Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt -- Oeffentlichkeit -- §. 23. zieht uns zuerst zum Forum hin, wo auf seinem Tribunal, unterfreiem Himmel und unter den Augen des römischen Volks der Prätor Gerichtstag hält. Hier und nur hier arbeitet in älterer Zeit die Civiljustiz; daß der Prätor auch in seinem Hause und wo man ihn sonst traf, angegangen werden und Verfügungen erlassen konnte, kam erst in der spätern Zeit mehr auf. 3) Hier versammeln sich die Partheien, begleitet von ihren Freunden und rechtskundigen Beiständen. In eigner Person müssen sie erscheinen und ihre Anträge stellen, Stellvertretung oder gar schriftliche Verhandlung widerstrebt dem Geiste des ältern Rechts. Und zwar beide müssen sie erscheinen, damit der Pro- zeß den Anfang nehmen könne; stellt die Gegenparthei sich nicht, so mischt der Prätor sich nicht hinein (B. 1. S. 155). Bei dem Eigenthumsprozeß müssen sogar die Sachen selbst mitgebracht werden, oder, sind sie unbewegliche, so verfügt der Prätor sich selbst mit den Partheien an Ort und Stelle. Ebenso müssen Personen und Sachen, über die unter Mitwirkung des Prätors eine rechtliche Disposition getroffen werden soll, zur Stelle ge- schafft werden. Den fernern Gang des Prozesses verfolgen wir nicht; was auch geschieht, erfolgt öffentlich, so z. B. auch die Vernehmung der Zeugen. Im Exekutionsverfahren zeigt sich schließlich die Oeffentlichkeit noch in der dreimaligen öffentlichen Ausstellung des Verurtheilten, berechnet darauf, die Thatsache seiner Verurtheilung zu Jedermanns Kunde zu bringen -- eine Anfrage an das Volk, ob Niemand geneigt ist, ihn auszulösen. In einem noch höhern Grade beherrschte die Oeffentlichkeit das peinliche Verfahren. Wenn über dem Haupte eines Bürgers das blutige Schwert der Gerechtigkeit schwebte, so war dies eine Nationalsache. Das ganze Volk wird entboten, um zu Gericht zu sitzen, die Anklage vorher veröffentlicht, so daß Jeder, der et- was von der Sache weiß, sei es zur Ueberführung des Ange- klagten oder zu seiner Entlastung, sich melden kann. Der Ange- 3) Puchta Institutionen Bd. 2 §. 158.
I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Oeffentlichkeit — §. 23. zieht uns zuerſt zum Forum hin, wo auf ſeinem Tribunal, unterfreiem Himmel und unter den Augen des römiſchen Volks der Prätor Gerichtstag hält. Hier und nur hier arbeitet in älterer Zeit die Civiljuſtiz; daß der Prätor auch in ſeinem Hauſe und wo man ihn ſonſt traf, angegangen werden und Verfügungen erlaſſen konnte, kam erſt in der ſpätern Zeit mehr auf. 3) Hier verſammeln ſich die Partheien, begleitet von ihren Freunden und rechtskundigen Beiſtänden. In eigner Perſon müſſen ſie erſcheinen und ihre Anträge ſtellen, Stellvertretung oder gar ſchriftliche Verhandlung widerſtrebt dem Geiſte des ältern Rechts. Und zwar beide müſſen ſie erſcheinen, damit der Pro- zeß den Anfang nehmen könne; ſtellt die Gegenparthei ſich nicht, ſo miſcht der Prätor ſich nicht hinein (B. 1. S. 155). Bei dem Eigenthumsprozeß müſſen ſogar die Sachen ſelbſt mitgebracht werden, oder, ſind ſie unbewegliche, ſo verfügt der Prätor ſich ſelbſt mit den Partheien an Ort und Stelle. Ebenſo müſſen Perſonen und Sachen, über die unter Mitwirkung des Prätors eine rechtliche Dispoſition getroffen werden ſoll, zur Stelle ge- ſchafft werden. Den fernern Gang des Prozeſſes verfolgen wir nicht; was auch geſchieht, erfolgt öffentlich, ſo z. B. auch die Vernehmung der Zeugen. Im Exekutionsverfahren zeigt ſich ſchließlich die Oeffentlichkeit noch in der dreimaligen öffentlichen Ausſtellung des Verurtheilten, berechnet darauf, die Thatſache ſeiner Verurtheilung zu Jedermanns Kunde zu bringen — eine Anfrage an das Volk, ob Niemand geneigt iſt, ihn auszulöſen. In einem noch höhern Grade beherrſchte die Oeffentlichkeit das peinliche Verfahren. Wenn über dem Haupte eines Bürgers das blutige Schwert der Gerechtigkeit ſchwebte, ſo war dies eine Nationalſache. Das ganze Volk wird entboten, um zu Gericht zu ſitzen, die Anklage vorher veröffentlicht, ſo daß Jeder, der et- was von der Sache weiß, ſei es zur Ueberführung des Ange- klagten oder zu ſeiner Entlaſtung, ſich melden kann. Der Ange- 3) Puchta Inſtitutionen Bd. 2 §. 158.
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I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Oeffentlichkeit — §. 23.
zieht uns zuerſt zum Forum hin, wo auf ſeinem Tribunal, unter
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Prätor Gerichtstag hält. Hier und nur hier arbeitet in älterer
Zeit die Civiljuſtiz; daß der Prätor auch in ſeinem Hauſe und
wo man ihn ſonſt traf, angegangen werden und Verfügungen
erlaſſen konnte, kam erſt in der ſpätern Zeit mehr auf. 3) Hier
verſammeln ſich die Partheien, begleitet von ihren Freunden
und rechtskundigen Beiſtänden. In eigner Perſon müſſen ſie
erſcheinen und ihre Anträge ſtellen, Stellvertretung oder gar
ſchriftliche Verhandlung widerſtrebt dem Geiſte des ältern
Rechts. Und zwar beide müſſen ſie erſcheinen, damit der Pro-
zeß den Anfang nehmen könne; ſtellt die Gegenparthei ſich nicht,
ſo miſcht der Prätor ſich nicht hinein (B. 1. S. 155). Bei dem
Eigenthumsprozeß müſſen ſogar die Sachen ſelbſt mitgebracht
werden, oder, ſind ſie unbewegliche, ſo verfügt der Prätor ſich
ſelbſt mit den Partheien an Ort und Stelle. Ebenſo müſſen
Perſonen und Sachen, über die unter Mitwirkung des Prätors
eine rechtliche Dispoſition getroffen werden ſoll, zur Stelle ge-
ſchafft werden. Den fernern Gang des Prozeſſes verfolgen wir
nicht; was auch geſchieht, erfolgt öffentlich, ſo z. B. auch die
Vernehmung der Zeugen. Im Exekutionsverfahren zeigt ſich
ſchließlich die Oeffentlichkeit noch in der dreimaligen öffentlichen
Ausſtellung des Verurtheilten, berechnet darauf, die Thatſache
ſeiner Verurtheilung zu Jedermanns Kunde zu bringen — eine
Anfrage an das Volk, ob Niemand geneigt iſt, ihn auszulöſen.
In einem noch höhern Grade beherrſchte die Oeffentlichkeit das
peinliche Verfahren. Wenn über dem Haupte eines Bürgers
das blutige Schwert der Gerechtigkeit ſchwebte, ſo war dies eine
Nationalſache. Das ganze Volk wird entboten, um zu Gericht
zu ſitzen, die Anklage vorher veröffentlicht, ſo daß Jeder, der et-
was von der Sache weiß, ſei es zur Ueberführung des Ange-
klagten oder zu ſeiner Entlaſtung, ſich melden kann. Der Ange-
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