Gleichzeitige Entwicklung der einzelnen Institute. §. 5.
lassen auch sie sich auf denselben Gesichtspunkt des Uebergewichts der Aeußerlichkeit zurückführen.
Wie nun die Gleichartigkeit der historischen Bewegung bei den einzelnen Instituten nicht in einem ermüdenden Unisono be- steht, so ist dies eben so wenig innerhalb eines und desselben Institutes der Fall. Auch hier finden wir Freiheit, Mannigfaltig- keit der Aeußerungsformen bei Identität des inneren Wesens, und auch hier ist es wiederum die Aufgabe, sich durch diese wechselnden Formen nicht irre führen zu lassen. Die Tonart, die Octavenlage, möchte ich sagen, können bei einem und demselben Institut vielleicht öfter wechseln, das Thema mannigfaltig vari- irt werden, aber dennoch ist es eben dieses Thema, das immer wieder durchklingt.
2. Die Gleichzeitigkeit der historischen Bewegung.
Das Maß der Zeit, mit dem man dauernde Zustände oder vorübergehende Ereignisse bestimmen will, ist bekanntlich sehr relativ und richtet sich im Allgemeinen nach der Länge oder Kürze der Zeit, die der zu messende Gegenstand einnimmt. Hiernach kann eine Minute bereits ein zu weites, ein Jahrhundert ein zu enges Maß sein. In der politischen Geschichte sind wir ge- wohnt nach Jahren zu rechnen und übertragen dies Maß auf die Rechtsgeschichte, ohne die Frage aufzuwerfen, ob es ihr entspricht. Wir werden unten zeigen, daß diese Frage verneint werden muß, daß die Rechtsgeschichte ein ungleich weiteres Maß erfordert, als die politische Geschichte; hier betrachten wir diesen Fehler nur in seiner Anwendung auf die postulirte Gleichzeitigkeit in der Bewegung der einzelnen Institute.
Mißt man dieselbe nach Jahren, so wird sie fast nie vor- handen sein, und zwar nicht bloß wegen der Langsamkeit der Entwicklung des Rechts im Allgemeinen, sondern wegen der verschiedenen Beweglichkeit der einzelnen Institute. Manche der- selben zeichnen sich durch Schwerfälligkeit und Tenacität, andere
Gleichzeitige Entwicklung der einzelnen Inſtitute. §. 5.
laſſen auch ſie ſich auf denſelben Geſichtspunkt des Uebergewichts der Aeußerlichkeit zurückführen.
Wie nun die Gleichartigkeit der hiſtoriſchen Bewegung bei den einzelnen Inſtituten nicht in einem ermüdenden Uniſono be- ſteht, ſo iſt dies eben ſo wenig innerhalb eines und deſſelben Inſtitutes der Fall. Auch hier finden wir Freiheit, Mannigfaltig- keit der Aeußerungsformen bei Identität des inneren Weſens, und auch hier iſt es wiederum die Aufgabe, ſich durch dieſe wechſelnden Formen nicht irre führen zu laſſen. Die Tonart, die Octavenlage, möchte ich ſagen, können bei einem und demſelben Inſtitut vielleicht öfter wechſeln, das Thema mannigfaltig vari- irt werden, aber dennoch iſt es eben dieſes Thema, das immer wieder durchklingt.
2. Die Gleichzeitigkeit der hiſtoriſchen Bewegung.
Das Maß der Zeit, mit dem man dauernde Zuſtände oder vorübergehende Ereigniſſe beſtimmen will, iſt bekanntlich ſehr relativ und richtet ſich im Allgemeinen nach der Länge oder Kürze der Zeit, die der zu meſſende Gegenſtand einnimmt. Hiernach kann eine Minute bereits ein zu weites, ein Jahrhundert ein zu enges Maß ſein. In der politiſchen Geſchichte ſind wir ge- wohnt nach Jahren zu rechnen und übertragen dies Maß auf die Rechtsgeſchichte, ohne die Frage aufzuwerfen, ob es ihr entſpricht. Wir werden unten zeigen, daß dieſe Frage verneint werden muß, daß die Rechtsgeſchichte ein ungleich weiteres Maß erfordert, als die politiſche Geſchichte; hier betrachten wir dieſen Fehler nur in ſeiner Anwendung auf die poſtulirte Gleichzeitigkeit in der Bewegung der einzelnen Inſtitute.
Mißt man dieſelbe nach Jahren, ſo wird ſie faſt nie vor- handen ſein, und zwar nicht bloß wegen der Langſamkeit der Entwicklung des Rechts im Allgemeinen, ſondern wegen der verſchiedenen Beweglichkeit der einzelnen Inſtitute. Manche der- ſelben zeichnen ſich durch Schwerfälligkeit und Tenacität, andere
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0077"n="59"/><fwplace="top"type="header">Gleichzeitige Entwicklung der einzelnen Inſtitute. §. 5.</fw><lb/>
laſſen auch ſie ſich auf denſelben Geſichtspunkt des Uebergewichts<lb/>
der Aeußerlichkeit zurückführen.</p><lb/><p>Wie nun die Gleichartigkeit der hiſtoriſchen Bewegung bei<lb/>
den einzelnen Inſtituten nicht in einem ermüdenden Uniſono be-<lb/>ſteht, ſo iſt dies eben ſo wenig innerhalb eines und deſſelben<lb/>
Inſtitutes der Fall. Auch hier finden wir Freiheit, Mannigfaltig-<lb/>
keit der Aeußerungsformen bei Identität des inneren Weſens,<lb/>
und auch hier iſt es wiederum die Aufgabe, ſich durch dieſe<lb/>
wechſelnden Formen nicht irre führen zu laſſen. Die Tonart, die<lb/>
Octavenlage, möchte ich ſagen, können bei einem und demſelben<lb/>
Inſtitut vielleicht öfter wechſeln, das Thema mannigfaltig vari-<lb/>
irt werden, aber dennoch iſt es eben dieſes Thema, das immer<lb/>
wieder durchklingt.</p></div><lb/><divn="4"><head>2. <hirendition="#g">Die Gleichzeitigkeit der hiſtoriſchen Bewegung</hi>.</head><lb/><p>Das Maß der Zeit, mit dem man dauernde Zuſtände oder<lb/>
vorübergehende Ereigniſſe beſtimmen will, iſt bekanntlich ſehr<lb/>
relativ und richtet ſich im Allgemeinen nach der Länge oder Kürze<lb/>
der Zeit, die der zu meſſende Gegenſtand einnimmt. Hiernach<lb/>
kann eine Minute bereits ein zu weites, ein Jahrhundert ein zu<lb/>
enges Maß ſein. In der politiſchen Geſchichte ſind wir ge-<lb/>
wohnt nach Jahren zu rechnen und übertragen dies Maß auf die<lb/>
Rechtsgeſchichte, ohne die Frage aufzuwerfen, ob es ihr entſpricht.<lb/>
Wir werden unten zeigen, daß dieſe Frage verneint werden muß,<lb/>
daß die Rechtsgeſchichte ein ungleich weiteres Maß erfordert,<lb/>
als die politiſche Geſchichte; hier betrachten wir dieſen Fehler<lb/>
nur in ſeiner Anwendung auf die poſtulirte Gleichzeitigkeit in<lb/>
der Bewegung der einzelnen Inſtitute.</p><lb/><p>Mißt man dieſelbe nach Jahren, ſo wird ſie faſt nie vor-<lb/>
handen ſein, und zwar nicht bloß wegen der Langſamkeit der<lb/>
Entwicklung des Rechts im Allgemeinen, ſondern wegen der<lb/>
verſchiedenen Beweglichkeit der einzelnen Inſtitute. Manche der-<lb/>ſelben zeichnen ſich durch Schwerfälligkeit und Tenacität, andere<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[59/0077]
Gleichzeitige Entwicklung der einzelnen Inſtitute. §. 5.
laſſen auch ſie ſich auf denſelben Geſichtspunkt des Uebergewichts
der Aeußerlichkeit zurückführen.
Wie nun die Gleichartigkeit der hiſtoriſchen Bewegung bei
den einzelnen Inſtituten nicht in einem ermüdenden Uniſono be-
ſteht, ſo iſt dies eben ſo wenig innerhalb eines und deſſelben
Inſtitutes der Fall. Auch hier finden wir Freiheit, Mannigfaltig-
keit der Aeußerungsformen bei Identität des inneren Weſens,
und auch hier iſt es wiederum die Aufgabe, ſich durch dieſe
wechſelnden Formen nicht irre führen zu laſſen. Die Tonart, die
Octavenlage, möchte ich ſagen, können bei einem und demſelben
Inſtitut vielleicht öfter wechſeln, das Thema mannigfaltig vari-
irt werden, aber dennoch iſt es eben dieſes Thema, das immer
wieder durchklingt.
2. Die Gleichzeitigkeit der hiſtoriſchen Bewegung.
Das Maß der Zeit, mit dem man dauernde Zuſtände oder
vorübergehende Ereigniſſe beſtimmen will, iſt bekanntlich ſehr
relativ und richtet ſich im Allgemeinen nach der Länge oder Kürze
der Zeit, die der zu meſſende Gegenſtand einnimmt. Hiernach
kann eine Minute bereits ein zu weites, ein Jahrhundert ein zu
enges Maß ſein. In der politiſchen Geſchichte ſind wir ge-
wohnt nach Jahren zu rechnen und übertragen dies Maß auf die
Rechtsgeſchichte, ohne die Frage aufzuwerfen, ob es ihr entſpricht.
Wir werden unten zeigen, daß dieſe Frage verneint werden muß,
daß die Rechtsgeſchichte ein ungleich weiteres Maß erfordert,
als die politiſche Geſchichte; hier betrachten wir dieſen Fehler
nur in ſeiner Anwendung auf die poſtulirte Gleichzeitigkeit in
der Bewegung der einzelnen Inſtitute.
Mißt man dieſelbe nach Jahren, ſo wird ſie faſt nie vor-
handen ſein, und zwar nicht bloß wegen der Langſamkeit der
Entwicklung des Rechts im Allgemeinen, ſondern wegen der
verſchiedenen Beweglichkeit der einzelnen Inſtitute. Manche der-
ſelben zeichnen ſich durch Schwerfälligkeit und Tenacität, andere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/77>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.