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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
ter einzuholen, und dem Glauben thaten der Himmel und die
Vögel als Götterboten den Willen der Götter kund. Eine spä-
tere Zeit brachte noch manche andere Erkenntnißmittel hinzu,
das Fressen der Hühner, die Eingeweide des Opferthieres u.
s. w., und der Glaube war geschäftig, selbst den Handlungen
der Menschen, Unfällen gewöhnlicher Art, den Namen u. s. w.
einen Glück oder Unglück ankündenden Sinn abzugewinnen.

Daneben aber verläugnete sich doch die römische Schlauheit
nicht, die Lehre von den Vorzeichen war so eingerichtet, daß
nicht der Mensch den Zeichen, sondern die Zeichen dem Men-
schen untergeben waren.

Wir müssen die eigentlichen Auspicien, die nach den Regeln
der Kunst beobachtet und gedeutet wurden, von den bloßen An-
zeichen unterscheiden, die sich ungesucht darboten. Was letztere
anbetrifft, so lehrte man, 257) daß sie ganz in der Hand dessen
seien, der sie beobachtet hatte, er konnte sie annehmen (accipio
omen
) oder zurückweisen (ad me non pertinet), ja ihnen eine
andere Richtung 258) und Bedeutung geben. Sowie er im Au-
genblick, wo sie von ihm bemerkt wurden, der zunächst sich
aufdrängenden ungünstigen Bedeutung eine passende günstige
zu substituiren wußte, so war die Kraft des Zeichens gebrochen,
die anscheinende Drohung in eine Verheißung verwandelt. 259)

257) Hartung a. a. O. I S. 101 Servius ad Aen.: nam nostri arbitrii
est, visa omina vel improbare vel recipere.
258) Durch Schlauheit und selbst durch Betrug konnte man sich ein
Zeichen aneignen, das einem Andern zu Theil geworden. Ich verweise z. B.
auf den von dem Priester der Diana verübten Betrug, von dem Livius I, 45
erzählt, auf einen ähnlichen, aber durch Vorsicht von der andern Seite ver-
eitelten Versuch, den Plinius Hist. natur. lib. XXVIII cap. II §. 15 be-
richtet: (... transiturum fuisse fatum in Etruriam, ni prae-
moniti .. legati Romani respondissent etc.
).
259) Hartung a. a. O. I S. 101, der unter andern das bekannte Bei-
spiel von Cäsar anführt, der, als er an der afrikanischen Küste aus dem Schiff

Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
ter einzuholen, und dem Glauben thaten der Himmel und die
Vögel als Götterboten den Willen der Götter kund. Eine ſpä-
tere Zeit brachte noch manche andere Erkenntnißmittel hinzu,
das Freſſen der Hühner, die Eingeweide des Opferthieres u.
ſ. w., und der Glaube war geſchäftig, ſelbſt den Handlungen
der Menſchen, Unfällen gewöhnlicher Art, den Namen u. ſ. w.
einen Glück oder Unglück ankündenden Sinn abzugewinnen.

Daneben aber verläugnete ſich doch die römiſche Schlauheit
nicht, die Lehre von den Vorzeichen war ſo eingerichtet, daß
nicht der Menſch den Zeichen, ſondern die Zeichen dem Men-
ſchen untergeben waren.

Wir müſſen die eigentlichen Auſpicien, die nach den Regeln
der Kunſt beobachtet und gedeutet wurden, von den bloßen An-
zeichen unterſcheiden, die ſich ungeſucht darboten. Was letztere
anbetrifft, ſo lehrte man, 257) daß ſie ganz in der Hand deſſen
ſeien, der ſie beobachtet hatte, er konnte ſie annehmen (accipio
omen
) oder zurückweiſen (ad me non pertinet), ja ihnen eine
andere Richtung 258) und Bedeutung geben. Sowie er im Au-
genblick, wo ſie von ihm bemerkt wurden, der zunächſt ſich
aufdrängenden ungünſtigen Bedeutung eine paſſende günſtige
zu ſubſtituiren wußte, ſo war die Kraft des Zeichens gebrochen,
die anſcheinende Drohung in eine Verheißung verwandelt. 259)

257) Hartung a. a. O. I S. 101 Servius ad Aen.: nam nostri arbitrii
est, visa omina vel improbare vel recipere.
258) Durch Schlauheit und ſelbſt durch Betrug konnte man ſich ein
Zeichen aneignen, das einem Andern zu Theil geworden. Ich verweiſe z. B.
auf den von dem Prieſter der Diana verübten Betrug, von dem Livius I, 45
erzählt, auf einen ähnlichen, aber durch Vorſicht von der andern Seite ver-
eitelten Verſuch, den Plinius Hist. natur. lib. XXVIII cap. II §. 15 be-
richtet: (transiturum fuisse fatum in Etruriam, ni prae-
moniti .. legati Romani respondissent etc.
).
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ſpiel von Cäſar anführt, der, als er an der afrikaniſchen Küſte aus dem Schiff
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[328/0346] Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. ter einzuholen, und dem Glauben thaten der Himmel und die Vögel als Götterboten den Willen der Götter kund. Eine ſpä- tere Zeit brachte noch manche andere Erkenntnißmittel hinzu, das Freſſen der Hühner, die Eingeweide des Opferthieres u. ſ. w., und der Glaube war geſchäftig, ſelbſt den Handlungen der Menſchen, Unfällen gewöhnlicher Art, den Namen u. ſ. w. einen Glück oder Unglück ankündenden Sinn abzugewinnen. Daneben aber verläugnete ſich doch die römiſche Schlauheit nicht, die Lehre von den Vorzeichen war ſo eingerichtet, daß nicht der Menſch den Zeichen, ſondern die Zeichen dem Men- ſchen untergeben waren. Wir müſſen die eigentlichen Auſpicien, die nach den Regeln der Kunſt beobachtet und gedeutet wurden, von den bloßen An- zeichen unterſcheiden, die ſich ungeſucht darboten. Was letztere anbetrifft, ſo lehrte man, 257) daß ſie ganz in der Hand deſſen ſeien, der ſie beobachtet hatte, er konnte ſie annehmen (accipio omen) oder zurückweiſen (ad me non pertinet), ja ihnen eine andere Richtung 258) und Bedeutung geben. Sowie er im Au- genblick, wo ſie von ihm bemerkt wurden, der zunächſt ſich aufdrängenden ungünſtigen Bedeutung eine paſſende günſtige zu ſubſtituiren wußte, ſo war die Kraft des Zeichens gebrochen, die anſcheinende Drohung in eine Verheißung verwandelt. 259) 257) Hartung a. a. O. I S. 101 Servius ad Aen.: nam nostri arbitrii est, visa omina vel improbare vel recipere. 258) Durch Schlauheit und ſelbſt durch Betrug konnte man ſich ein Zeichen aneignen, das einem Andern zu Theil geworden. Ich verweiſe z. B. auf den von dem Prieſter der Diana verübten Betrug, von dem Livius I, 45 erzählt, auf einen ähnlichen, aber durch Vorſicht von der andern Seite ver- eitelten Verſuch, den Plinius Hist. natur. lib. XXVIII cap. II §. 15 be- richtet: (… transiturum fuisse fatum in Etruriam, ni prae- moniti .. legati Romani respondissent etc.). 259) Hartung a. a. O. I S. 101, der unter andern das bekannte Bei- ſpiel von Cäſar anführt, der, als er an der afrikaniſchen Küſte aus dem Schiff

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/346>, abgerufen am 25.11.2024.