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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Einleitung -- die Methode.
Beispiel den Begriff irgend eines Rechtes z. B. des Pfandrech-
tes. Die Definition desselben lautet: Pfandrecht ist ein Recht
an einer fremden Sache, vermöge dessen man sie verkaufen und
den Erlös zur Befriedigung einer Forderung verwenden darf.
Darin liegen folgende Rechtssätze: 1) es ist die Verabredung
rechtlich statthaft, daß ein Gläubiger zur Befriedigung seiner
Forderung eine fremde Sache verkaufe; 2) wenn die Sache ihm
abhanden kömmt, so hat er eine Klage gegen den dritten Besitzer
auf Herausgabe derselben (in rem actio); 3) die verpfändete
Sache soll eine fremde sein; an eigner Sache kann kein Pfand-
recht bestehen, daher geht dasselbe unter, wenn der Gläubiger
das Eigenthum an der verpfändeten Sache erwirbt; 4) die
Existenz einer Forderung ist Voraussetzung des Pfandrechts,
mithin geht es unter, wenn die Forderung erlischt, und entsteht
erst in dem Augenblick, wo die Forderung existent wird u. s. w.

Diese Präcipitirung der Rechtssätze zu Rechtsbegriffen schei-
det die wissenschaftliche Auffassung und Behandlung eines
Rechts von der Darstellung desselben in einem Gesetzbuch. Der
Gesetzgeber kann sich darauf beschränken, seine Anforderungen
in ihrer ursprünglichen, unmittelbar praktischen Form aufzustel-
len, die Wissenschaft aber hat nicht bloß die Aufgabe, dieselben
zu erläutern und zu ordnen, sondern sie auf logische Momente
des Systems zu reduciren. Der Gesetzgeber gibt uns, so zu sa-
gen, zusammengesetzte Körper, die ihn bloß von Seiten ihrer
unmittelbaren Brauchbarkeit interessiren, die Wissenschaft hin-
gegen nimmt eine Analyse derselben vor und zerlegt sie in einfache
Körper. Dabei zeigt sich denn, daß manche scheinbar heterogene
Rechtssätze aus denselben Elementen gebildet sind, also gestri-
chen, gespart werden können; daß der eine vor dem andern nur
das Plus eines einzigen Momentes voraus hat, also die Angabe
desselben genügt; daß mancher Rechtssatz ganz und gar aus
verschiedenen einfachen begrifflichen Elementen besteht, also um-
gekehrt durch Zusammensetzung derselben gewonnen werden kann.
So bringt also diese Analyse erst die wahre Natur der Rechts-

Einleitung — die Methode.
Beiſpiel den Begriff irgend eines Rechtes z. B. des Pfandrech-
tes. Die Definition deſſelben lautet: Pfandrecht iſt ein Recht
an einer fremden Sache, vermöge deſſen man ſie verkaufen und
den Erlös zur Befriedigung einer Forderung verwenden darf.
Darin liegen folgende Rechtsſätze: 1) es iſt die Verabredung
rechtlich ſtatthaft, daß ein Gläubiger zur Befriedigung ſeiner
Forderung eine fremde Sache verkaufe; 2) wenn die Sache ihm
abhanden kömmt, ſo hat er eine Klage gegen den dritten Beſitzer
auf Herausgabe derſelben (in rem actio); 3) die verpfändete
Sache ſoll eine fremde ſein; an eigner Sache kann kein Pfand-
recht beſtehen, daher geht daſſelbe unter, wenn der Gläubiger
das Eigenthum an der verpfändeten Sache erwirbt; 4) die
Exiſtenz einer Forderung iſt Vorausſetzung des Pfandrechts,
mithin geht es unter, wenn die Forderung erliſcht, und entſteht
erſt in dem Augenblick, wo die Forderung exiſtent wird u. ſ. w.

Dieſe Präcipitirung der Rechtsſätze zu Rechtsbegriffen ſchei-
det die wiſſenſchaftliche Auffaſſung und Behandlung eines
Rechts von der Darſtellung deſſelben in einem Geſetzbuch. Der
Geſetzgeber kann ſich darauf beſchränken, ſeine Anforderungen
in ihrer urſprünglichen, unmittelbar praktiſchen Form aufzuſtel-
len, die Wiſſenſchaft aber hat nicht bloß die Aufgabe, dieſelben
zu erläutern und zu ordnen, ſondern ſie auf logiſche Momente
des Syſtems zu reduciren. Der Geſetzgeber gibt uns, ſo zu ſa-
gen, zuſammengeſetzte Körper, die ihn bloß von Seiten ihrer
unmittelbaren Brauchbarkeit intereſſiren, die Wiſſenſchaft hin-
gegen nimmt eine Analyſe derſelben vor und zerlegt ſie in einfache
Körper. Dabei zeigt ſich denn, daß manche ſcheinbar heterogene
Rechtsſätze aus denſelben Elementen gebildet ſind, alſo geſtri-
chen, geſpart werden können; daß der eine vor dem andern nur
das Plus eines einzigen Momentes voraus hat, alſo die Angabe
deſſelben genügt; daß mancher Rechtsſatz ganz und gar aus
verſchiedenen einfachen begrifflichen Elementen beſteht, alſo um-
gekehrt durch Zuſammenſetzung derſelben gewonnen werden kann.
So bringt alſo dieſe Analyſe erſt die wahre Natur der Rechts-

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[28/0046] Einleitung — die Methode. Beiſpiel den Begriff irgend eines Rechtes z. B. des Pfandrech- tes. Die Definition deſſelben lautet: Pfandrecht iſt ein Recht an einer fremden Sache, vermöge deſſen man ſie verkaufen und den Erlös zur Befriedigung einer Forderung verwenden darf. Darin liegen folgende Rechtsſätze: 1) es iſt die Verabredung rechtlich ſtatthaft, daß ein Gläubiger zur Befriedigung ſeiner Forderung eine fremde Sache verkaufe; 2) wenn die Sache ihm abhanden kömmt, ſo hat er eine Klage gegen den dritten Beſitzer auf Herausgabe derſelben (in rem actio); 3) die verpfändete Sache ſoll eine fremde ſein; an eigner Sache kann kein Pfand- recht beſtehen, daher geht daſſelbe unter, wenn der Gläubiger das Eigenthum an der verpfändeten Sache erwirbt; 4) die Exiſtenz einer Forderung iſt Vorausſetzung des Pfandrechts, mithin geht es unter, wenn die Forderung erliſcht, und entſteht erſt in dem Augenblick, wo die Forderung exiſtent wird u. ſ. w. Dieſe Präcipitirung der Rechtsſätze zu Rechtsbegriffen ſchei- det die wiſſenſchaftliche Auffaſſung und Behandlung eines Rechts von der Darſtellung deſſelben in einem Geſetzbuch. Der Geſetzgeber kann ſich darauf beſchränken, ſeine Anforderungen in ihrer urſprünglichen, unmittelbar praktiſchen Form aufzuſtel- len, die Wiſſenſchaft aber hat nicht bloß die Aufgabe, dieſelben zu erläutern und zu ordnen, ſondern ſie auf logiſche Momente des Syſtems zu reduciren. Der Geſetzgeber gibt uns, ſo zu ſa- gen, zuſammengeſetzte Körper, die ihn bloß von Seiten ihrer unmittelbaren Brauchbarkeit intereſſiren, die Wiſſenſchaft hin- gegen nimmt eine Analyſe derſelben vor und zerlegt ſie in einfache Körper. Dabei zeigt ſich denn, daß manche ſcheinbar heterogene Rechtsſätze aus denſelben Elementen gebildet ſind, alſo geſtri- chen, geſpart werden können; daß der eine vor dem andern nur das Plus eines einzigen Momentes voraus hat, alſo die Angabe deſſelben genügt; daß mancher Rechtsſatz ganz und gar aus verſchiedenen einfachen begrifflichen Elementen beſteht, alſo um- gekehrt durch Zuſammenſetzung derſelben gewonnen werden kann. So bringt alſo dieſe Analyſe erſt die wahre Natur der Rechts-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/46>, abgerufen am 24.11.2024.