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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
schleppt sich fortan durch alle Jahrhunderte durch. Man schlage
die Folgen nicht zu gering an. Ich lege das Hauptgewicht nicht
sowohl auf die pekuniäre, als auf die moralische Werthver-
minderung der Sache. Der moralische Einfluß, den das Grund-
eigenthum auf den Eigenthümer ausüben kann und soll, die
Hervorbringung und Unterhaltung eines würdigen Freiheits-
und Unabhängigkeitsgefühls, die Verkettung der Person mit
der Sache, die Liebe und Anhänglichkeit an ihr kann durch das
Recht der Einmischung und des Einspruchs, das einem Dritten
gegeben ist, ganz verkümmert werden. Ein freier Mann ein
freies Gut; ein unfreies Gut ein dauerndes Zerwürfniß des
Besitzers mit seinem Besitzthum und ein Hemmschuh guter Land-
wirthschaft. Dem Besitzer zu verstatten, beliebig sein Gut zu
verkaufen, hat für den Staat keinen Nachtheil; es wechselt nur
die Person, die Sache bleibt, wie sie war. Ihm aber zu er-
lauben, den nöthig gewordenen Verkauf dadurch zu umgehen,
daß er intellektuelle Werththeile desselben veräußert, sich durch
Auflage von ewigen Renten, Lasten u. s. w. auf die Sache
Geld verschafft, diese innere Entnervung und Abschwächung
des Eigenthums und das Maß, bis zu dem sie getrieben
werden soll, ganz seinem Belieben anheimzustellen, involvirt
von Seiten der Gesetzgebung eine unglaubliche Kurzsichtigkeit
und Sorglosigkeit. Es findet hier nicht eine bloße Theilung des
Grundwerths Statt, so daß der Empfänger des idealen Werth-
theils ebenso viel erhielte, als der Geber verlöre, sondern es
geht hier ein beträchtlicher Theil geradezu verloren, ebenso als
wenn Jemand z. B. von einem Kunstwerk ein Stück abreißen
und verkaufen wollte, um nicht genöthigt zu sein, das Ganze
zu veräußern. Der wahre Preis, um den das beschränkende
Recht des Dritten erkauft wird, ist ein verkümmertes, krüppel-
haftes, moralisch und ökonomisch sieches Eigenthum.

Dies die Gefahren und Nachtheile, die mit dem System der
Eigenthumsbelastung, wenn es sich, wie dies bei uns in Deutsch-
land der Fall war, in unbeschränkter Weise entwickeln kann,

A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
ſchleppt ſich fortan durch alle Jahrhunderte durch. Man ſchlage
die Folgen nicht zu gering an. Ich lege das Hauptgewicht nicht
ſowohl auf die pekuniäre, als auf die moraliſche Werthver-
minderung der Sache. Der moraliſche Einfluß, den das Grund-
eigenthum auf den Eigenthümer ausüben kann und ſoll, die
Hervorbringung und Unterhaltung eines würdigen Freiheits-
und Unabhängigkeitsgefühls, die Verkettung der Perſon mit
der Sache, die Liebe und Anhänglichkeit an ihr kann durch das
Recht der Einmiſchung und des Einſpruchs, das einem Dritten
gegeben iſt, ganz verkümmert werden. Ein freier Mann ein
freies Gut; ein unfreies Gut ein dauerndes Zerwürfniß des
Beſitzers mit ſeinem Beſitzthum und ein Hemmſchuh guter Land-
wirthſchaft. Dem Beſitzer zu verſtatten, beliebig ſein Gut zu
verkaufen, hat für den Staat keinen Nachtheil; es wechſelt nur
die Perſon, die Sache bleibt, wie ſie war. Ihm aber zu er-
lauben, den nöthig gewordenen Verkauf dadurch zu umgehen,
daß er intellektuelle Werththeile deſſelben veräußert, ſich durch
Auflage von ewigen Renten, Laſten u. ſ. w. auf die Sache
Geld verſchafft, dieſe innere Entnervung und Abſchwächung
des Eigenthums und das Maß, bis zu dem ſie getrieben
werden ſoll, ganz ſeinem Belieben anheimzuſtellen, involvirt
von Seiten der Geſetzgebung eine unglaubliche Kurzſichtigkeit
und Sorgloſigkeit. Es findet hier nicht eine bloße Theilung des
Grundwerths Statt, ſo daß der Empfänger des idealen Werth-
theils ebenſo viel erhielte, als der Geber verlöre, ſondern es
geht hier ein beträchtlicher Theil geradezu verloren, ebenſo als
wenn Jemand z. B. von einem Kunſtwerk ein Stück abreißen
und verkaufen wollte, um nicht genöthigt zu ſein, das Ganze
zu veräußern. Der wahre Preis, um den das beſchränkende
Recht des Dritten erkauft wird, iſt ein verkümmertes, krüppel-
haftes, moraliſch und ökonomiſch ſieches Eigenthum.

Dies die Gefahren und Nachtheile, die mit dem Syſtem der
Eigenthumsbelaſtung, wenn es ſich, wie dies bei uns in Deutſch-
land der Fall war, in unbeſchränkter Weiſe entwickeln kann,

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[233/0247] A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33. ſchleppt ſich fortan durch alle Jahrhunderte durch. Man ſchlage die Folgen nicht zu gering an. Ich lege das Hauptgewicht nicht ſowohl auf die pekuniäre, als auf die moraliſche Werthver- minderung der Sache. Der moraliſche Einfluß, den das Grund- eigenthum auf den Eigenthümer ausüben kann und ſoll, die Hervorbringung und Unterhaltung eines würdigen Freiheits- und Unabhängigkeitsgefühls, die Verkettung der Perſon mit der Sache, die Liebe und Anhänglichkeit an ihr kann durch das Recht der Einmiſchung und des Einſpruchs, das einem Dritten gegeben iſt, ganz verkümmert werden. Ein freier Mann ein freies Gut; ein unfreies Gut ein dauerndes Zerwürfniß des Beſitzers mit ſeinem Beſitzthum und ein Hemmſchuh guter Land- wirthſchaft. Dem Beſitzer zu verſtatten, beliebig ſein Gut zu verkaufen, hat für den Staat keinen Nachtheil; es wechſelt nur die Perſon, die Sache bleibt, wie ſie war. Ihm aber zu er- lauben, den nöthig gewordenen Verkauf dadurch zu umgehen, daß er intellektuelle Werththeile deſſelben veräußert, ſich durch Auflage von ewigen Renten, Laſten u. ſ. w. auf die Sache Geld verſchafft, dieſe innere Entnervung und Abſchwächung des Eigenthums und das Maß, bis zu dem ſie getrieben werden ſoll, ganz ſeinem Belieben anheimzuſtellen, involvirt von Seiten der Geſetzgebung eine unglaubliche Kurzſichtigkeit und Sorgloſigkeit. Es findet hier nicht eine bloße Theilung des Grundwerths Statt, ſo daß der Empfänger des idealen Werth- theils ebenſo viel erhielte, als der Geber verlöre, ſondern es geht hier ein beträchtlicher Theil geradezu verloren, ebenſo als wenn Jemand z. B. von einem Kunſtwerk ein Stück abreißen und verkaufen wollte, um nicht genöthigt zu ſein, das Ganze zu veräußern. Der wahre Preis, um den das beſchränkende Recht des Dritten erkauft wird, iſt ein verkümmertes, krüppel- haftes, moraliſch und ökonomiſch ſieches Eigenthum. Dies die Gefahren und Nachtheile, die mit dem Syſtem der Eigenthumsbelaſtung, wenn es ſich, wie dies bei uns in Deutſch- land der Fall war, in unbeſchränkter Weiſe entwickeln kann,

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/247>, abgerufen am 24.11.2024.