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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Syst. der Auton. Obligationenrecht. §. 31.
Hoffnung aufgab, die Schuld jemals zu tilgen, gerieth er in
persönliche Abhängigkeit von seinem Gläubiger, und man müßte
die Römer nicht kennen, um nicht zu wissen, daß sie sich dieses
Mittels zu politischen Zwecken mit großem Erfolg bedient haben
werden. Das Darlehn diente als Handgeld, durch dessen Annahme
der Schuldner in vielen Fällen faktisch seine politische Frei-
heit einbüßte und zu seinem Gläubiger in ein gewisses Dienst-
barkeitsverhältniß trat. Bei der geringsten Widersetzlichkeit von
seiner Seite hatte letzterer es ja in seiner Hand, ihn total zu
ruiniren, d. h. als Sklaven in die Fremde zu verkaufen. Darum
war das Zinsmaximum der XII Tafeln, so hoch es auch nach
unsern Begriffen immerhin sein mag, doch eine wahre Wohlthat
und eine Maßregel von politischer Bedeutung, und daher
wird es erklärlich, daß Bewegungen politischer Art in Rom
regelmäßig auch eine Richtung nach dieser ökonomischen Seite hin
hatten 193) oder durch dieselbe veranlaßt wurden, 194) ja daß ein
radikaler Volkstribun sogar auf die abentheuerliche Idee kom-
men konnte, das Zinsennehmen gesetzlich ganz verbieten zu las-
sen. 195) Diese Beschränkung hinsichtlich der Zinsen war übri-
gens, so viel uns bekannt, der einzige positive Eingriff in
das Freiheitsprinzip des Obligationenrechts. Daß der Begriff
der Obligation selbst sowie der Formalismus des ältern
Rechts 196) der absoluten Willkühr gewisse Schranken zog, die
aber nicht als positive Beschränkungen des Willens aufzufassen
sind, braucht kaum bemerkt zu werden.

Die Macht, die die Obligation dem Gläubiger über den

... multiplici jam sorte soluta mergentibus semper sortem usuris ob-
rutum foenore esse.
W. Sell, Ueber das Verbot der Zinsen supra duplum
in seinen und K. Sells Jahrbüchern. B. 1, Nr. 1.
193) z. B. die novae tabulae (S. 78). Daher auch z. B. der Haß der
Patricier gegen den M. Manlius, dessen Bestrebungen für die ökonomische
Lage der Plebs einen politischen Endzweck hatten. (Liv. VI. 14--20.)
194) z. B. Liv. II. 23. VI. 14.
195) Genucius. Liv. VII. 42.
196) Von ihnen wird darum an einer andern Stelle die Rede sein.

A. Stellung des Indiv. Syſt. der Auton. Obligationenrecht. §. 31.
Hoffnung aufgab, die Schuld jemals zu tilgen, gerieth er in
perſönliche Abhängigkeit von ſeinem Gläubiger, und man müßte
die Römer nicht kennen, um nicht zu wiſſen, daß ſie ſich dieſes
Mittels zu politiſchen Zwecken mit großem Erfolg bedient haben
werden. Das Darlehn diente als Handgeld, durch deſſen Annahme
der Schuldner in vielen Fällen faktiſch ſeine politiſche Frei-
heit einbüßte und zu ſeinem Gläubiger in ein gewiſſes Dienſt-
barkeitsverhältniß trat. Bei der geringſten Widerſetzlichkeit von
ſeiner Seite hatte letzterer es ja in ſeiner Hand, ihn total zu
ruiniren, d. h. als Sklaven in die Fremde zu verkaufen. Darum
war das Zinsmaximum der XII Tafeln, ſo hoch es auch nach
unſern Begriffen immerhin ſein mag, doch eine wahre Wohlthat
und eine Maßregel von politiſcher Bedeutung, und daher
wird es erklärlich, daß Bewegungen politiſcher Art in Rom
regelmäßig auch eine Richtung nach dieſer ökonomiſchen Seite hin
hatten 193) oder durch dieſelbe veranlaßt wurden, 194) ja daß ein
radikaler Volkstribun ſogar auf die abentheuerliche Idee kom-
men konnte, das Zinſennehmen geſetzlich ganz verbieten zu laſ-
ſen. 195) Dieſe Beſchränkung hinſichtlich der Zinſen war übri-
gens, ſo viel uns bekannt, der einzige poſitive Eingriff in
das Freiheitsprinzip des Obligationenrechts. Daß der Begriff
der Obligation ſelbſt ſowie der Formalismus des ältern
Rechts 196) der abſoluten Willkühr gewiſſe Schranken zog, die
aber nicht als poſitive Beſchränkungen des Willens aufzufaſſen
ſind, braucht kaum bemerkt zu werden.

Die Macht, die die Obligation dem Gläubiger über den

multiplici jam sorte soluta mergentibus semper sortem usuris ob-
rutum foenore esse.
W. Sell, Ueber das Verbot der Zinſen supra duplum
in ſeinen und K. Sells Jahrbüchern. B. 1, Nr. 1.
193) z. B. die novae tabulae (S. 78). Daher auch z. B. der Haß der
Patricier gegen den M. Manlius, deſſen Beſtrebungen für die ökonomiſche
Lage der Plebs einen politiſchen Endzweck hatten. (Liv. VI. 14—20.)
194) z. B. Liv. II. 23. VI. 14.
195) Genucius. Liv. VII. 42.
196) Von ihnen wird darum an einer andern Stelle die Rede ſein.
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[159/0173] A. Stellung des Indiv. Syſt. der Auton. Obligationenrecht. §. 31. Hoffnung aufgab, die Schuld jemals zu tilgen, gerieth er in perſönliche Abhängigkeit von ſeinem Gläubiger, und man müßte die Römer nicht kennen, um nicht zu wiſſen, daß ſie ſich dieſes Mittels zu politiſchen Zwecken mit großem Erfolg bedient haben werden. Das Darlehn diente als Handgeld, durch deſſen Annahme der Schuldner in vielen Fällen faktiſch ſeine politiſche Frei- heit einbüßte und zu ſeinem Gläubiger in ein gewiſſes Dienſt- barkeitsverhältniß trat. Bei der geringſten Widerſetzlichkeit von ſeiner Seite hatte letzterer es ja in ſeiner Hand, ihn total zu ruiniren, d. h. als Sklaven in die Fremde zu verkaufen. Darum war das Zinsmaximum der XII Tafeln, ſo hoch es auch nach unſern Begriffen immerhin ſein mag, doch eine wahre Wohlthat und eine Maßregel von politiſcher Bedeutung, und daher wird es erklärlich, daß Bewegungen politiſcher Art in Rom regelmäßig auch eine Richtung nach dieſer ökonomiſchen Seite hin hatten 193) oder durch dieſelbe veranlaßt wurden, 194) ja daß ein radikaler Volkstribun ſogar auf die abentheuerliche Idee kom- men konnte, das Zinſennehmen geſetzlich ganz verbieten zu laſ- ſen. 195) Dieſe Beſchränkung hinſichtlich der Zinſen war übri- gens, ſo viel uns bekannt, der einzige poſitive Eingriff in das Freiheitsprinzip des Obligationenrechts. Daß der Begriff der Obligation ſelbſt ſowie der Formalismus des ältern Rechts 196) der abſoluten Willkühr gewiſſe Schranken zog, die aber nicht als poſitive Beſchränkungen des Willens aufzufaſſen ſind, braucht kaum bemerkt zu werden. Die Macht, die die Obligation dem Gläubiger über den 192) 193) z. B. die novae tabulae (S. 78). Daher auch z. B. der Haß der Patricier gegen den M. Manlius, deſſen Beſtrebungen für die ökonomiſche Lage der Plebs einen politiſchen Endzweck hatten. (Liv. VI. 14—20.) 194) z. B. Liv. II. 23. VI. 14. 195) Genucius. Liv. VII. 42. 196) Von ihnen wird darum an einer andern Stelle die Rede ſein. 192) … multiplici jam sorte soluta mergentibus semper sortem usuris ob- rutum foenore esse. W. Sell, Ueber das Verbot der Zinſen supra duplum in ſeinen und K. Sells Jahrbüchern. B. 1, Nr. 1.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/173>, abgerufen am 23.11.2024.