Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Einleitung -- die Methode. nen Punkte des Rechts sich dieselbe Erscheinung wiederholt,würde auch die römische Rechtsgeschichte nie Anstoß genommen haben. Die einzige Beschränktheit, die ihr gefährlich wurde, be- trifft die Erkenntniß der Gleichartigkeit in der Umgestaltung der einzelnen Institute. Diese Gleichartigkeit ist in den wenigsten Fällen eine mechanische, augenfällige; ich darf eine obige Be- merkung (S. 30) wiederholen, daß Gleichheit der Aeußerung das Zeichen der Schwäche ist, die Kraft aber sich in der Mannigfal- tigkeit der Aeußerungsformen bewährt. Auch im Recht kleidet nur der Winter sich in eine Farbe, die andern Jahreszeiten aber in sehr verschiedene. Diese Mannigfaltigkeit der Aeußerungsformen wird aber Einleitung — die Methode. nen Punkte des Rechts ſich dieſelbe Erſcheinung wiederholt,würde auch die römiſche Rechtsgeſchichte nie Anſtoß genommen haben. Die einzige Beſchränktheit, die ihr gefährlich wurde, be- trifft die Erkenntniß der Gleichartigkeit in der Umgeſtaltung der einzelnen Inſtitute. Dieſe Gleichartigkeit iſt in den wenigſten Fällen eine mechaniſche, augenfällige; ich darf eine obige Be- merkung (S. 30) wiederholen, daß Gleichheit der Aeußerung das Zeichen der Schwäche iſt, die Kraft aber ſich in der Mannigfal- tigkeit der Aeußerungsformen bewährt. Auch im Recht kleidet nur der Winter ſich in eine Farbe, die andern Jahreszeiten aber in ſehr verſchiedene. Dieſe Mannigfaltigkeit der Aeußerungsformen wird aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0076" n="58"/><fw place="top" type="header">Einleitung — die Methode.</fw><lb/><hi rendition="#g">nen Punkte</hi> des Rechts ſich dieſelbe Erſcheinung wiederholt,<lb/> würde auch die römiſche Rechtsgeſchichte nie Anſtoß genommen<lb/> haben. Die einzige Beſchränktheit, die ihr gefährlich wurde, be-<lb/> trifft die Erkenntniß der Gleichartigkeit in der Umgeſtaltung der<lb/> einzelnen Inſtitute. Dieſe Gleichartigkeit iſt in den wenigſten<lb/> Fällen eine mechaniſche, augenfällige; ich darf eine obige Be-<lb/> merkung (S. 30) wiederholen, daß Gleichheit der Aeußerung das<lb/> Zeichen der Schwäche iſt, die Kraft aber ſich in der Mannigfal-<lb/> tigkeit der Aeußerungsformen bewährt. Auch im Recht kleidet<lb/> nur der Winter ſich in <hi rendition="#g">eine</hi> Farbe, die andern Jahreszeiten<lb/> aber in ſehr verſchiedene.</p><lb/> <p>Dieſe Mannigfaltigkeit der Aeußerungsformen wird aber<lb/> der Erkenntniß der inneren Gleichartigkeit nicht ſelten gefährlich.<lb/> Der Proteus der Geſchichte taucht im Wellenſpiel der hiſtoriſchen<lb/> Erſcheinung bald hier bald dort in veränderter Geſtalt auf und<lb/> ſucht uns durch den Wechſel dieſer Geſtalt zu täuſchen. Dieſer<lb/> Gefahr zu entgehen, müſſen wir uns eben nicht an das Trug-<lb/> bild der Erſcheinung halten, letztere nicht mit <hi rendition="#g">den</hi> Gedanken<lb/> meſſen, die oben aufſchwimmen, ſondern mit denen, die ihren<lb/> Kern, ihr Weſen ausmachen. Um letztere aufzufinden, iſt eine<lb/> gewiſſe Weite der Abſtraction, ein Zurückſteigen von den durch<lb/> die Individualität der Inſtitute tingirten und daher ſcheinbar<lb/> verſchiedenen nächſten Gedanken zu ihrem gemeinſamen abſtrac-<lb/> teren Einheitspunkt erforderlich. Um ein Beiſpiel aus unſerer<lb/> ſpäteren Darſtellung zu geben, ſo ſind gewiß die Einführung des<lb/> Formular-Prozeſſes, die Privilegien der Soldaten, Frauen u.ſ.w.,<lb/> die Condemnation auf das Intereſſe ſtatt auf den objektiven<lb/> Werth der Sache, die Berückſichtigung der <hi rendition="#aq">absentia,</hi> die <hi rendition="#aq">actio<lb/> injuriarum aestimatoria</hi> u. ſ. w. äußerlich ſehr verſchieden, ſie<lb/> finden aber ihre Vereinigung in dem Gedanken der individuali-<lb/> ſirenden Tendenz des ſpäteren römiſchen Rechts. Ebenſo hat die<lb/> grammatiſche Interpretation der ältern römiſchen Jurisprudenz<lb/> auf den erſten Blick nichts gemeinſames mit der Präponderanz<lb/> der Sache und der phyſiſchen Gewalt im ältern Recht, und doch<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0076]
Einleitung — die Methode.
nen Punkte des Rechts ſich dieſelbe Erſcheinung wiederholt,
würde auch die römiſche Rechtsgeſchichte nie Anſtoß genommen
haben. Die einzige Beſchränktheit, die ihr gefährlich wurde, be-
trifft die Erkenntniß der Gleichartigkeit in der Umgeſtaltung der
einzelnen Inſtitute. Dieſe Gleichartigkeit iſt in den wenigſten
Fällen eine mechaniſche, augenfällige; ich darf eine obige Be-
merkung (S. 30) wiederholen, daß Gleichheit der Aeußerung das
Zeichen der Schwäche iſt, die Kraft aber ſich in der Mannigfal-
tigkeit der Aeußerungsformen bewährt. Auch im Recht kleidet
nur der Winter ſich in eine Farbe, die andern Jahreszeiten
aber in ſehr verſchiedene.
Dieſe Mannigfaltigkeit der Aeußerungsformen wird aber
der Erkenntniß der inneren Gleichartigkeit nicht ſelten gefährlich.
Der Proteus der Geſchichte taucht im Wellenſpiel der hiſtoriſchen
Erſcheinung bald hier bald dort in veränderter Geſtalt auf und
ſucht uns durch den Wechſel dieſer Geſtalt zu täuſchen. Dieſer
Gefahr zu entgehen, müſſen wir uns eben nicht an das Trug-
bild der Erſcheinung halten, letztere nicht mit den Gedanken
meſſen, die oben aufſchwimmen, ſondern mit denen, die ihren
Kern, ihr Weſen ausmachen. Um letztere aufzufinden, iſt eine
gewiſſe Weite der Abſtraction, ein Zurückſteigen von den durch
die Individualität der Inſtitute tingirten und daher ſcheinbar
verſchiedenen nächſten Gedanken zu ihrem gemeinſamen abſtrac-
teren Einheitspunkt erforderlich. Um ein Beiſpiel aus unſerer
ſpäteren Darſtellung zu geben, ſo ſind gewiß die Einführung des
Formular-Prozeſſes, die Privilegien der Soldaten, Frauen u.ſ.w.,
die Condemnation auf das Intereſſe ſtatt auf den objektiven
Werth der Sache, die Berückſichtigung der absentia, die actio
injuriarum aestimatoria u. ſ. w. äußerlich ſehr verſchieden, ſie
finden aber ihre Vereinigung in dem Gedanken der individuali-
ſirenden Tendenz des ſpäteren römiſchen Rechts. Ebenſo hat die
grammatiſche Interpretation der ältern römiſchen Jurisprudenz
auf den erſten Blick nichts gemeinſames mit der Präponderanz
der Sache und der phyſiſchen Gewalt im ältern Recht, und doch
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