Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Einleitung -- die Methode. Ursache wirksam. Je üppiger die Lebenskraft, um so mannigfal-tiger die Form ihrer Aeußerung, je matter, um so ärmer. So können denn auch im Recht dieselben Kräfte in dem einen Insti- tut eine Beschränkung, in dem andern eine Erweiterung, dort eine Abschwächung, hier eine Kräftigung bewirken. In diesen treibenden Kräften nun bewährt sich erst recht Wir wollen diese allgemeinen Ideen und Grundanschauun- Einleitung — die Methode. Urſache wirkſam. Je üppiger die Lebenskraft, um ſo mannigfal-tiger die Form ihrer Aeußerung, je matter, um ſo ärmer. So können denn auch im Recht dieſelben Kräfte in dem einen Inſti- tut eine Beſchränkung, in dem andern eine Erweiterung, dort eine Abſchwächung, hier eine Kräftigung bewirken. In dieſen treibenden Kräften nun bewährt ſich erſt recht Wir wollen dieſe allgemeinen Ideen und Grundanſchauun- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0052" n="34"/><fw place="top" type="header">Einleitung — die Methode.</fw><lb/> Urſache wirkſam. Je üppiger die Lebenskraft, um ſo mannigfal-<lb/> tiger die Form ihrer Aeußerung, je matter, um ſo ärmer. So<lb/> können denn auch im Recht dieſelben Kräfte in dem einen Inſti-<lb/> tut eine Beſchränkung, in dem andern eine Erweiterung, dort<lb/> eine Abſchwächung, hier eine Kräftigung bewirken.</p><lb/> <p>In dieſen treibenden Kräften nun bewährt ſich erſt recht<lb/> die Einheit und Individualität des Organismus, und wären<lb/> ſie nicht vorhanden, ſo würde das Recht nur ein Aggregat von<lb/> einzelnen Inſtituten ſein, und man könnte auf die Idee kommen,<lb/> ein Recht in der Weiſe zuſammenzuſetzen, daß man von jedem<lb/> Volke <hi rendition="#g">das</hi> Rechtsinſtitut entlehnte, das gerade bei ihm vor-<lb/> zugsweiſe ausgebildet und zur Reife gelangt wäre. Indem wir<lb/> aber das Recht einen Organismus nennen, indem wir von dem<lb/> Charakter eines Rechtes ſprechen, gehen wir ſchon von der An-<lb/> nahme ſolcher das ganze Recht gleichmäßig geſtaltenden und<lb/> beherrſchenden Kräfte aus. Der Sitz dieſer Kräfte iſt die Indivi-<lb/> dualität des Volks, ſie iſt gewiſſermaßen das Herz des Rechts-<lb/> organismus, von dem aus belebend und erwärmend das Blut<lb/> durch alle Theile ſtrömt und dadurch auf dem allgemeinen logi-<lb/> ſchen Knochenſyſtem des Rechts Fleiſch und Haut anſetzt, ihm<lb/> den individuellen Charakter verleiht, an dem man eben erkennt,<lb/> daß das Recht dieſem Volke und dieſer Zeit angehört. In jeder<lb/> Ader fühlen wir bald ſchwächer, bald ſtärker den Pulsſchlag<lb/> allgemeiner nationaler Ideen und Anſchauungen, langſam und<lb/> kaum merklich führen ſie den feſten Theilen den Nahrungsſtoff<lb/> zu und bewirken, indem ſie ſelbſt dem Wechſel der Zeit ausge-<lb/> ſetzt ſind, auch eine entſprechende Veränderung im ganzen Orga-<lb/> nismus. So iſt denn der Geiſt des Volks und der Geiſt der<lb/> Zeit auch der Geiſt des Rechts.</p><lb/> <p>Wir wollen dieſe allgemeinen Ideen und Grundanſchauun-<lb/> gen eines Volks, die den einzelnen Inſtituten ihren Ausdruck<lb/> geben, die Beſtrebungen und Tendenzen der Zeit, die im Recht<lb/> ſich verwirklichen, kurz den ganzen Inbegriff aller Triebkräfte, die<lb/> im Rechte thätig werden, die <hi rendition="#g">pſychiſche</hi> Organiſation deſſel-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0052]
Einleitung — die Methode.
Urſache wirkſam. Je üppiger die Lebenskraft, um ſo mannigfal-
tiger die Form ihrer Aeußerung, je matter, um ſo ärmer. So
können denn auch im Recht dieſelben Kräfte in dem einen Inſti-
tut eine Beſchränkung, in dem andern eine Erweiterung, dort
eine Abſchwächung, hier eine Kräftigung bewirken.
In dieſen treibenden Kräften nun bewährt ſich erſt recht
die Einheit und Individualität des Organismus, und wären
ſie nicht vorhanden, ſo würde das Recht nur ein Aggregat von
einzelnen Inſtituten ſein, und man könnte auf die Idee kommen,
ein Recht in der Weiſe zuſammenzuſetzen, daß man von jedem
Volke das Rechtsinſtitut entlehnte, das gerade bei ihm vor-
zugsweiſe ausgebildet und zur Reife gelangt wäre. Indem wir
aber das Recht einen Organismus nennen, indem wir von dem
Charakter eines Rechtes ſprechen, gehen wir ſchon von der An-
nahme ſolcher das ganze Recht gleichmäßig geſtaltenden und
beherrſchenden Kräfte aus. Der Sitz dieſer Kräfte iſt die Indivi-
dualität des Volks, ſie iſt gewiſſermaßen das Herz des Rechts-
organismus, von dem aus belebend und erwärmend das Blut
durch alle Theile ſtrömt und dadurch auf dem allgemeinen logi-
ſchen Knochenſyſtem des Rechts Fleiſch und Haut anſetzt, ihm
den individuellen Charakter verleiht, an dem man eben erkennt,
daß das Recht dieſem Volke und dieſer Zeit angehört. In jeder
Ader fühlen wir bald ſchwächer, bald ſtärker den Pulsſchlag
allgemeiner nationaler Ideen und Anſchauungen, langſam und
kaum merklich führen ſie den feſten Theilen den Nahrungsſtoff
zu und bewirken, indem ſie ſelbſt dem Wechſel der Zeit ausge-
ſetzt ſind, auch eine entſprechende Veränderung im ganzen Orga-
nismus. So iſt denn der Geiſt des Volks und der Geiſt der
Zeit auch der Geiſt des Rechts.
Wir wollen dieſe allgemeinen Ideen und Grundanſchauun-
gen eines Volks, die den einzelnen Inſtituten ihren Ausdruck
geben, die Beſtrebungen und Tendenzen der Zeit, die im Recht
ſich verwirklichen, kurz den ganzen Inbegriff aller Triebkräfte, die
im Rechte thätig werden, die pſychiſche Organiſation deſſel-
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