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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Einleitung -- die Methode.
ten Geldsumme (25 As), in diesem war sie dem Ermessen des
Richters überlassen. Stand dort einmal fest, daß eine Injurie
begangen war, so ergab sich die Folge (Verurtheilung in 25 As)
von selbst; hier hingegen bedurfte es zu dem Zweck noch erst
einer genauen Würdigung der individuellen Verhältnisse dieses
Falles, z. B. der persönlichen Stellung des Beleidigenden und
des Beleidigten, der Zeit, des Ortes u. s. w., und die Feststel-
lung der Strafe mochte dem Richter oft sehr schwer fallen. Hin-
sichtlich der "Voraussetzung" liegt ebenso sehr auf der Hand, daß
wenn sie allgemein auf "Ehrenkränkung" gestellt ist, die Untersu-
chung, ob diese Voraussetzung im concreten Fall begründet sei,
weit schwieriger ist, als wenn sie, wie in manchen alten Gese-
tzen, auf ein bestimmtes, äußerlich leicht erkennbares Faktum
lautet z. B. "wenn einer den andern geschlagen, eines Ver-
brechens beschuldigt hat" u. s. w.

Je allgemeiner und innerlicher die Voraussetzung und Folge
eines Rechtssatzes bestimmt ist, desto schwieriger die concrete
Ermittlung derselben; je concreter und äußerlicher, desto leich-
ter. Diese Leichtigkeit der concreten Erkennbarkeit des abstrac-
ten ist aber praktisch wichtiger, als die logische Vollendung des
abstracten Inhalts. Bestimmungen, die in materieller Beziehung
plump zugeschnitten, aber an äußerliche, in concreto leicht zu
erkennende Kriterien geknüpft sind, wiegen in praktischer Bezie-
hung Rechtssätze auf, deren geistiger Gehalt und Zuschnitt noch
so tadellos ist, bei denen aber die formale Realisirbarkeit außer
Acht gelassen ist. Denn die Wichtigkeit dieser letzteren Eigenschaft
liegt nicht bloß darin, daß die Operation der Anwendung des
Rechts erleichtert und vereinfacht wird, also auch be-
schleunigt
werden kann, sondern daß die gleichmäßige
Verwirklichung des Rechts dadurch gesichert wird. Je äußer-
licher und in die Augen springend die Merkmale für eine Klassi-
fikation bestimmt sind, um so sicherer die Aussicht, daß jedes
Stück richtig klassificirt wird; je innerlicher, um so mehr steigt
die Gefahr der Mißgriffe.

Einleitung — die Methode.
ten Geldſumme (25 As), in dieſem war ſie dem Ermeſſen des
Richters überlaſſen. Stand dort einmal feſt, daß eine Injurie
begangen war, ſo ergab ſich die Folge (Verurtheilung in 25 As)
von ſelbſt; hier hingegen bedurfte es zu dem Zweck noch erſt
einer genauen Würdigung der individuellen Verhältniſſe dieſes
Falles, z. B. der perſönlichen Stellung des Beleidigenden und
des Beleidigten, der Zeit, des Ortes u. ſ. w., und die Feſtſtel-
lung der Strafe mochte dem Richter oft ſehr ſchwer fallen. Hin-
ſichtlich der „Vorausſetzung“ liegt ebenſo ſehr auf der Hand, daß
wenn ſie allgemein auf „Ehrenkränkung“ geſtellt iſt, die Unterſu-
chung, ob dieſe Vorausſetzung im concreten Fall begründet ſei,
weit ſchwieriger iſt, als wenn ſie, wie in manchen alten Geſe-
tzen, auf ein beſtimmtes, äußerlich leicht erkennbares Faktum
lautet z. B. „wenn einer den andern geſchlagen, eines Ver-
brechens beſchuldigt hat“ u. ſ. w.

Je allgemeiner und innerlicher die Vorausſetzung und Folge
eines Rechtsſatzes beſtimmt iſt, deſto ſchwieriger die concrete
Ermittlung derſelben; je concreter und äußerlicher, deſto leich-
ter. Dieſe Leichtigkeit der concreten Erkennbarkeit des abſtrac-
ten iſt aber praktiſch wichtiger, als die logiſche Vollendung des
abſtracten Inhalts. Beſtimmungen, die in materieller Beziehung
plump zugeſchnitten, aber an äußerliche, in concreto leicht zu
erkennende Kriterien geknüpft ſind, wiegen in praktiſcher Bezie-
hung Rechtsſätze auf, deren geiſtiger Gehalt und Zuſchnitt noch
ſo tadellos iſt, bei denen aber die formale Realiſirbarkeit außer
Acht gelaſſen iſt. Denn die Wichtigkeit dieſer letzteren Eigenſchaft
liegt nicht bloß darin, daß die Operation der Anwendung des
Rechts erleichtert und vereinfacht wird, alſo auch be-
ſchleunigt
werden kann, ſondern daß die gleichmäßige
Verwirklichung des Rechts dadurch geſichert wird. Je äußer-
licher und in die Augen ſpringend die Merkmale für eine Klaſſi-
fikation beſtimmt ſind, um ſo ſicherer die Ausſicht, daß jedes
Stück richtig klaſſificirt wird; je innerlicher, um ſo mehr ſteigt
die Gefahr der Mißgriffe.

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[44/0062] Einleitung — die Methode. ten Geldſumme (25 As), in dieſem war ſie dem Ermeſſen des Richters überlaſſen. Stand dort einmal feſt, daß eine Injurie begangen war, ſo ergab ſich die Folge (Verurtheilung in 25 As) von ſelbſt; hier hingegen bedurfte es zu dem Zweck noch erſt einer genauen Würdigung der individuellen Verhältniſſe dieſes Falles, z. B. der perſönlichen Stellung des Beleidigenden und des Beleidigten, der Zeit, des Ortes u. ſ. w., und die Feſtſtel- lung der Strafe mochte dem Richter oft ſehr ſchwer fallen. Hin- ſichtlich der „Vorausſetzung“ liegt ebenſo ſehr auf der Hand, daß wenn ſie allgemein auf „Ehrenkränkung“ geſtellt iſt, die Unterſu- chung, ob dieſe Vorausſetzung im concreten Fall begründet ſei, weit ſchwieriger iſt, als wenn ſie, wie in manchen alten Geſe- tzen, auf ein beſtimmtes, äußerlich leicht erkennbares Faktum lautet z. B. „wenn einer den andern geſchlagen, eines Ver- brechens beſchuldigt hat“ u. ſ. w. Je allgemeiner und innerlicher die Vorausſetzung und Folge eines Rechtsſatzes beſtimmt iſt, deſto ſchwieriger die concrete Ermittlung derſelben; je concreter und äußerlicher, deſto leich- ter. Dieſe Leichtigkeit der concreten Erkennbarkeit des abſtrac- ten iſt aber praktiſch wichtiger, als die logiſche Vollendung des abſtracten Inhalts. Beſtimmungen, die in materieller Beziehung plump zugeſchnitten, aber an äußerliche, in concreto leicht zu erkennende Kriterien geknüpft ſind, wiegen in praktiſcher Bezie- hung Rechtsſätze auf, deren geiſtiger Gehalt und Zuſchnitt noch ſo tadellos iſt, bei denen aber die formale Realiſirbarkeit außer Acht gelaſſen iſt. Denn die Wichtigkeit dieſer letzteren Eigenſchaft liegt nicht bloß darin, daß die Operation der Anwendung des Rechts erleichtert und vereinfacht wird, alſo auch be- ſchleunigt werden kann, ſondern daß die gleichmäßige Verwirklichung des Rechts dadurch geſichert wird. Je äußer- licher und in die Augen ſpringend die Merkmale für eine Klaſſi- fikation beſtimmt ſind, um ſo ſicherer die Ausſicht, daß jedes Stück richtig klaſſificirt wird; je innerlicher, um ſo mehr ſteigt die Gefahr der Mißgriffe.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/62>, abgerufen am 26.11.2024.