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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32.
an der Tagesordnung. Es bewährt sich auch hieran wieder
die Richtigkeit der oft gemachten Bemerkung, daß die Ehe der
Barometer der Sittlichkeit eines Volkes ist. Nach der natür-
lichen Ansicht, wie sie im römischen Leben herrschte und sogar
in juristische Deduktionen hinüberspielt, 317) galt die Frau als
die eigentliche Herrin des Hauses, 318) und jene Eigenthums-
unfähigkeit derselben, von der die Theorie redete, ward faktisch
gar nicht fühlbar für sie, kam ihr vielleicht kaum zum Bewußtsein.
Die Sachen, die sie dem Manne zur dos mitbrachte, betrachtete
sie nach wie vor als ihr Eigenthum, 319) ja was ihm gehörte,
sah sie auch als das Ihrige an, kurz jene scharfe vermögens-
rechtliche Trennung beider hatte für die Ehegatten in ihrem
Verhältniß zu einander kaum eine praktische Realität; 320) nur
dritten Personen gegenüber konnte sie bedeutsam werden.
Welche Bewandniß es mit dem jus necis ac vitae des Mannes
hatte, wird sich am besten in einem andern Zusammenhange
zeigen lassen.

So viel, hoffe ich, wird nun aus der bisherigen Darstel-
lung hervorgehen, daß der Grund der eheherrlichen Gewalt un-
möglich in einer sittlich niedrigen Auffassung der Ehe gefunden
werden kann, und daß alle jene Phrasen von der Rohheit, dem

317) L. 1 rer. amot. (25. 2) .. quibusdam existimantibus, ne qui-
dem furtum eam facere, ut Nerva, Cassio, quia societas vitae quodam-
modo dominam eam faceret.
318) Macrob. Saturn. I. 15 .... postridie autem nuptam in domo
viri dominium incipere oportet apisci et rem facere divinam. Dio-
nys. II.
25.
319) Plaut. Asin. I. 1, 72: dotalem servum adduxit uxor tua,
cui plus in manu sit, quam tibi. Miles glor. IV. 6. 62, 63. Quin tua
causa exegit virum a se -- Quid? qui id facere potuit? -- Quia aedes
dotales hujus
sunt.
Die bekannte L. 30 Cod. de jure dot. (5. 12) ..
et naturaliter permanserunt in ejus dominio. L. 3 §. 5 de minor. (4. 4)
ipsius filiae proprium patrimonium. L. 71 de evict. (21. 2). L. 75 de
jure dot. (23. 3). L. 4 de coll. bon. (37. 6).
320) So verfügen z. B. die Matronen selbständig über das Gold, das
sie besitzen, Liv. V. 25, 50. Festus matronis.

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32.
an der Tagesordnung. Es bewährt ſich auch hieran wieder
die Richtigkeit der oft gemachten Bemerkung, daß die Ehe der
Barometer der Sittlichkeit eines Volkes iſt. Nach der natür-
lichen Anſicht, wie ſie im römiſchen Leben herrſchte und ſogar
in juriſtiſche Deduktionen hinüberſpielt, 317) galt die Frau als
die eigentliche Herrin des Hauſes, 318) und jene Eigenthums-
unfähigkeit derſelben, von der die Theorie redete, ward faktiſch
gar nicht fühlbar für ſie, kam ihr vielleicht kaum zum Bewußtſein.
Die Sachen, die ſie dem Manne zur dos mitbrachte, betrachtete
ſie nach wie vor als ihr Eigenthum, 319) ja was ihm gehörte,
ſah ſie auch als das Ihrige an, kurz jene ſcharfe vermögens-
rechtliche Trennung beider hatte für die Ehegatten in ihrem
Verhältniß zu einander kaum eine praktiſche Realität; 320) nur
dritten Perſonen gegenüber konnte ſie bedeutſam werden.
Welche Bewandniß es mit dem jus necis ac vitae des Mannes
hatte, wird ſich am beſten in einem andern Zuſammenhange
zeigen laſſen.

So viel, hoffe ich, wird nun aus der bisherigen Darſtel-
lung hervorgehen, daß der Grund der eheherrlichen Gewalt un-
möglich in einer ſittlich niedrigen Auffaſſung der Ehe gefunden
werden kann, und daß alle jene Phraſen von der Rohheit, dem

317) L. 1 rer. amot. (25. 2) .. quibusdam existimantibus, ne qui-
dem furtum eam facere, ut Nerva, Cassio, quia societas vitae quodam-
modo dominam eam faceret.
318) Macrob. Saturn. I. 15 .... postridie autem nuptam in domo
viri dominium incipere oportet apisci et rem facere divinam. Dio-
nys. II.
25.
319) Plaut. Asin. I. 1, 72: dotalem servum adduxit uxor tua,
cui plus in manu sit, quam tibi. Miles glor. IV. 6. 62, 63. Quin tua
causa exegit virum a se — Quid? qui id facere potuit? — Quia aedes
dotales hujus
sunt.
Die bekannte L. 30 Cod. de jure dot. (5. 12) ..
et naturaliter permanserunt in ejus dominio. L. 3 §. 5 de minor. (4. 4)
ipsius filiae proprium patrimonium. L. 71 de evict. (21. 2). L. 75 de
jure dot. (23. 3). L. 4 de coll. bon. (37. 6).
320) So verfügen z. B. die Matronen ſelbſtändig über das Gold, das
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[213/0227] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32. an der Tagesordnung. Es bewährt ſich auch hieran wieder die Richtigkeit der oft gemachten Bemerkung, daß die Ehe der Barometer der Sittlichkeit eines Volkes iſt. Nach der natür- lichen Anſicht, wie ſie im römiſchen Leben herrſchte und ſogar in juriſtiſche Deduktionen hinüberſpielt, 317) galt die Frau als die eigentliche Herrin des Hauſes, 318) und jene Eigenthums- unfähigkeit derſelben, von der die Theorie redete, ward faktiſch gar nicht fühlbar für ſie, kam ihr vielleicht kaum zum Bewußtſein. Die Sachen, die ſie dem Manne zur dos mitbrachte, betrachtete ſie nach wie vor als ihr Eigenthum, 319) ja was ihm gehörte, ſah ſie auch als das Ihrige an, kurz jene ſcharfe vermögens- rechtliche Trennung beider hatte für die Ehegatten in ihrem Verhältniß zu einander kaum eine praktiſche Realität; 320) nur dritten Perſonen gegenüber konnte ſie bedeutſam werden. Welche Bewandniß es mit dem jus necis ac vitae des Mannes hatte, wird ſich am beſten in einem andern Zuſammenhange zeigen laſſen. So viel, hoffe ich, wird nun aus der bisherigen Darſtel- lung hervorgehen, daß der Grund der eheherrlichen Gewalt un- möglich in einer ſittlich niedrigen Auffaſſung der Ehe gefunden werden kann, und daß alle jene Phraſen von der Rohheit, dem 317) L. 1 rer. amot. (25. 2) .. quibusdam existimantibus, ne qui- dem furtum eam facere, ut Nerva, Cassio, quia societas vitae quodam- modo dominam eam faceret. 318) Macrob. Saturn. I. 15 .... postridie autem nuptam in domo viri dominium incipere oportet apisci et rem facere divinam. Dio- nys. II. 25. 319) Plaut. Asin. I. 1, 72: dotalem servum adduxit uxor tua, cui plus in manu sit, quam tibi. Miles glor. IV. 6. 62, 63. Quin tua causa exegit virum a se — Quid? qui id facere potuit? — Quia aedes dotales hujus sunt. Die bekannte L. 30 Cod. de jure dot. (5. 12) .. et naturaliter permanserunt in ejus dominio. L. 3 §. 5 de minor. (4. 4) ipsius filiae proprium patrimonium. L. 71 de evict. (21. 2). L. 75 de jure dot. (23. 3). L. 4 de coll. bon. (37. 6). 320) So verfügen z. B. die Matronen ſelbſtändig über das Gold, das ſie beſitzen, Liv. V. 25, 50. Festus matronis.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/227>, abgerufen am 28.11.2024.