Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Einleitung -- die Methode. Schon mit Manchem, der ausging, den Geist einer Sache zusuchen, hat dieser Geist ein neckisches Spiel getrieben, ihn bald hierhin, bald dorthin gelockt und ihm statt seiner ein Phan- tom in die Hände gespielt, das nur dem Suchenden selbst, aber keinem Dritten als das erschien, was es sein sollte. Dadurch sind denn diese Versuche bei Vielen in Mißcredit gekommen, und die wissenschaftlichen Spießbürger, die nur glauben, was sie mit den Händen greifen können, betrachten sie als Spielerei, an der nur ungründliche Naturen Gefallen finden können. Es ist begreiflich, daß gerade unter den Juristen eine solche Stimmung sehr verbreitet ist; der ungläubige Thomas, der auch vom Füh- len mehr hielt, als vom Sehen, wäre viel geeigneter, ihren Schutzpatron abzugeben als der heilige Ivo. Jene Erfahrungen können uns behutsam machen, sollen Während uns nun unsere ganze Betrachtung immer auf Einleitung — die Methode. Schon mit Manchem, der ausging, den Geiſt einer Sache zuſuchen, hat dieſer Geiſt ein neckiſches Spiel getrieben, ihn bald hierhin, bald dorthin gelockt und ihm ſtatt ſeiner ein Phan- tom in die Hände geſpielt, das nur dem Suchenden ſelbſt, aber keinem Dritten als das erſchien, was es ſein ſollte. Dadurch ſind denn dieſe Verſuche bei Vielen in Mißcredit gekommen, und die wiſſenſchaftlichen Spießbürger, die nur glauben, was ſie mit den Händen greifen können, betrachten ſie als Spielerei, an der nur ungründliche Naturen Gefallen finden können. Es iſt begreiflich, daß gerade unter den Juriſten eine ſolche Stimmung ſehr verbreitet iſt; der ungläubige Thomas, der auch vom Füh- len mehr hielt, als vom Sehen, wäre viel geeigneter, ihren Schutzpatron abzugeben als der heilige Ivo. Jene Erfahrungen können uns behutſam machen, ſollen Während uns nun unſere ganze Betrachtung immer auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0056" n="38"/><fw place="top" type="header">Einleitung — die Methode.</fw><lb/> Schon mit Manchem, der ausging, den Geiſt einer Sache zu<lb/> ſuchen, hat dieſer Geiſt ein neckiſches Spiel getrieben, ihn bald<lb/> hierhin, bald dorthin gelockt und ihm ſtatt ſeiner ein Phan-<lb/> tom in die Hände geſpielt, das nur dem Suchenden ſelbſt, aber<lb/> keinem Dritten als das erſchien, was es ſein ſollte. Dadurch<lb/> ſind denn dieſe Verſuche bei Vielen in Mißcredit gekommen, und<lb/> die wiſſenſchaftlichen Spießbürger, die nur glauben, was ſie<lb/> mit den Händen greifen können, betrachten ſie als Spielerei, an<lb/> der nur ungründliche Naturen Gefallen finden können. Es iſt<lb/> begreiflich, daß gerade unter den Juriſten eine ſolche Stimmung<lb/> ſehr verbreitet iſt; der ungläubige Thomas, der auch vom Füh-<lb/> len mehr hielt, als vom Sehen, wäre viel geeigneter, ihren<lb/> Schutzpatron abzugeben als der heilige Ivo.</p><lb/> <p>Jene Erfahrungen können uns behutſam machen, ſollen<lb/> uns aber von unſerm Plan ſelbſt nicht abhalten. Wo eine Auf-<lb/> gabe der Löſung ſo würdig iſt, als die unſere, kann die Gefahr,<lb/> die ſie dem Schriftſteller droht, gar nicht in Erwägung gezogen<lb/> werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Während uns nun unſere ganze Betrachtung immer auf<lb/> den Satz zurückgeführt hat, daß das Recht ſelbſt nicht zuſammen-<lb/> fällt mit dem ſubjektiven Bewußtſein und ſich uns daraus für<lb/> die Bearbeitung deſſelben die Anforderung ergeben hat, die la-<lb/> tenten Seiten und Theile des Rechts mehr und mehr ins Be-<lb/> wußtſein zu bringen, beſchränkt ſich die herrſchende Methode<lb/> auf eine <hi rendition="#g">Reproduction</hi> der Rechtsſätze und Begriffe, die<lb/> von den Römern ſelbſt aufgeſtellt ſind. Ihr beſtändiger Refrain<lb/> iſt Quellenſtudium, und der kühnſte Gedanke, deſſen ſie fähig<lb/> iſt, beſteht in der Wiedererweckung der <hi rendition="#g">reinen</hi> römiſchen Theo-<lb/> rie. Wäre es möglich, ſo würfe ſie wohl alles, was nicht direkt<lb/> im römiſchen Recht ausgeſprochen iſt, über Bord und ſchraubte<lb/> unſere wiſſenſchaftliche Bildung auf den Standpunkt von Ulpian<lb/> und Paulus zurück. Aber die Zeiten von Ulpian und Paulus<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0056]
Einleitung — die Methode.
Schon mit Manchem, der ausging, den Geiſt einer Sache zu
ſuchen, hat dieſer Geiſt ein neckiſches Spiel getrieben, ihn bald
hierhin, bald dorthin gelockt und ihm ſtatt ſeiner ein Phan-
tom in die Hände geſpielt, das nur dem Suchenden ſelbſt, aber
keinem Dritten als das erſchien, was es ſein ſollte. Dadurch
ſind denn dieſe Verſuche bei Vielen in Mißcredit gekommen, und
die wiſſenſchaftlichen Spießbürger, die nur glauben, was ſie
mit den Händen greifen können, betrachten ſie als Spielerei, an
der nur ungründliche Naturen Gefallen finden können. Es iſt
begreiflich, daß gerade unter den Juriſten eine ſolche Stimmung
ſehr verbreitet iſt; der ungläubige Thomas, der auch vom Füh-
len mehr hielt, als vom Sehen, wäre viel geeigneter, ihren
Schutzpatron abzugeben als der heilige Ivo.
Jene Erfahrungen können uns behutſam machen, ſollen
uns aber von unſerm Plan ſelbſt nicht abhalten. Wo eine Auf-
gabe der Löſung ſo würdig iſt, als die unſere, kann die Gefahr,
die ſie dem Schriftſteller droht, gar nicht in Erwägung gezogen
werden.
Während uns nun unſere ganze Betrachtung immer auf
den Satz zurückgeführt hat, daß das Recht ſelbſt nicht zuſammen-
fällt mit dem ſubjektiven Bewußtſein und ſich uns daraus für
die Bearbeitung deſſelben die Anforderung ergeben hat, die la-
tenten Seiten und Theile des Rechts mehr und mehr ins Be-
wußtſein zu bringen, beſchränkt ſich die herrſchende Methode
auf eine Reproduction der Rechtsſätze und Begriffe, die
von den Römern ſelbſt aufgeſtellt ſind. Ihr beſtändiger Refrain
iſt Quellenſtudium, und der kühnſte Gedanke, deſſen ſie fähig
iſt, beſteht in der Wiedererweckung der reinen römiſchen Theo-
rie. Wäre es möglich, ſo würfe ſie wohl alles, was nicht direkt
im römiſchen Recht ausgeſprochen iſt, über Bord und ſchraubte
unſere wiſſenſchaftliche Bildung auf den Standpunkt von Ulpian
und Paulus zurück. Aber die Zeiten von Ulpian und Paulus
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