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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Die Interessen des Staats sind daher nicht bloß mittelbar, son-
dern unmittelbar seine eignen, so wie es die der Societät für
den Gesellschafter sind; Hingabe an den Staat ist folglich nicht
Hingabe an etwas Fremdes, sondern Unterordnung der rein
partikulären Zwecke unter die gemeinsamen, des niedern Guts
unter das höhere.

Bei diesem Verhältniß zwischen dem Staat und seinen Bür-
gern, bei dieser innigen Verschlingung ihrer beiderseitigen In-
teressen verstand sich die Fürsorge des Staats für das Wohl des
Bürgers eigentlich ganz von selbst. Die Energie, mit der er die
Rechte seiner Bürger nach außen hin vertrat, ist bekannt, dürfte
hier aber am wenigsten schwer ins Gewicht fallen; wir werden
also nur die Thätigkeit des Staats in ihrer Richtung nach innen
hin einer nähern Betrachtung zu unterwerfen haben, namentlich
die Sorge für das ökonomische Loos der ärmern Klassen.

Von altersher gab es in den römischen Zuständen Einen
höchst bedenklichen Punkt, vielleicht läßt er sich geradezu als der
Todeskeim bezeichnen, an dem Rom später zu Grunde gegangen
ist. Es war dies die schadhafte Gestaltung des Systems der
Gütervertheilung und Vermögenscirculation. Die Ungleich-
heit in der Vertheilung der Güter ist das unausbleibliche Re-
sultat des freien Verkehrs, und vermöge der Anziehungskraft,
die das größere Vermögen auf das kleinere ausübt, wiederholt
sich überall die Erscheinung, daß das Vermögen vorzugsweise
zu den Theilen hinströmt, an denen es sich bereits in größeren
Massen angesammelt hat. In Rom war aber dieser Andrang
nach einzelnen Theilen durch eigenthümliche Verhältnisse in un-
gewöhnlicher Weise gesteigert und umgekehrt das Rückströmen
des Vermögens in die entblößten Theile äußerst erschwert. Nir-
gends ward der Reiche so leicht Millionär, der Unbemittelte so

meinschaftliches, die res publica gehört ihm mit. Einen interessanten Be-
leg für diese Bd. 1, S. 195 entwickelte Auffassung s. bei Cicero Tuscul.
III.
20.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Die Intereſſen des Staats ſind daher nicht bloß mittelbar, ſon-
dern unmittelbar ſeine eignen, ſo wie es die der Societät für
den Geſellſchafter ſind; Hingabe an den Staat iſt folglich nicht
Hingabe an etwas Fremdes, ſondern Unterordnung der rein
partikulären Zwecke unter die gemeinſamen, des niedern Guts
unter das höhere.

Bei dieſem Verhältniß zwiſchen dem Staat und ſeinen Bür-
gern, bei dieſer innigen Verſchlingung ihrer beiderſeitigen In-
tereſſen verſtand ſich die Fürſorge des Staats für das Wohl des
Bürgers eigentlich ganz von ſelbſt. Die Energie, mit der er die
Rechte ſeiner Bürger nach außen hin vertrat, iſt bekannt, dürfte
hier aber am wenigſten ſchwer ins Gewicht fallen; wir werden
alſo nur die Thätigkeit des Staats in ihrer Richtung nach innen
hin einer nähern Betrachtung zu unterwerfen haben, namentlich
die Sorge für das ökonomiſche Loos der ärmern Klaſſen.

Von altersher gab es in den römiſchen Zuſtänden Einen
höchſt bedenklichen Punkt, vielleicht läßt er ſich geradezu als der
Todeskeim bezeichnen, an dem Rom ſpäter zu Grunde gegangen
iſt. Es war dies die ſchadhafte Geſtaltung des Syſtems der
Gütervertheilung und Vermögenscirculation. Die Ungleich-
heit in der Vertheilung der Güter iſt das unausbleibliche Re-
ſultat des freien Verkehrs, und vermöge der Anziehungskraft,
die das größere Vermögen auf das kleinere ausübt, wiederholt
ſich überall die Erſcheinung, daß das Vermögen vorzugsweiſe
zu den Theilen hinſtrömt, an denen es ſich bereits in größeren
Maſſen angeſammelt hat. In Rom war aber dieſer Andrang
nach einzelnen Theilen durch eigenthümliche Verhältniſſe in un-
gewöhnlicher Weiſe geſteigert und umgekehrt das Rückſtrömen
des Vermögens in die entblößten Theile äußerſt erſchwert. Nir-
gends ward der Reiche ſo leicht Millionär, der Unbemittelte ſo

meinſchaftliches, die res publica gehört ihm mit. Einen intereſſanten Be-
leg für dieſe Bd. 1, S. 195 entwickelte Auffaſſung ſ. bei Cicero Tuscul.
III.
20.
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[242/0256] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Die Intereſſen des Staats ſind daher nicht bloß mittelbar, ſon- dern unmittelbar ſeine eignen, ſo wie es die der Societät für den Geſellſchafter ſind; Hingabe an den Staat iſt folglich nicht Hingabe an etwas Fremdes, ſondern Unterordnung der rein partikulären Zwecke unter die gemeinſamen, des niedern Guts unter das höhere. Bei dieſem Verhältniß zwiſchen dem Staat und ſeinen Bür- gern, bei dieſer innigen Verſchlingung ihrer beiderſeitigen In- tereſſen verſtand ſich die Fürſorge des Staats für das Wohl des Bürgers eigentlich ganz von ſelbſt. Die Energie, mit der er die Rechte ſeiner Bürger nach außen hin vertrat, iſt bekannt, dürfte hier aber am wenigſten ſchwer ins Gewicht fallen; wir werden alſo nur die Thätigkeit des Staats in ihrer Richtung nach innen hin einer nähern Betrachtung zu unterwerfen haben, namentlich die Sorge für das ökonomiſche Loos der ärmern Klaſſen. Von altersher gab es in den römiſchen Zuſtänden Einen höchſt bedenklichen Punkt, vielleicht läßt er ſich geradezu als der Todeskeim bezeichnen, an dem Rom ſpäter zu Grunde gegangen iſt. Es war dies die ſchadhafte Geſtaltung des Syſtems der Gütervertheilung und Vermögenscirculation. Die Ungleich- heit in der Vertheilung der Güter iſt das unausbleibliche Re- ſultat des freien Verkehrs, und vermöge der Anziehungskraft, die das größere Vermögen auf das kleinere ausübt, wiederholt ſich überall die Erſcheinung, daß das Vermögen vorzugsweiſe zu den Theilen hinſtrömt, an denen es ſich bereits in größeren Maſſen angeſammelt hat. In Rom war aber dieſer Andrang nach einzelnen Theilen durch eigenthümliche Verhältniſſe in un- gewöhnlicher Weiſe geſteigert und umgekehrt das Rückſtrömen des Vermögens in die entblößten Theile äußerſt erſchwert. Nir- gends ward der Reiche ſo leicht Millionär, der Unbemittelte ſo 362) 362) meinſchaftliches, die res publica gehört ihm mit. Einen intereſſanten Be- leg für dieſe Bd. 1, S. 195 entwickelte Auffaſſung ſ. bei Cicero Tuscul. III. 20.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/256>, abgerufen am 22.11.2024.