Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32. den Satz, daß Kriegsgefangenschaft Sklaverei begründe, auchgegen sich an. Ein Loos aber, das bei den Wechselfällen des Krie- ges auch den vornehmsten Römer jeden Augenblick treffen konnte, ein Verhältniß, in das Tausende von Römern gerathen waren und immer wieder geriethen, mußte von vornherein schon mit ganz andern Augen betrachtet werden, als das Verhältniß eines heuti- gen Negersklaven, in dem ja die in Amerika herrschende Ansicht nichts als den Zustand einer geringgeschätzten, zum Dienen be- stimmten Menschenklasse erblickt. Der Gesichtspunkt einer Waare, eines Handelsobjekts mochte juristisch noch so sehr begründet sein, faktisch, meine ich, mußte diese Auffassung etwas Wider- strebendes haben. Faktisch konnte ein Römer den kriegsgefan- genen Feind, der in seiner Heimath vielleicht eine hervorragende Stellung eingenommen, der ihm noch vor kurzem auf dem Schlachtfelde als freier Mann und würdiger Gegner gegenüber ge- standen, der möglicherweise in nächster Zeit schon durch seine Ver- wandten eingelöst ward, um zu dem Genuß aller seiner Rechte, Würden u. s. w. zurückzukehren -- faktisch konnte ein Römer einen Solchen nicht mit der Rücksichtslosigkeit behandeln, nicht mit der Verachtung auf ihn herabsehen, die die Sklaverei der spätern römischen Zeit und vor allem die der Gegenwart charak- terisirt. 248) Es kommt hinzu, daß auch hinsichtlich der fakti- schen Behandlung des kriegsgefangenen Sklaven unter den in Krieg verflochtenen Völkern ohne Zweifel eine Reciprocität Statt fand, daß also die Römer darauf gefaßt sein mußten, sich selbst als Kriegsgefangene mit derselben Strenge und Grau- samkeit behandelt zu sehen, die sie gegen die gefangenen Feinde übten. So begreift es sich, daß der römische Senat aus Gründen der Politik (aus Gründen der Menschlichkeit that es der Censor) Veranlassung nehmen konnte, sich des Looses der 248) Bezeichnend für die sociale Stellung der Sklaven in alter Zeit ist,
daß Serv. Tullius nach der Sage das Kind einer Sklavin gewesen sein soll, ebenso daß das ältere Recht die Adoption eines Sklaven kannte. A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32. den Satz, daß Kriegsgefangenſchaft Sklaverei begründe, auchgegen ſich an. Ein Loos aber, das bei den Wechſelfällen des Krie- ges auch den vornehmſten Römer jeden Augenblick treffen konnte, ein Verhältniß, in das Tauſende von Römern gerathen waren und immer wieder geriethen, mußte von vornherein ſchon mit ganz andern Augen betrachtet werden, als das Verhältniß eines heuti- gen Negerſklaven, in dem ja die in Amerika herrſchende Anſicht nichts als den Zuſtand einer geringgeſchätzten, zum Dienen be- ſtimmten Menſchenklaſſe erblickt. Der Geſichtspunkt einer Waare, eines Handelsobjekts mochte juriſtiſch noch ſo ſehr begründet ſein, faktiſch, meine ich, mußte dieſe Auffaſſung etwas Wider- ſtrebendes haben. Faktiſch konnte ein Römer den kriegsgefan- genen Feind, der in ſeiner Heimath vielleicht eine hervorragende Stellung eingenommen, der ihm noch vor kurzem auf dem Schlachtfelde als freier Mann und würdiger Gegner gegenüber ge- ſtanden, der möglicherweiſe in nächſter Zeit ſchon durch ſeine Ver- wandten eingelöſt ward, um zu dem Genuß aller ſeiner Rechte, Würden u. ſ. w. zurückzukehren — faktiſch konnte ein Römer einen Solchen nicht mit der Rückſichtsloſigkeit behandeln, nicht mit der Verachtung auf ihn herabſehen, die die Sklaverei der ſpätern römiſchen Zeit und vor allem die der Gegenwart charak- teriſirt. 248) Es kommt hinzu, daß auch hinſichtlich der fakti- ſchen Behandlung des kriegsgefangenen Sklaven unter den in Krieg verflochtenen Völkern ohne Zweifel eine Reciprocität Statt fand, daß alſo die Römer darauf gefaßt ſein mußten, ſich ſelbſt als Kriegsgefangene mit derſelben Strenge und Grau- ſamkeit behandelt zu ſehen, die ſie gegen die gefangenen Feinde übten. So begreift es ſich, daß der römiſche Senat aus Gründen der Politik (aus Gründen der Menſchlichkeit that es der Cenſor) Veranlaſſung nehmen konnte, ſich des Looſes der 248) Bezeichnend für die ſociale Stellung der Sklaven in alter Zeit iſt,
daß Serv. Tullius nach der Sage das Kind einer Sklavin geweſen ſein ſoll, ebenſo daß das ältere Recht die Adoption eines Sklaven kannte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0195" n="181"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.</fw><lb/> den Satz, daß Kriegsgefangenſchaft Sklaverei begründe, auch<lb/> gegen ſich an. Ein Loos aber, das bei den Wechſelfällen des Krie-<lb/> ges auch den vornehmſten Römer jeden Augenblick treffen konnte,<lb/> ein Verhältniß, in das Tauſende von Römern gerathen waren und<lb/> immer wieder geriethen, mußte von vornherein ſchon mit ganz<lb/> andern Augen betrachtet werden, als das Verhältniß eines heuti-<lb/> gen Negerſklaven, in dem ja die in Amerika herrſchende Anſicht<lb/> nichts als den Zuſtand einer geringgeſchätzten, zum Dienen be-<lb/> ſtimmten Menſchenklaſſe erblickt. Der Geſichtspunkt einer Waare,<lb/> eines Handelsobjekts mochte juriſtiſch noch ſo ſehr begründet<lb/> ſein, faktiſch, meine ich, mußte dieſe Auffaſſung etwas Wider-<lb/> ſtrebendes haben. Faktiſch konnte ein Römer den kriegsgefan-<lb/> genen Feind, der in ſeiner Heimath vielleicht eine hervorragende<lb/> Stellung eingenommen, der ihm noch vor kurzem auf dem<lb/> Schlachtfelde als freier Mann und würdiger Gegner gegenüber ge-<lb/> ſtanden, der möglicherweiſe in nächſter Zeit ſchon durch ſeine Ver-<lb/> wandten eingelöſt ward, um zu dem Genuß aller ſeiner Rechte,<lb/> Würden u. ſ. w. zurückzukehren — faktiſch konnte ein Römer<lb/> einen Solchen nicht mit der Rückſichtsloſigkeit behandeln, nicht<lb/> mit der Verachtung auf ihn herabſehen, die die Sklaverei der<lb/> ſpätern römiſchen Zeit und vor allem die der Gegenwart charak-<lb/> teriſirt. <note place="foot" n="248)">Bezeichnend für die ſociale Stellung der Sklaven in alter Zeit iſt,<lb/> daß Serv. Tullius nach der Sage das Kind einer Sklavin geweſen ſein ſoll,<lb/> ebenſo daß das ältere Recht die Adoption eines Sklaven kannte.</note> Es kommt hinzu, daß auch hinſichtlich der <hi rendition="#g">fakti-<lb/> ſchen</hi> Behandlung des kriegsgefangenen Sklaven unter den in<lb/> Krieg verflochtenen Völkern ohne Zweifel eine Reciprocität<lb/> Statt fand, daß alſo die Römer darauf gefaßt ſein mußten, ſich<lb/> ſelbſt als Kriegsgefangene mit derſelben Strenge und Grau-<lb/> ſamkeit behandelt zu ſehen, die ſie gegen die gefangenen Feinde<lb/> übten. So begreift es ſich, daß der römiſche Senat aus<lb/> Gründen der Politik (aus Gründen der Menſchlichkeit that es<lb/> der Cenſor) Veranlaſſung nehmen konnte, ſich des Looſes der<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [181/0195]
A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
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gegen ſich an. Ein Loos aber, das bei den Wechſelfällen des Krie-
ges auch den vornehmſten Römer jeden Augenblick treffen konnte,
ein Verhältniß, in das Tauſende von Römern gerathen waren und
immer wieder geriethen, mußte von vornherein ſchon mit ganz
andern Augen betrachtet werden, als das Verhältniß eines heuti-
gen Negerſklaven, in dem ja die in Amerika herrſchende Anſicht
nichts als den Zuſtand einer geringgeſchätzten, zum Dienen be-
ſtimmten Menſchenklaſſe erblickt. Der Geſichtspunkt einer Waare,
eines Handelsobjekts mochte juriſtiſch noch ſo ſehr begründet
ſein, faktiſch, meine ich, mußte dieſe Auffaſſung etwas Wider-
ſtrebendes haben. Faktiſch konnte ein Römer den kriegsgefan-
genen Feind, der in ſeiner Heimath vielleicht eine hervorragende
Stellung eingenommen, der ihm noch vor kurzem auf dem
Schlachtfelde als freier Mann und würdiger Gegner gegenüber ge-
ſtanden, der möglicherweiſe in nächſter Zeit ſchon durch ſeine Ver-
wandten eingelöſt ward, um zu dem Genuß aller ſeiner Rechte,
Würden u. ſ. w. zurückzukehren — faktiſch konnte ein Römer
einen Solchen nicht mit der Rückſichtsloſigkeit behandeln, nicht
mit der Verachtung auf ihn herabſehen, die die Sklaverei der
ſpätern römiſchen Zeit und vor allem die der Gegenwart charak-
teriſirt. 248) Es kommt hinzu, daß auch hinſichtlich der fakti-
ſchen Behandlung des kriegsgefangenen Sklaven unter den in
Krieg verflochtenen Völkern ohne Zweifel eine Reciprocität
Statt fand, daß alſo die Römer darauf gefaßt ſein mußten, ſich
ſelbſt als Kriegsgefangene mit derſelben Strenge und Grau-
ſamkeit behandelt zu ſehen, die ſie gegen die gefangenen Feinde
übten. So begreift es ſich, daß der römiſche Senat aus
Gründen der Politik (aus Gründen der Menſchlichkeit that es
der Cenſor) Veranlaſſung nehmen konnte, ſich des Looſes der
248) Bezeichnend für die ſociale Stellung der Sklaven in alter Zeit iſt,
daß Serv. Tullius nach der Sage das Kind einer Sklavin geweſen ſein ſoll,
ebenſo daß das ältere Recht die Adoption eines Sklaven kannte.
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