Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung des Indiv. Die Wohlfahrtsfrage. §. 34. einzelnen Standes rechtfertigen -- darauf will ich mich nichteinlassen; aber man möge aufhören, uns dieselbe vom recht- lichen Standpunkt aus zu rühmen und dem römischen Recht einen Vorwurf daraus zu machen, daß es dieselbe nicht gedul- det hat. Gerade hier hat das römische Recht in meisterhafter Weise das der Idee des Rechts Entsprechende gefunden, und nirgends zeigt sich wohl die Hohlheit aller jener Phrasen von dem unsittlichen Charakter des römischen Freiheitsbegriffs so sehr in ihrer wahren Gestalt, als bei dem Gesichtspunkt, den wir in dem gegenwärtigen Paragraphen durchgeführt haben, und den wir schließlich in den Satz zusammenfassen wollen: daß die Freiheit als Bedingung sittlicher Entwicklung etwas über dem Menschen Er- habenes ist, ein Gut, das er rechtlich weder sich selbst, noch seinen Nachkommen verküm- mern kann. 4. Die Wohlfahrtsfrage und der Staat. Theilnahme des Staats für das Wohl des Individuums -- die XXXIV. Nachdem wir jetzt das System der subjektiven A. Stellung des Indiv. Die Wohlfahrtsfrage. §. 34. einzelnen Standes rechtfertigen — darauf will ich mich nichteinlaſſen; aber man möge aufhören, uns dieſelbe vom recht- lichen Standpunkt aus zu rühmen und dem römiſchen Recht einen Vorwurf daraus zu machen, daß es dieſelbe nicht gedul- det hat. Gerade hier hat das römiſche Recht in meiſterhafter Weiſe das der Idee des Rechts Entſprechende gefunden, und nirgends zeigt ſich wohl die Hohlheit aller jener Phraſen von dem unſittlichen Charakter des römiſchen Freiheitsbegriffs ſo ſehr in ihrer wahren Geſtalt, als bei dem Geſichtspunkt, den wir in dem gegenwärtigen Paragraphen durchgeführt haben, und den wir ſchließlich in den Satz zuſammenfaſſen wollen: daß die Freiheit als Bedingung ſittlicher Entwicklung etwas über dem Menſchen Er- habenes iſt, ein Gut, das er rechtlich weder ſich ſelbſt, noch ſeinen Nachkommen verküm- mern kann. 4. Die Wohlfahrtsfrage und der Staat. Theilnahme des Staats für das Wohl des Individuums — die XXXIV. Nachdem wir jetzt das Syſtem der ſubjektiven <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0253" n="239"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung des Indiv. Die Wohlfahrtsfrage. §. 34.</fw><lb/> einzelnen Standes rechtfertigen — darauf will ich mich nicht<lb/> einlaſſen; aber man möge aufhören, uns dieſelbe vom <hi rendition="#g">recht-<lb/> lichen</hi> Standpunkt aus zu rühmen und dem römiſchen Recht<lb/> einen Vorwurf daraus zu machen, daß es dieſelbe nicht gedul-<lb/> det hat. Gerade hier hat das römiſche Recht in meiſterhafter<lb/> Weiſe das der Idee des Rechts Entſprechende gefunden, und<lb/> nirgends zeigt ſich wohl die Hohlheit aller jener Phraſen von<lb/> dem unſittlichen Charakter des römiſchen Freiheitsbegriffs ſo ſehr<lb/> in ihrer wahren Geſtalt, als bei dem Geſichtspunkt, den wir in<lb/> dem gegenwärtigen Paragraphen durchgeführt haben, und den<lb/> wir ſchließlich in den Satz zuſammenfaſſen wollen:<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#g">daß die Freiheit als Bedingung ſittlicher<lb/> Entwicklung etwas über dem Menſchen Er-<lb/> habenes iſt, ein Gut, das er rechtlich weder<lb/> ſich ſelbſt, noch ſeinen Nachkommen verküm-<lb/> mern kann</hi>.</hi></p> </div><lb/> <div n="7"> <head>4. <hi rendition="#g">Die Wohlfahrtsfrage und der Staat</hi>.</head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#b">Theilnahme des Staats für das Wohl des Individuums — die<lb/> ſ. g. ſociale Frage — Quellen des Pauperismus (der Sklave der<lb/> böſe Feind der römiſchen Geſellſchaft) — die Stellung der höhern<lb/> Stände (ſociale Verpflichtung derſelben) — Maßregeln von Sei-<lb/> ten des Staats.</hi> </p> </argument><lb/> <p><hi rendition="#aq">XXXIV.</hi> Nachdem wir jetzt das Syſtem der ſubjektiven<lb/> Freiheit nach ſeinem Inhalt und Umfang haben kennen lernen,<lb/> bleibt uns noch eine Frage übrig, die für die richtige Beurthei-<lb/> lung deſſelben von entſcheidender Bedeutung iſt, und die wir<lb/> kurz dahin ausdrücken können: beruhte dies Syſtem auf einem<lb/> negativen Verhalten des Staats zum Individuum oder auf dem<lb/> poſitiven Willen deſſelben? Mit andern Worten: ging der rö-<lb/> miſche Staat von der Vorſtellung aus, daß die ſubjektive Rechts-<lb/> ſphäre, ſoweit nicht ſein eignes unmittelbares Intereſſe ins<lb/> Spiel komme, für ihn etwas Gleichgültiges ſei, daß er wenig-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [239/0253]
A. Stellung des Indiv. Die Wohlfahrtsfrage. §. 34.
einzelnen Standes rechtfertigen — darauf will ich mich nicht
einlaſſen; aber man möge aufhören, uns dieſelbe vom recht-
lichen Standpunkt aus zu rühmen und dem römiſchen Recht
einen Vorwurf daraus zu machen, daß es dieſelbe nicht gedul-
det hat. Gerade hier hat das römiſche Recht in meiſterhafter
Weiſe das der Idee des Rechts Entſprechende gefunden, und
nirgends zeigt ſich wohl die Hohlheit aller jener Phraſen von
dem unſittlichen Charakter des römiſchen Freiheitsbegriffs ſo ſehr
in ihrer wahren Geſtalt, als bei dem Geſichtspunkt, den wir in
dem gegenwärtigen Paragraphen durchgeführt haben, und den
wir ſchließlich in den Satz zuſammenfaſſen wollen:
daß die Freiheit als Bedingung ſittlicher
Entwicklung etwas über dem Menſchen Er-
habenes iſt, ein Gut, das er rechtlich weder
ſich ſelbſt, noch ſeinen Nachkommen verküm-
mern kann.
4. Die Wohlfahrtsfrage und der Staat.
Theilnahme des Staats für das Wohl des Individuums — die
ſ. g. ſociale Frage — Quellen des Pauperismus (der Sklave der
böſe Feind der römiſchen Geſellſchaft) — die Stellung der höhern
Stände (ſociale Verpflichtung derſelben) — Maßregeln von Sei-
ten des Staats.
XXXIV. Nachdem wir jetzt das Syſtem der ſubjektiven
Freiheit nach ſeinem Inhalt und Umfang haben kennen lernen,
bleibt uns noch eine Frage übrig, die für die richtige Beurthei-
lung deſſelben von entſcheidender Bedeutung iſt, und die wir
kurz dahin ausdrücken können: beruhte dies Syſtem auf einem
negativen Verhalten des Staats zum Individuum oder auf dem
poſitiven Willen deſſelben? Mit andern Worten: ging der rö-
miſche Staat von der Vorſtellung aus, daß die ſubjektive Rechts-
ſphäre, ſoweit nicht ſein eignes unmittelbares Intereſſe ins
Spiel komme, für ihn etwas Gleichgültiges ſei, daß er wenig-
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