Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Vaters unterworfen, auch sie konnte er verkaufen, freilassenoder lebenslänglich in der Gewalt zurückbehalten, sie verhei- rathen und die Ehe wieder trennen u. s. w. Worin bestand denn jene Differenz? Es läßt sich für das ältere Recht nur eine einzige wirklich nennenswerthe nachweisen, nämlich die in den XII Tafeln enthaltene Beschränkung des Veräußerungsrechts: der Sohn, den der Vater drei Mal verkauft habe, solle fortan frei sein. Wie konnte von einem dreimaligen Verkauf die Rede sein? war nicht der Sohn bereits mit dem einmaligen definitiv aus der Gewalt herausgekommen? Die Sache ist die, daß das in dieser Weise (nicht also durch noxae datio) begründete Mancipium am Sohn mit jedem Lustrum (dem Abschluß der Censusperiode) aufhörte. 274) Wenn aber der Vater nur für ein Lustrum verkaufen konnte, so ließ sich der Verkauf nicht als eine definitive Entäußerung der väterlichen Gewalt betrachten, son- dern nur als eine zeitweise Suspendirung derselben, d. h. also mit dem Wegfallen des Mancipiums wachte die väterliche Ge- walt wieder auf. Die wohlthätige Intention jener liberirenden Wirkung des Census ließ sich aber durch stets wiederholten Ver- kauf völlig vereiteln; verhindert, das Kind mit Einem Male auf Lebenszeit zu verkaufen, veräußerte der Vater es mit jedem Lustrum von neuem. Hier griffen nun die XII Tafeln in das Recht des Vaters ein, indem sie es auf dreimalige Ausübung beschränkten. Da sie nur des Sohnes Erwähnung gethan hatten, so wandte die Interpretation die Bestimmung auf Töch- ter und Enkel nicht an, legte vielmehr hinsichtlich ihrer schon dem einmaligen Verkauf die Wirkung bei, die patria potestas zu konsumiren. Dieser Eingriff des Gesetzes in die patr. pot. hat etwas 274) Gaj. I. §. 140.
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Vaters unterworfen, auch ſie konnte er verkaufen, freilaſſenoder lebenslänglich in der Gewalt zurückbehalten, ſie verhei- rathen und die Ehe wieder trennen u. ſ. w. Worin beſtand denn jene Differenz? Es läßt ſich für das ältere Recht nur eine einzige wirklich nennenswerthe nachweiſen, nämlich die in den XII Tafeln enthaltene Beſchränkung des Veräußerungsrechts: der Sohn, den der Vater drei Mal verkauft habe, ſolle fortan frei ſein. Wie konnte von einem dreimaligen Verkauf die Rede ſein? war nicht der Sohn bereits mit dem einmaligen definitiv aus der Gewalt herausgekommen? Die Sache iſt die, daß das in dieſer Weiſe (nicht alſo durch noxae datio) begründete Mancipium am Sohn mit jedem Luſtrum (dem Abſchluß der Cenſusperiode) aufhörte. 274) Wenn aber der Vater nur für ein Luſtrum verkaufen konnte, ſo ließ ſich der Verkauf nicht als eine definitive Entäußerung der väterlichen Gewalt betrachten, ſon- dern nur als eine zeitweiſe Suspendirung derſelben, d. h. alſo mit dem Wegfallen des Mancipiums wachte die väterliche Ge- walt wieder auf. Die wohlthätige Intention jener liberirenden Wirkung des Cenſus ließ ſich aber durch ſtets wiederholten Ver- kauf völlig vereiteln; verhindert, das Kind mit Einem Male auf Lebenszeit zu verkaufen, veräußerte der Vater es mit jedem Luſtrum von neuem. Hier griffen nun die XII Tafeln in das Recht des Vaters ein, indem ſie es auf dreimalige Ausübung beſchränkten. Da ſie nur des Sohnes Erwähnung gethan hatten, ſo wandte die Interpretation die Beſtimmung auf Töch- ter und Enkel nicht an, legte vielmehr hinſichtlich ihrer ſchon dem einmaligen Verkauf die Wirkung bei, die patria potestas zu konſumiren. Dieſer Eingriff des Geſetzes in die patr. pot. hat etwas 274) Gaj. I. §. 140.
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Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Vaters unterworfen, auch ſie konnte er verkaufen, freilaſſen
oder lebenslänglich in der Gewalt zurückbehalten, ſie verhei-
rathen und die Ehe wieder trennen u. ſ. w. Worin beſtand
denn jene Differenz? Es läßt ſich für das ältere Recht nur eine
einzige wirklich nennenswerthe nachweiſen, nämlich die in den
XII Tafeln enthaltene Beſchränkung des Veräußerungsrechts:
der Sohn, den der Vater drei Mal verkauft habe, ſolle fortan
frei ſein. Wie konnte von einem dreimaligen Verkauf die Rede
ſein? war nicht der Sohn bereits mit dem einmaligen definitiv
aus der Gewalt herausgekommen? Die Sache iſt die, daß das
in dieſer Weiſe (nicht alſo durch noxae datio) begründete
Mancipium am Sohn mit jedem Luſtrum (dem Abſchluß der
Cenſusperiode) aufhörte. 274) Wenn aber der Vater nur für ein
Luſtrum verkaufen konnte, ſo ließ ſich der Verkauf nicht als eine
definitive Entäußerung der väterlichen Gewalt betrachten, ſon-
dern nur als eine zeitweiſe Suspendirung derſelben, d. h. alſo
mit dem Wegfallen des Mancipiums wachte die väterliche Ge-
walt wieder auf. Die wohlthätige Intention jener liberirenden
Wirkung des Cenſus ließ ſich aber durch ſtets wiederholten Ver-
kauf völlig vereiteln; verhindert, das Kind mit Einem Male
auf Lebenszeit zu verkaufen, veräußerte der Vater es mit jedem
Luſtrum von neuem. Hier griffen nun die XII Tafeln in das
Recht des Vaters ein, indem ſie es auf dreimalige Ausübung
beſchränkten. Da ſie nur des Sohnes Erwähnung gethan
hatten, ſo wandte die Interpretation die Beſtimmung auf Töch-
ter und Enkel nicht an, legte vielmehr hinſichtlich ihrer ſchon
dem einmaligen Verkauf die Wirkung bei, die patria potestas
zu konſumiren.
Dieſer Eingriff des Geſetzes in die patr. pot. hat etwas
Lehrreiches. Es muß nämlich auffallen, daß das Geſetz den
Sohn gegen ein verhältnißmäßig geringes Uebel ſicher ſtellte,
ihn aber gegen weit größere Gefahren völlig ſchutzlos ließ.
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