lb/>
der Concurrenz an den Vortheilen des <hi rendition="#aq">ager publicus</hi> fa&#x017F;t gänz-<lb/>
lich auszu&#x017F;chließen. Aber ganz abge&#x017F;ehen hiervon war jenes<lb/>
Uebergewicht &#x017F;chon bedeutend genug, um uns die bekannte That-<lb/>
&#x017F;ache zu erklären (S. 156), daß der kleine Grundbe&#x017F;itz &#x017F;ich<lb/>
neben dem großen nicht recht zu halten vermochte, und zum gro-<lb/>
ßen Theil von ihm ab&#x017F;orbirt wurde. <note place="foot" n="370)"><hi rendition="#aq">Plinius H. N. XVIII. 7. Appian. I,</hi> 7. Bei <hi rendition="#aq">Cicero de off. II,</hi> 21<lb/>
die Aeußerung des Tribunen: <hi rendition="#aq">non esse in civitate duo millia hominum,<lb/>
qui rem haberent. Liv. VII. 22 &#x2026; solutio aeris alieni multarum rerum<lb/>
mutaverat dominos</hi>.</note> Das Mittel, das die<lb/><hi rendition="#aq">lex Licinia</hi> dagegen ergriff, reichte nicht aus und, wie einmal<lb/>
die Verhältni&#x017F;&#x017F;e lagen, gab es keins dagegen. Denn das ein-<lb/>
zige, das hätte helfen können, das Verbot der Bewirth&#x017F;chaftung<lb/>
durch Sklaven, war natürlich undenkbar; es hätte die Sklaverei<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aufgehoben werden mü&#x017F;&#x017F;en! Die Be&#x017F;timmung des Ge-<lb/>
&#x017F;etzes, welche die Verwendung einer gewi&#x017F;&#x017F;en Anzahl freier Leute<lb/>
neben dem unfreien Ge&#x017F;inde vor&#x017F;chrieb, mochte <hi rendition="#g">den</hi> Nutzen ha-<lb/>
ben, daß &#x017F;ie wenig&#x017F;tens einem Theile des ländlichen Proleta-<lb/>
riats ein angeme&#x017F;&#x017F;enes Unterkommen &#x017F;icherte und die Bewirth-<lb/>
&#x017F;chaftung der großen Güter um etwas vertheuerte, das Ueber-<lb/>
gewicht in der Concurrenz mit dem kleinen Grundbe&#x017F;itz al&#x017F;o um<lb/>
ein geringes verminderte. Aber, wie &#x017F;chon ge&#x017F;agt, eine Abhülfe<lb/>
des Uebels &#x017F;elb&#x017F;t gewährte &#x017F;ie nicht, denn die Sklavenwirth-<lb/>
&#x017F;chaft behielt immer zwei Vortheile, die &#x017F;ich durch nichts wieder<lb/>
ausgleichen ließen, einmal die größere Billigkeit der Arbeit und<lb/>
folglich der Produktion, &#x017F;odann der oben hervorgehobene Um-<lb/>
&#x017F;tand, auf den ich ein noch höheres Gewicht legen möchte, daß<lb/>
nämlich ein Krieg die Wirth&#x017F;chaft des kleinen Bauern &#x017F;törte,<lb/>
auf die des großen Grundbe&#x017F;itzers aber ohne allen nachtheiligen<lb/>
Einfluß war. <note xml:id="seg2pn_37_1" next="#seg2pn_37_2" place="foot" n="371)">Im Mittelalter war das Verhältniß das gerade entgegenge&#x017F;etzte.</note> Daß die <hi rendition="#aq">lex Licinia</hi> ein Maximum des<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0261] A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34. Jenes unnatürliche Uebergewicht, das dem bisherigen nach der reiche Grundherr über den kleinen Mann ausübte, ward noch dadurch erhöht, daß erſterer in der Lage war, letzteren von der Concurrenz an den Vortheilen des ager publicus faſt gänz- lich auszuſchließen. Aber ganz abgeſehen hiervon war jenes Uebergewicht ſchon bedeutend genug, um uns die bekannte That- ſache zu erklären (S. 156), daß der kleine Grundbeſitz ſich neben dem großen nicht recht zu halten vermochte, und zum gro- ßen Theil von ihm abſorbirt wurde. 370) Das Mittel, das die lex Licinia dagegen ergriff, reichte nicht aus und, wie einmal die Verhältniſſe lagen, gab es keins dagegen. Denn das ein- zige, das hätte helfen können, das Verbot der Bewirthſchaftung durch Sklaven, war natürlich undenkbar; es hätte die Sklaverei ſelbſt aufgehoben werden müſſen! Die Beſtimmung des Ge- ſetzes, welche die Verwendung einer gewiſſen Anzahl freier Leute neben dem unfreien Geſinde vorſchrieb, mochte den Nutzen ha- ben, daß ſie wenigſtens einem Theile des ländlichen Proleta- riats ein angemeſſenes Unterkommen ſicherte und die Bewirth- ſchaftung der großen Güter um etwas vertheuerte, das Ueber- gewicht in der Concurrenz mit dem kleinen Grundbeſitz alſo um ein geringes verminderte. Aber, wie ſchon geſagt, eine Abhülfe des Uebels ſelbſt gewährte ſie nicht, denn die Sklavenwirth- ſchaft behielt immer zwei Vortheile, die ſich durch nichts wieder ausgleichen ließen, einmal die größere Billigkeit der Arbeit und folglich der Produktion, ſodann der oben hervorgehobene Um- ſtand, auf den ich ein noch höheres Gewicht legen möchte, daß nämlich ein Krieg die Wirthſchaft des kleinen Bauern ſtörte, auf die des großen Grundbeſitzers aber ohne allen nachtheiligen Einfluß war. 371) Daß die lex Licinia ein Maximum des 370) Plinius H. N. XVIII. 7. Appian. I, 7. Bei Cicero de off. II, 21 die Aeußerung des Tribunen: non esse in civitate duo millia hominum, qui rem haberent. Liv. VII. 22 … solutio aeris alieni multarum rerum mutaverat dominos. 371) Im Mittelalter war das Verhältniß das gerade entgegengeſetzte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/261
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/261>, abgerufen am 03.12.2024.