Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. ich will nur diejenigen aufzählen, die die Römer selbst alswerthvolle Garantien der persönlichen Freiheit namhaft ma- chen. Hierzu gehören namentlich: die Freizügigkeit, 149) die man sogar dem Inquisiten bis zum Urtheilsspruch zugestand, 150) der Schutz gegen die Willkühr der Beamten, der durch das Recht der Provokation an die Volksversammlung, 151) das Intercessionsrecht der Tribunen und höheren Magistrate und die Verantwortlichkeit der Beamten in umfassendster Weise gewährleistet war. Sodann der gestaltende Einfluß, den die Vorstellung von der Würde des römischen Bürgers auf das Kriminalrecht ausgeübt hat, z. B. die Ausschließung der Tor- tur, 152) der Leibes- und grausamer Lebensstrafen, 153) und eine Reihe anderer nicht minder werthvoller Einrichtungen. 154) 149) Cic. pro Balbo c. 13. s. oben S. 59, Anm. 46. 150) Die Verhaftung des Angeklagten war rechtlich möglich, wenn auch nicht nöthig, sie ließ sich jedoch, wenn sie verfügt war, durch die Intercession eines Tribunen abwenden oder in Freilassung gegen Kaution verwandeln. Zu dem freien Exulationsrecht des Angeklagten (Sallust. Catil. 51) paßte sie nicht recht, und es ist daher erklärlich, daß sie, wenn auch rechtlich nicht aufgehoben, sich doch in der Praxis verlor und zur äußersten Seltenheit ward. Geib, Geschichte des röm. Kriminalproz. S. 119, 120. 151) Cic. de orat. II. 48 .. patronam illam civitatis ac vindicem libertatis. Liv. III. 55: unicum praesidium libertatis. Ich erinnere ferner an das den Beamten gesetzte Maximum der Multa Gell. XI. 1. 152) Geib, S. 138 fl. 153) Liv. X. 9. Cic. in Verr. II. V. c. 54--57. pro Rabirio c. 4, 5: carnifex vero et obductio capitis et nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium Rom., sed etiam a cogitatione, oculis, auribus. Ha- rum enim omnium rerum non solum eventus atque perpessio, sed etiam conditio, exspectatio, mentio ipsa denique in- digna cive Romano atque homine libero est. 154) z. B. der Grundsatz der quarta accusatio (Geib, S. 116 fl. und
die neueste Untersuchung darüber von Lange: die oskische Inschrift der Ta- bula Bantina u. die röm. Volksgerichte. S. 65--86), insofern er einmal dem Angeklagten die Gelegenheit gab, die öffentliche Meinung für sich zu ge- winnen, und andererseits der momentan erregten Leidenschaft des Volks Zeit ließ, sich abzukühlen. Ferner der Grundsatz, daß die Aussagen der Sklaven gegen ihre Herren nicht angenommen werden sollten (Geib, S. 142). Die Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. ich will nur diejenigen aufzählen, die die Römer ſelbſt alswerthvolle Garantien der perſönlichen Freiheit namhaft ma- chen. Hierzu gehören namentlich: die Freizügigkeit, 149) die man ſogar dem Inquiſiten bis zum Urtheilsſpruch zugeſtand, 150) der Schutz gegen die Willkühr der Beamten, der durch das Recht der Provokation an die Volksverſammlung, 151) das Interceſſionsrecht der Tribunen und höheren Magiſtrate und die Verantwortlichkeit der Beamten in umfaſſendſter Weiſe gewährleiſtet war. Sodann der geſtaltende Einfluß, den die Vorſtellung von der Würde des römiſchen Bürgers auf das Kriminalrecht ausgeübt hat, z. B. die Ausſchließung der Tor- tur, 152) der Leibes- und grauſamer Lebensſtrafen, 153) und eine Reihe anderer nicht minder werthvoller Einrichtungen. 154) 149) Cic. pro Balbo c. 13. ſ. oben S. 59, Anm. 46. 150) Die Verhaftung des Angeklagten war rechtlich möglich, wenn auch nicht nöthig, ſie ließ ſich jedoch, wenn ſie verfügt war, durch die Interceſſion eines Tribunen abwenden oder in Freilaſſung gegen Kaution verwandeln. Zu dem freien Exulationsrecht des Angeklagten (Sallust. Catil. 51) paßte ſie nicht recht, und es iſt daher erklärlich, daß ſie, wenn auch rechtlich nicht aufgehoben, ſich doch in der Praxis verlor und zur äußerſten Seltenheit ward. Geib, Geſchichte des röm. Kriminalproz. S. 119, 120. 151) Cic. de orat. II. 48 .. patronam illam civitatis ac vindicem libertatis. Liv. III. 55: unicum praesidium libertatis. Ich erinnere ferner an das den Beamten geſetzte Maximum der Multa Gell. XI. 1. 152) Geib, S. 138 fl. 153) Liv. X. 9. Cic. in Verr. II. V. c. 54—57. pro Rabirio c. 4, 5: carnifex vero et obductio capitis et nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium Rom., sed etiam a cogitatione, oculis, auribus. Ha- rum enim omnium rerum non solum eventus atque perpessio, sed etiam conditio, exspectatio, mentio ipsa denique in- digna cive Romano atque homine libero est. 154) z. B. der Grundſatz der quarta accusatio (Geib, S. 116 fl. und
die neueſte Unterſuchung darüber von Lange: die oskiſche Inſchrift der Ta- bula Bantina u. die röm. Volksgerichte. S. 65—86), inſofern er einmal dem Angeklagten die Gelegenheit gab, die öffentliche Meinung für ſich zu ge- winnen, und andererſeits der momentan erregten Leidenſchaft des Volks Zeit ließ, ſich abzukühlen. Ferner der Grundſatz, daß die Ausſagen der Sklaven gegen ihre Herren nicht angenommen werden ſollten (Geib, S. 142). Die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0152" n="138"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/> ich will nur diejenigen aufzählen, die die Römer ſelbſt als<lb/> werthvolle Garantien der perſönlichen Freiheit namhaft ma-<lb/> chen. Hierzu gehören namentlich: die Freizügigkeit, <note place="foot" n="149)"><hi rendition="#aq">Cic. pro Balbo c.</hi> 13. ſ. oben S. 59, Anm. 46.</note> die<lb/> man ſogar dem Inquiſiten bis zum Urtheilsſpruch zugeſtand, <note place="foot" n="150)">Die Verhaftung des Angeklagten war rechtlich möglich, wenn auch<lb/> nicht nöthig, ſie ließ ſich jedoch, wenn ſie verfügt war, durch die Interceſſion<lb/> eines Tribunen abwenden oder in Freilaſſung gegen Kaution verwandeln.<lb/> Zu dem freien Exulationsrecht des Angeklagten (<hi rendition="#aq">Sallust. Catil.</hi> 51) paßte<lb/> ſie nicht recht, und es iſt daher erklärlich, daß ſie, wenn auch rechtlich nicht<lb/> aufgehoben, ſich doch in der Praxis verlor und zur äußerſten Seltenheit ward.<lb/> Geib, Geſchichte des röm. Kriminalproz. S. 119, 120.</note><lb/> der Schutz gegen die Willkühr der Beamten, der durch das<lb/> Recht der Provokation an die Volksverſammlung, <note place="foot" n="151)"><hi rendition="#aq">Cic. de orat. II. 48 .. patronam illam civitatis ac vindicem<lb/> libertatis. Liv. III. 55: unicum praesidium libertatis.</hi> Ich erinnere ferner<lb/> an das den Beamten geſetzte Maximum der <hi rendition="#aq">Multa Gell. XI.</hi> 1.</note> das<lb/> Interceſſionsrecht der Tribunen und höheren Magiſtrate und<lb/> die Verantwortlichkeit der Beamten in umfaſſendſter Weiſe<lb/> gewährleiſtet war. Sodann der geſtaltende Einfluß, den die<lb/> Vorſtellung von der Würde des römiſchen Bürgers auf das<lb/> Kriminalrecht ausgeübt hat, z. B. die Ausſchließung der Tor-<lb/> tur, <note place="foot" n="152)">Geib, S. 138 fl.</note> der Leibes- und grauſamer Lebensſtrafen, <note place="foot" n="153)"><hi rendition="#aq">Liv. X. 9. Cic. in Verr. II. V. c. 54—57. pro Rabirio c. 4, 5:<lb/> carnifex vero et obductio capitis et nomen ipsum crucis absit non modo<lb/> a corpore civium Rom., sed etiam a cogitatione, oculis, auribus. Ha-<lb/> rum enim omnium rerum non solum eventus atque perpessio, sed<lb/><hi rendition="#g">etiam conditio, exspectatio, mentio ipsa denique in-<lb/> digna cive Romano atque homine libero est</hi>.</hi></note> und eine<lb/> Reihe anderer nicht minder werthvoller Einrichtungen. <note xml:id="seg2pn_16_1" next="#seg2pn_16_2" place="foot" n="154)">z. B. der Grundſatz der <hi rendition="#aq">quarta accusatio</hi> (Geib, S. 116 fl. und<lb/> die neueſte Unterſuchung darüber von Lange: die oskiſche Inſchrift der <hi rendition="#aq">Ta-<lb/> bula Bantina</hi> u. die röm. Volksgerichte. S. 65—86), inſofern er einmal<lb/> dem Angeklagten die Gelegenheit gab, die öffentliche Meinung für ſich zu ge-<lb/> winnen, und andererſeits der momentan erregten Leidenſchaft des Volks Zeit<lb/> ließ, ſich abzukühlen. Ferner der Grundſatz, daß die Ausſagen der Sklaven<lb/> gegen ihre Herren nicht angenommen werden ſollten (Geib, S. 142). Die</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0152]
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
ich will nur diejenigen aufzählen, die die Römer ſelbſt als
werthvolle Garantien der perſönlichen Freiheit namhaft ma-
chen. Hierzu gehören namentlich: die Freizügigkeit, 149) die
man ſogar dem Inquiſiten bis zum Urtheilsſpruch zugeſtand, 150)
der Schutz gegen die Willkühr der Beamten, der durch das
Recht der Provokation an die Volksverſammlung, 151) das
Interceſſionsrecht der Tribunen und höheren Magiſtrate und
die Verantwortlichkeit der Beamten in umfaſſendſter Weiſe
gewährleiſtet war. Sodann der geſtaltende Einfluß, den die
Vorſtellung von der Würde des römiſchen Bürgers auf das
Kriminalrecht ausgeübt hat, z. B. die Ausſchließung der Tor-
tur, 152) der Leibes- und grauſamer Lebensſtrafen, 153) und eine
Reihe anderer nicht minder werthvoller Einrichtungen. 154)
149) Cic. pro Balbo c. 13. ſ. oben S. 59, Anm. 46.
150) Die Verhaftung des Angeklagten war rechtlich möglich, wenn auch
nicht nöthig, ſie ließ ſich jedoch, wenn ſie verfügt war, durch die Interceſſion
eines Tribunen abwenden oder in Freilaſſung gegen Kaution verwandeln.
Zu dem freien Exulationsrecht des Angeklagten (Sallust. Catil. 51) paßte
ſie nicht recht, und es iſt daher erklärlich, daß ſie, wenn auch rechtlich nicht
aufgehoben, ſich doch in der Praxis verlor und zur äußerſten Seltenheit ward.
Geib, Geſchichte des röm. Kriminalproz. S. 119, 120.
151) Cic. de orat. II. 48 .. patronam illam civitatis ac vindicem
libertatis. Liv. III. 55: unicum praesidium libertatis. Ich erinnere ferner
an das den Beamten geſetzte Maximum der Multa Gell. XI. 1.
152) Geib, S. 138 fl.
153) Liv. X. 9. Cic. in Verr. II. V. c. 54—57. pro Rabirio c. 4, 5:
carnifex vero et obductio capitis et nomen ipsum crucis absit non modo
a corpore civium Rom., sed etiam a cogitatione, oculis, auribus. Ha-
rum enim omnium rerum non solum eventus atque perpessio, sed
etiam conditio, exspectatio, mentio ipsa denique in-
digna cive Romano atque homine libero est.
154) z. B. der Grundſatz der quarta accusatio (Geib, S. 116 fl. und
die neueſte Unterſuchung darüber von Lange: die oskiſche Inſchrift der Ta-
bula Bantina u. die röm. Volksgerichte. S. 65—86), inſofern er einmal
dem Angeklagten die Gelegenheit gab, die öffentliche Meinung für ſich zu ge-
winnen, und andererſeits der momentan erregten Leidenſchaft des Volks Zeit
ließ, ſich abzukühlen. Ferner der Grundſatz, daß die Ausſagen der Sklaven
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