Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. gegen seine höchsten Aufgaben, die Ueberantwortung derselbenan den Zufall, insofern ja der gute Wille der Individuen Zufall ist -- hier die Hingabe des Staats an seinen wahren Beruf, die praktische Anerkennung und Realisirung jener objek- tiven Prinzipien. Wenn es einmal, so könnte man argumen- tiren, Aufgabe des Staats ist, die höchsten Ideen, das Gute, Wahre, Schöne, Zweckmäßige u. s. w. zu verwirklichen: warum dieselben noch erst in Frage stellen, indem er sie dem freien Wil- len des Individuums oder Volks, also dem Zufall überläßt; warum bloß wünschen und hoffen, wenn der Staat den Erfolg, wie er es ja auf dem kürzesten und sichersten Wege durch das Gesetz vermag, mit Nothwendigkeit herbeiführen kann? Was könnte ihn abhalten? Etwa die Rücksicht auf das Individuum? Aber das Individuum muß ja jene Prinzipien als für sich ver- bindlich anerkennen, und in demselben Maße, in dem letztere an Energie gewinnen, steigert sich auch das individuelle Wohl und der innere Frieden des Subjekts. So wird also durch jenes System die Ordnung und das Gedeihen der sittlichen Welt erst wahrhaft von dem Zufall des subjektiven Beliebens emancipirt, zur objektiven Nothwendigkeit und zur Höhe derphysischen Weltordnung erhoben. Sie ist damit der ben auf eben jenem grandiösen Trugschluß, den ich im Text aufzudecken ver-
sucht habe. Es stände schlimm um die germanischen Völker, und sie würden mit China und den orientalischen Völkern auf Eine Stufe rangiren, wenn sie in ihrem Recht das "Prinzip der Subjektivität" nicht anerkannt hätten. Man sollte nach dem Schmidtschen Buch glauben, als ob nicht Gott, sondern der Teufel den Trieb nach Freiheit in des Menschen Brust gepflanzt habe. Denn wenn ersteres, gehört dann nicht das Prinzip der Freiheit mit zu den objek- tiven Prinzipien, verträgt es sich nicht mit dem Schmidtschen "Sittengesetz"? Einer solchen Ansicht gegenüber, die sich den Schein einer tief sittlichen zu geben versucht, hielt ich es nicht für überflüssig, für die legitime Abstammung der Freiheit aus der Sittlichkeit eine Lanze zu brechen, ohne aber meinem Gegner dabei in seinen Irrgängen, bei denen der rechtliche und moralische Gesichtspunkt in unglaublicher Weise durcheinander geworfen werden, wei- ter folgen zu können. Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. gegen ſeine höchſten Aufgaben, die Ueberantwortung derſelbenan den Zufall, inſofern ja der gute Wille der Individuen Zufall iſt — hier die Hingabe des Staats an ſeinen wahren Beruf, die praktiſche Anerkennung und Realiſirung jener objek- tiven Prinzipien. Wenn es einmal, ſo könnte man argumen- tiren, Aufgabe des Staats iſt, die höchſten Ideen, das Gute, Wahre, Schöne, Zweckmäßige u. ſ. w. zu verwirklichen: warum dieſelben noch erſt in Frage ſtellen, indem er ſie dem freien Wil- len des Individuums oder Volks, alſo dem Zufall überläßt; warum bloß wünſchen und hoffen, wenn der Staat den Erfolg, wie er es ja auf dem kürzeſten und ſicherſten Wege durch das Geſetz vermag, mit Nothwendigkeit herbeiführen kann? Was könnte ihn abhalten? Etwa die Rückſicht auf das Individuum? Aber das Individuum muß ja jene Prinzipien als für ſich ver- bindlich anerkennen, und in demſelben Maße, in dem letztere an Energie gewinnen, ſteigert ſich auch das individuelle Wohl und der innere Frieden des Subjekts. So wird alſo durch jenes Syſtem die Ordnung und das Gedeihen der ſittlichen Welt erſt wahrhaft von dem Zufall des ſubjektiven Beliebens emancipirt, zur objektiven Nothwendigkeit und zur Höhe derphyſiſchen Weltordnung erhoben. Sie iſt damit der ben auf eben jenem grandiöſen Trugſchluß, den ich im Text aufzudecken ver-
ſucht habe. Es ſtände ſchlimm um die germaniſchen Völker, und ſie würden mit China und den orientaliſchen Völkern auf Eine Stufe rangiren, wenn ſie in ihrem Recht das „Prinzip der Subjektivität“ nicht anerkannt hätten. Man ſollte nach dem Schmidtſchen Buch glauben, als ob nicht Gott, ſondern der Teufel den Trieb nach Freiheit in des Menſchen Bruſt gepflanzt habe. Denn wenn erſteres, gehört dann nicht das Prinzip der Freiheit mit zu den objek- tiven Prinzipien, verträgt es ſich nicht mit dem Schmidtſchen „Sittengeſetz“? Einer ſolchen Anſicht gegenüber, die ſich den Schein einer tief ſittlichen zu geben verſucht, hielt ich es nicht für überflüſſig, für die legitime Abſtammung der Freiheit aus der Sittlichkeit eine Lanze zu brechen, ohne aber meinem Gegner dabei in ſeinen Irrgängen, bei denen der rechtliche und moraliſche Geſichtspunkt in unglaublicher Weiſe durcheinander geworfen werden, wei- ter folgen zu können. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0140" n="126"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> gegen ſeine höchſten Aufgaben, die Ueberantwortung derſelben<lb/> an den Zufall, inſofern ja der <hi rendition="#g">gute</hi> Wille der Individuen<lb/> Zufall iſt — hier die Hingabe des Staats an ſeinen wahren<lb/> Beruf, die praktiſche Anerkennung und Realiſirung jener objek-<lb/> tiven Prinzipien. Wenn es einmal, ſo könnte man argumen-<lb/> tiren, Aufgabe des Staats iſt, die höchſten Ideen, das Gute,<lb/> Wahre, Schöne, Zweckmäßige u. ſ. w. zu verwirklichen: warum<lb/> dieſelben noch erſt in Frage ſtellen, indem er ſie dem freien Wil-<lb/> len des Individuums oder Volks, alſo dem Zufall überläßt;<lb/> warum bloß wünſchen und hoffen, wenn der Staat den Erfolg,<lb/> wie er es ja auf dem kürzeſten und ſicherſten Wege durch das<lb/> Geſetz vermag, mit Nothwendigkeit herbeiführen kann? Was<lb/> könnte ihn abhalten? Etwa die Rückſicht auf das Individuum?<lb/> Aber das Individuum muß ja jene Prinzipien als für ſich ver-<lb/> bindlich anerkennen, und in demſelben Maße, in dem letztere<lb/> an Energie gewinnen, ſteigert ſich auch das individuelle Wohl<lb/> und der innere Frieden des Subjekts. So wird alſo durch jenes<lb/> Syſtem die Ordnung und das Gedeihen der ſittlichen Welt erſt<lb/> wahrhaft von dem Zufall des <hi rendition="#g">ſubjektiven Beliebens</hi><lb/> emancipirt, zur <hi rendition="#g">objektiven</hi> Nothwendigkeit und zur <hi rendition="#g">Höhe<lb/> derphyſiſchen Weltordnung</hi> erhoben. Sie iſt damit der<lb/><note xml:id="seg2pn_15_2" prev="#seg2pn_15_1" place="foot" n="143)">ben auf eben jenem grandiöſen Trugſchluß, den ich im Text aufzudecken ver-<lb/> ſucht habe. Es ſtände ſchlimm um die germaniſchen Völker, und ſie würden<lb/> mit China und den orientaliſchen Völkern auf Eine Stufe rangiren, wenn ſie<lb/> in ihrem Recht das „Prinzip der Subjektivität“ nicht anerkannt hätten. Man<lb/> ſollte nach dem Schmidtſchen Buch glauben, als ob nicht Gott, ſondern der<lb/> Teufel den Trieb nach Freiheit in des Menſchen Bruſt gepflanzt habe. Denn<lb/> wenn erſteres, gehört dann nicht das Prinzip der Freiheit mit zu den objek-<lb/> tiven Prinzipien, verträgt es ſich nicht mit dem Schmidtſchen „Sittengeſetz“?<lb/> Einer ſolchen Anſicht gegenüber, die ſich den Schein einer tief ſittlichen zu<lb/> geben verſucht, hielt ich es nicht für überflüſſig, für die legitime Abſtammung<lb/> der Freiheit aus der Sittlichkeit eine Lanze zu brechen, ohne aber meinem<lb/> Gegner dabei in ſeinen Irrgängen, bei denen der rechtliche und moraliſche<lb/> Geſichtspunkt in unglaublicher Weiſe durcheinander geworfen werden, wei-<lb/> ter folgen zu können.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0140]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
gegen ſeine höchſten Aufgaben, die Ueberantwortung derſelben
an den Zufall, inſofern ja der gute Wille der Individuen
Zufall iſt — hier die Hingabe des Staats an ſeinen wahren
Beruf, die praktiſche Anerkennung und Realiſirung jener objek-
tiven Prinzipien. Wenn es einmal, ſo könnte man argumen-
tiren, Aufgabe des Staats iſt, die höchſten Ideen, das Gute,
Wahre, Schöne, Zweckmäßige u. ſ. w. zu verwirklichen: warum
dieſelben noch erſt in Frage ſtellen, indem er ſie dem freien Wil-
len des Individuums oder Volks, alſo dem Zufall überläßt;
warum bloß wünſchen und hoffen, wenn der Staat den Erfolg,
wie er es ja auf dem kürzeſten und ſicherſten Wege durch das
Geſetz vermag, mit Nothwendigkeit herbeiführen kann? Was
könnte ihn abhalten? Etwa die Rückſicht auf das Individuum?
Aber das Individuum muß ja jene Prinzipien als für ſich ver-
bindlich anerkennen, und in demſelben Maße, in dem letztere
an Energie gewinnen, ſteigert ſich auch das individuelle Wohl
und der innere Frieden des Subjekts. So wird alſo durch jenes
Syſtem die Ordnung und das Gedeihen der ſittlichen Welt erſt
wahrhaft von dem Zufall des ſubjektiven Beliebens
emancipirt, zur objektiven Nothwendigkeit und zur Höhe
derphyſiſchen Weltordnung erhoben. Sie iſt damit der
143)
143) ben auf eben jenem grandiöſen Trugſchluß, den ich im Text aufzudecken ver-
ſucht habe. Es ſtände ſchlimm um die germaniſchen Völker, und ſie würden
mit China und den orientaliſchen Völkern auf Eine Stufe rangiren, wenn ſie
in ihrem Recht das „Prinzip der Subjektivität“ nicht anerkannt hätten. Man
ſollte nach dem Schmidtſchen Buch glauben, als ob nicht Gott, ſondern der
Teufel den Trieb nach Freiheit in des Menſchen Bruſt gepflanzt habe. Denn
wenn erſteres, gehört dann nicht das Prinzip der Freiheit mit zu den objek-
tiven Prinzipien, verträgt es ſich nicht mit dem Schmidtſchen „Sittengeſetz“?
Einer ſolchen Anſicht gegenüber, die ſich den Schein einer tief ſittlichen zu
geben verſucht, hielt ich es nicht für überflüſſig, für die legitime Abſtammung
der Freiheit aus der Sittlichkeit eine Lanze zu brechen, ohne aber meinem
Gegner dabei in ſeinen Irrgängen, bei denen der rechtliche und moraliſche
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