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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
würde man ein Versprechen, wodurch Jemand für den Fall, daß
er sich z. B. verheirathe, sein Domicil wechsle, zur Zahlung ei-
ner Summe verbindlich machte, als vollkommen gültig haben
anerkennen müssen. Hier aber zeigt sich eben, daß die Römer die
objektive Idee der persönlichen Freiheit höher stellten, als das
Prinzip der abstracten subjektiven Willensfreiheit; denn derartige
Verträge waren nichtig.343) Eine Parallele dazu findet sich im
Erbrecht. Der Testator, der die persönliche Freiheit des Erben
auf direktem Wege durch Verbote und Gebote nicht zu beschränken
vermochte, konnte auf die Idee verfallen, es indirekt durch An-
ordnung bedingter Vermächtnisse zu bewirken (z. B. wenn mein
Erbe sich verheirathet, soll er dem A 1000 zahlen; ein Legat
mit dem Zweck einer Conventionalpön, daher legatum poenae
nomine relictum
). In der Kaiserzeit ward ein solches Legat
schlechthin für ungültig erklärt,344) einerlei ob die Handlung,
zu der der Erblasser den Erben durch die Aussicht auf den Ver-
lust veranlassen, oder von der er ihn abhalten wollte, unter den
Gesichtspunkt einer Beschränkung der persönlichen Freiheit fiel
oder nicht. Für das ältere Recht existirte ein solches absolutes
Verbot nicht, aber im Geiste desselben darf man annehmen, daß
von einem solchen Straflegat dasselbe galt, wie von der Con-
ventionalpön, d. h. Nichtigkeit für den Fall, daß die persönliche
Freiheit des Erben dadurch beeinträchtigt werden sollte.

Im Eherecht bewährt sich unser Gesichtspunkt an der Un-
klagbarkeit aller Verträge, die der vom römischen Recht als

343) L. 71 §. 2 de cond. (35. 1) . . non esse locum cautioni, per
quam jus libertatis infringitur.
Wilh. Sell, die Lehre von den
unmöglichen Bedingungen. S. 189 fl.
344) Durch Anton. Pius. Capitol. in vita Ant. Pii c. 8. In dieser
Allgemeinheit ward das Verbot durch Justinian wieder aufgehoben und da-
mit das frühere Recht, in dem der Charakter der dem Erben zugemutheten
Handlung über die Gültigkeit des Legats entschied, wieder hergestellt. Die
Behauptung, daß Antonin jenes Verbot nicht sowohl erweitert, als erst
eingeführt habe, ist ein Irrthum; schon Sabinus kannte es. §. 36 I. de
leg.
(2. 20.)
15*

A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
würde man ein Verſprechen, wodurch Jemand für den Fall, daß
er ſich z. B. verheirathe, ſein Domicil wechſle, zur Zahlung ei-
ner Summe verbindlich machte, als vollkommen gültig haben
anerkennen müſſen. Hier aber zeigt ſich eben, daß die Römer die
objektive Idee der perſönlichen Freiheit höher ſtellten, als das
Prinzip der abſtracten ſubjektiven Willensfreiheit; denn derartige
Verträge waren nichtig.343) Eine Parallele dazu findet ſich im
Erbrecht. Der Teſtator, der die perſönliche Freiheit des Erben
auf direktem Wege durch Verbote und Gebote nicht zu beſchränken
vermochte, konnte auf die Idee verfallen, es indirekt durch An-
ordnung bedingter Vermächtniſſe zu bewirken (z. B. wenn mein
Erbe ſich verheirathet, ſoll er dem A 1000 zahlen; ein Legat
mit dem Zweck einer Conventionalpön, daher legatum poenae
nomine relictum
). In der Kaiſerzeit ward ein ſolches Legat
ſchlechthin für ungültig erklärt,344) einerlei ob die Handlung,
zu der der Erblaſſer den Erben durch die Ausſicht auf den Ver-
luſt veranlaſſen, oder von der er ihn abhalten wollte, unter den
Geſichtspunkt einer Beſchränkung der perſönlichen Freiheit fiel
oder nicht. Für das ältere Recht exiſtirte ein ſolches abſolutes
Verbot nicht, aber im Geiſte deſſelben darf man annehmen, daß
von einem ſolchen Straflegat daſſelbe galt, wie von der Con-
ventionalpön, d. h. Nichtigkeit für den Fall, daß die perſönliche
Freiheit des Erben dadurch beeinträchtigt werden ſollte.

Im Eherecht bewährt ſich unſer Geſichtspunkt an der Un-
klagbarkeit aller Verträge, die der vom römiſchen Recht als

343) L. 71 §. 2 de cond. (35. 1) . . non esse locum cautioni, per
quam jus libertatis infringitur.
Wilh. Sell, die Lehre von den
unmöglichen Bedingungen. S. 189 fl.
344) Durch Anton. Pius. Capitol. in vita Ant. Pii c. 8. In dieſer
Allgemeinheit ward das Verbot durch Juſtinian wieder aufgehoben und da-
mit das frühere Recht, in dem der Charakter der dem Erben zugemutheten
Handlung über die Gültigkeit des Legats entſchied, wieder hergeſtellt. Die
Behauptung, daß Antonin jenes Verbot nicht ſowohl erweitert, als erſt
eingeführt habe, iſt ein Irrthum; ſchon Sabinus kannte es. §. 36 I. de
leg.
(2. 20.)
15*
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[227/0241] A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33. würde man ein Verſprechen, wodurch Jemand für den Fall, daß er ſich z. B. verheirathe, ſein Domicil wechſle, zur Zahlung ei- ner Summe verbindlich machte, als vollkommen gültig haben anerkennen müſſen. Hier aber zeigt ſich eben, daß die Römer die objektive Idee der perſönlichen Freiheit höher ſtellten, als das Prinzip der abſtracten ſubjektiven Willensfreiheit; denn derartige Verträge waren nichtig. 343) Eine Parallele dazu findet ſich im Erbrecht. Der Teſtator, der die perſönliche Freiheit des Erben auf direktem Wege durch Verbote und Gebote nicht zu beſchränken vermochte, konnte auf die Idee verfallen, es indirekt durch An- ordnung bedingter Vermächtniſſe zu bewirken (z. B. wenn mein Erbe ſich verheirathet, ſoll er dem A 1000 zahlen; ein Legat mit dem Zweck einer Conventionalpön, daher legatum poenae nomine relictum). In der Kaiſerzeit ward ein ſolches Legat ſchlechthin für ungültig erklärt, 344) einerlei ob die Handlung, zu der der Erblaſſer den Erben durch die Ausſicht auf den Ver- luſt veranlaſſen, oder von der er ihn abhalten wollte, unter den Geſichtspunkt einer Beſchränkung der perſönlichen Freiheit fiel oder nicht. Für das ältere Recht exiſtirte ein ſolches abſolutes Verbot nicht, aber im Geiſte deſſelben darf man annehmen, daß von einem ſolchen Straflegat daſſelbe galt, wie von der Con- ventionalpön, d. h. Nichtigkeit für den Fall, daß die perſönliche Freiheit des Erben dadurch beeinträchtigt werden ſollte. Im Eherecht bewährt ſich unſer Geſichtspunkt an der Un- klagbarkeit aller Verträge, die der vom römiſchen Recht als 343) L. 71 §. 2 de cond. (35. 1) . . non esse locum cautioni, per quam jus libertatis infringitur. Wilh. Sell, die Lehre von den unmöglichen Bedingungen. S. 189 fl. 344) Durch Anton. Pius. Capitol. in vita Ant. Pii c. 8. In dieſer Allgemeinheit ward das Verbot durch Juſtinian wieder aufgehoben und da- mit das frühere Recht, in dem der Charakter der dem Erben zugemutheten Handlung über die Gültigkeit des Legats entſchied, wieder hergeſtellt. Die Behauptung, daß Antonin jenes Verbot nicht ſowohl erweitert, als erſt eingeführt habe, iſt ein Irrthum; ſchon Sabinus kannte es. §. 36 I. de leg. (2. 20.) 15*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/241>, abgerufen am 24.11.2024.