Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. teren selbst konnte kein Vorwurf treffen, wenn er das fand,was er im Interesse des Staats suchte. Vom religiösen Standpunkt aus hat diese Entartung eines 266) Ich verweise z. B. auf den Fall in Note 245, die Ernennung des
Diktators betreffend, Liv. VIII, 23. 2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. teren ſelbſt konnte kein Vorwurf treffen, wenn er das fand,was er im Intereſſe des Staats ſuchte. Vom religiöſen Standpunkt aus hat dieſe Entartung eines 266) Ich verweiſe z. B. auf den Fall in Note 245, die Ernennung des
Diktators betreffend, Liv. VIII, 23. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0349" n="331"/><fw place="top" type="header">2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.</fw><lb/> teren ſelbſt konnte kein Vorwurf treffen, wenn er das fand,<lb/> was er im Intereſſe des Staats ſuchte.</p><lb/> <p>Vom religiöſen Standpunkt aus hat dieſe Entartung eines<lb/> urſprünglich aus religiöſem Bedürfniß hervorgegangenen Inſti-<lb/> tuts etwas Widerwärtiges, und ſie beweiſt den frühen Verfall<lb/> der wahrhaft innerlichen Religiöſität in Rom. Letztere würde<lb/> ſich nicht in der Weiſe an den Göttern haben verſündigen kön-<lb/> nen, daß ſie die Nachſuchung ihrer Zuſtimmung zur leeren<lb/> Poſſe herabgewürdigt hätte. Faßt man aber das ganze Inſtitut<lb/> mit ſeinen in den Willen der Staatsregierung gegebenen geiſt-<lb/> lichen Beamten, Zeichen, Nichtigkeitsgründen u. ſ. w., wie<lb/> man es muß, als ein <hi rendition="#g">politiſches</hi> Inſtitut auf, ſo verdient<lb/> es freilich von dieſem Standpunkt aus eben ſo hoch geſtellt zu<lb/> werden, wie es in religiöſer Beziehung niedrig ſteht. Die aus-<lb/> gezeichnete Brauchbarkeit des Inſtituts ſetze ich nicht ſowohl in<lb/> ſeine poſitive Seite, daß es nämlich der Regierung als Mittel<lb/> diente, dem Volk Vertrauen einzuflößen, ihren Anordnungen<lb/> durch die eingeholte Zuſtimmung der Götter Auctorität und Ge-<lb/> horſam zu verſchaffen, als vielmehr in ſeine negative Function<lb/> d. i. ſeine Macht, politiſche Maßregeln zu hemmen und zu ent-<lb/> kräften. Ungünſtige Auſpicien, ja das bloße <hi rendition="#aq">servare de coelo</hi><lb/> gewährten das legale Mittel, eine angeſetzte Volksverſammlung<lb/> zu vertagen, und bei einer vorübergehenden leidenſchaftlichen<lb/> Erregung des Volks war dies ſchon ein großer Gewinn. Form-<lb/> fehler, bei Abhaltung der Auſpicien vorgekommen, machten es<lb/> möglich, Uebereilungen, Mißgriffe der Beamten und des Volks,<lb/> die ſonſt durch kein verfaſſungsmäßiges Mittel mehr zu redreſſiren<lb/> waren, als nichtig aus dem Wege zu räumen, <note place="foot" n="266)">Ich verweiſe z. B. auf den Fall in Note 245, die Ernennung des<lb/> Diktators betreffend, <hi rendition="#aq">Liv. VIII, 23.</hi></note> ſo daß man das<lb/> Collegium der Augurn, das über dieſe Nichtigkeitsfälle erkannte,<lb/> als <hi rendition="#g">höchſten politiſchen Caſſationshof</hi> bezeichnen könnte.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [331/0349]
2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.
teren ſelbſt konnte kein Vorwurf treffen, wenn er das fand,
was er im Intereſſe des Staats ſuchte.
Vom religiöſen Standpunkt aus hat dieſe Entartung eines
urſprünglich aus religiöſem Bedürfniß hervorgegangenen Inſti-
tuts etwas Widerwärtiges, und ſie beweiſt den frühen Verfall
der wahrhaft innerlichen Religiöſität in Rom. Letztere würde
ſich nicht in der Weiſe an den Göttern haben verſündigen kön-
nen, daß ſie die Nachſuchung ihrer Zuſtimmung zur leeren
Poſſe herabgewürdigt hätte. Faßt man aber das ganze Inſtitut
mit ſeinen in den Willen der Staatsregierung gegebenen geiſt-
lichen Beamten, Zeichen, Nichtigkeitsgründen u. ſ. w., wie
man es muß, als ein politiſches Inſtitut auf, ſo verdient
es freilich von dieſem Standpunkt aus eben ſo hoch geſtellt zu
werden, wie es in religiöſer Beziehung niedrig ſteht. Die aus-
gezeichnete Brauchbarkeit des Inſtituts ſetze ich nicht ſowohl in
ſeine poſitive Seite, daß es nämlich der Regierung als Mittel
diente, dem Volk Vertrauen einzuflößen, ihren Anordnungen
durch die eingeholte Zuſtimmung der Götter Auctorität und Ge-
horſam zu verſchaffen, als vielmehr in ſeine negative Function
d. i. ſeine Macht, politiſche Maßregeln zu hemmen und zu ent-
kräften. Ungünſtige Auſpicien, ja das bloße servare de coelo
gewährten das legale Mittel, eine angeſetzte Volksverſammlung
zu vertagen, und bei einer vorübergehenden leidenſchaftlichen
Erregung des Volks war dies ſchon ein großer Gewinn. Form-
fehler, bei Abhaltung der Auſpicien vorgekommen, machten es
möglich, Uebereilungen, Mißgriffe der Beamten und des Volks,
die ſonſt durch kein verfaſſungsmäßiges Mittel mehr zu redreſſiren
waren, als nichtig aus dem Wege zu räumen, 266) ſo daß man das
Collegium der Augurn, das über dieſe Nichtigkeitsfälle erkannte,
als höchſten politiſchen Caſſationshof bezeichnen könnte.
266) Ich verweiſe z. B. auf den Fall in Note 245, die Ernennung des
Diktators betreffend, Liv. VIII, 23.
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