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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. System der Autonomie. Eigenthum. §. 31.
namentlich in einem Lande mit unebenem, abschüssigem Terrain
unausführbar ist, die unendlich wichtige Wasserfrage mithin
nicht der Willkühr des Einzelnen überlassen bleiben kann, liegt
auf der Hand. Hier trafen bereits die XII Tafeln die nöthige
Vorsorge. 172) Ebenso kann jeder Eigenthümer seine Gebäude
u. s. w. verfallen lassen, und der Strenge nach würde das
dadurch im äußersten Grade gefährdete Interesse des Nachbarn
keinen Gegengrund abgeben. Das ältere Recht ertheilte aber
dem dabei Interessirten ein Schutzmittel; von welcher Beschaf-
fenheit, wissen wir nicht, nur läßt sich annehmen, daß es
hierbei mit nicht geringerer Mäßigung gegen den Eigenthümer
der schadhaften Sache verfahren ist, als das spätere. 173) Letzte-
res verpflichtete nämlich den Eigenthümer nicht unbedingt zur
Reparatur und nicht einmal zum Schadensersatz, wenn derselbe
nicht im voraus versprochen war, sondern es stellte ihm nur die
Alternative: entweder dem Nachbar, wenn er darauf drang,
wegen des künftigen Schadens Sicherheit zu gewähren (cautio
damni infecti
), oder ihm die Reparatur und das Gefahr drohende
Werk selbst abzutreten. Eine andere Beschränkung, die bereits in
den XII Tafeln enthalten war, bezog sich auf das einen um den
andern Tag verstattete Aufsammeln des auf das benachbarte
Grundstück gefallenen Obstes, sowie auf das Beschneiden der
dem angränzenden Grundstücke zu nahe stehenden Bäume. 174)
Auf diese Bestimmungen hat sich übrigens die Rücksicht auf den
Nachbarn auch beschränkt; darüber hinaus legt sie dem Eigen-

172) L. 21 de statulib. (40. 7) .. verba legis XII tabul: si aqua plu-
via nocet.
173) Man hatte später die Wahl zwischen dem Wege des ältern Rechts
(legis actio) und dem des neuern, zog aber den letztern vor, weil er das
commodius und plenius jus enthalte (Gaj. IV. §. 31.), also war der
ältere, wenn für den Kläger weniger vortheilhaft, für den Beklagten minder
drückend.
174) Außerdem ließe sich von Bestimmungen im landwirthschaftlichen
Interesse die act. de tigno juncto in ihrer Anwendbarkeit auf die zum Wein-
bau verwandten fremden Pfähle nennen.

A. Stellung des Indiv. Syſtem der Autonomie. Eigenthum. §. 31.
namentlich in einem Lande mit unebenem, abſchüſſigem Terrain
unausführbar iſt, die unendlich wichtige Waſſerfrage mithin
nicht der Willkühr des Einzelnen überlaſſen bleiben kann, liegt
auf der Hand. Hier trafen bereits die XII Tafeln die nöthige
Vorſorge. 172) Ebenſo kann jeder Eigenthümer ſeine Gebäude
u. ſ. w. verfallen laſſen, und der Strenge nach würde das
dadurch im äußerſten Grade gefährdete Intereſſe des Nachbarn
keinen Gegengrund abgeben. Das ältere Recht ertheilte aber
dem dabei Intereſſirten ein Schutzmittel; von welcher Beſchaf-
fenheit, wiſſen wir nicht, nur läßt ſich annehmen, daß es
hierbei mit nicht geringerer Mäßigung gegen den Eigenthümer
der ſchadhaften Sache verfahren iſt, als das ſpätere. 173) Letzte-
res verpflichtete nämlich den Eigenthümer nicht unbedingt zur
Reparatur und nicht einmal zum Schadenserſatz, wenn derſelbe
nicht im voraus verſprochen war, ſondern es ſtellte ihm nur die
Alternative: entweder dem Nachbar, wenn er darauf drang,
wegen des künftigen Schadens Sicherheit zu gewähren (cautio
damni infecti
), oder ihm die Reparatur und das Gefahr drohende
Werk ſelbſt abzutreten. Eine andere Beſchränkung, die bereits in
den XII Tafeln enthalten war, bezog ſich auf das einen um den
andern Tag verſtattete Aufſammeln des auf das benachbarte
Grundſtück gefallenen Obſtes, ſowie auf das Beſchneiden der
dem angränzenden Grundſtücke zu nahe ſtehenden Bäume. 174)
Auf dieſe Beſtimmungen hat ſich übrigens die Rückſicht auf den
Nachbarn auch beſchränkt; darüber hinaus legt ſie dem Eigen-

172) L. 21 de statulib. (40. 7) .. verba legis XII tabul: si aqua plu-
via nocet.
173) Man hatte ſpäter die Wahl zwiſchen dem Wege des ältern Rechts
(legis actio) und dem des neuern, zog aber den letztern vor, weil er das
commodius und plenius jus enthalte (Gaj. IV. §. 31.), alſo war der
ältere, wenn für den Kläger weniger vortheilhaft, für den Beklagten minder
drückend.
174) Außerdem ließe ſich von Beſtimmungen im landwirthſchaftlichen
Intereſſe die act. de tigno juncto in ihrer Anwendbarkeit auf die zum Wein-
bau verwandten fremden Pfähle nennen.
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[153/0167] A. Stellung des Indiv. Syſtem der Autonomie. Eigenthum. §. 31. namentlich in einem Lande mit unebenem, abſchüſſigem Terrain unausführbar iſt, die unendlich wichtige Waſſerfrage mithin nicht der Willkühr des Einzelnen überlaſſen bleiben kann, liegt auf der Hand. Hier trafen bereits die XII Tafeln die nöthige Vorſorge. 172) Ebenſo kann jeder Eigenthümer ſeine Gebäude u. ſ. w. verfallen laſſen, und der Strenge nach würde das dadurch im äußerſten Grade gefährdete Intereſſe des Nachbarn keinen Gegengrund abgeben. Das ältere Recht ertheilte aber dem dabei Intereſſirten ein Schutzmittel; von welcher Beſchaf- fenheit, wiſſen wir nicht, nur läßt ſich annehmen, daß es hierbei mit nicht geringerer Mäßigung gegen den Eigenthümer der ſchadhaften Sache verfahren iſt, als das ſpätere. 173) Letzte- res verpflichtete nämlich den Eigenthümer nicht unbedingt zur Reparatur und nicht einmal zum Schadenserſatz, wenn derſelbe nicht im voraus verſprochen war, ſondern es ſtellte ihm nur die Alternative: entweder dem Nachbar, wenn er darauf drang, wegen des künftigen Schadens Sicherheit zu gewähren (cautio damni infecti), oder ihm die Reparatur und das Gefahr drohende Werk ſelbſt abzutreten. Eine andere Beſchränkung, die bereits in den XII Tafeln enthalten war, bezog ſich auf das einen um den andern Tag verſtattete Aufſammeln des auf das benachbarte Grundſtück gefallenen Obſtes, ſowie auf das Beſchneiden der dem angränzenden Grundſtücke zu nahe ſtehenden Bäume. 174) Auf dieſe Beſtimmungen hat ſich übrigens die Rückſicht auf den Nachbarn auch beſchränkt; darüber hinaus legt ſie dem Eigen- 172) L. 21 de statulib. (40. 7) .. verba legis XII tabul: si aqua plu- via nocet. 173) Man hatte ſpäter die Wahl zwiſchen dem Wege des ältern Rechts (legis actio) und dem des neuern, zog aber den letztern vor, weil er das commodius und plenius jus enthalte (Gaj. IV. §. 31.), alſo war der ältere, wenn für den Kläger weniger vortheilhaft, für den Beklagten minder drückend. 174) Außerdem ließe ſich von Beſtimmungen im landwirthſchaftlichen Intereſſe die act. de tigno juncto in ihrer Anwendbarkeit auf die zum Wein- bau verwandten fremden Pfähle nennen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/167>, abgerufen am 23.11.2024.