Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Verhalten zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. wichtiger Akt desselben, dem sie nicht assistirte. Und trotzdemmuß ich entschieden in Abrede stellen, daß die Religion in Rom zur Zeit der Republik auf Recht und Staat einen bestimmenden Einfluß ausgeübt hat. 232) Nicht darauf kommt es an, ob sie äußerlich überall hervortritt, an allem Antheil nimmt, ob ihre Formen beobachtet, ihre Gebote befolgt werden -- dies Alles war der Fall und doch trägt es nichts aus. Das Wesentliche ist, daß der römische Geist die Religion in das Verhältniß eines Mittels zum Zweck herabdrückte, daß sie im römischen Staat nicht Herrin, sondern Dienerin war. Ich wiederhole die bereits im vorigen Paragraphen eingelegte Verwahrung, daß meine Meinung nicht dahin geht, als ob die Römer in bewuß- ter Schlechtigkeit mit dem Heiligsten ihr Spiel getrieben hät- ten, 233) sondern daß es eine im Wesen des römischen Charak- ters liegende Nothwendigkeit war, unbewußt und instinktartig alle Dinge seinen Zwecken unterzuordnen, ihnen die Seite ab- zugewinnen, nach der hin sie für diese Zwecke die größte Brauch- barkeit besaßen. Dies praktische Verhältniß der Religion zum römischen Staat und Leben will ich jetzt nachzuweisen versuchen. Unsere Untersuchung wendet sich natürlicherweise vorzüglich 232) Wenn ich, ohne eigne Studien über die römische Religion haben anstellen zu können, und in dieser Beziehung also von meinen Gewährsmän- nern abhängig, dennoch in meinem Urtheil mich von ihnen emancipirt habe, so wird man darin keine Anmaßung erblicken. Der Romanist, der den römi- schen Charakter gerade von seiner eigenthümlichsten Seite am meisten kennen lernt, steht, wie ich glaube, auf einem Standpunkt, von dem aus sich minde- stens manches in der Religion am besten begreifen läßt. Möge ich im folgen- den die Farben auch etwas zu stark aufgetragen haben, gegenüber einer Rich- tung, die den Einfluß des religiösen Moments auf die römische Welt ent- schieden übertreibt, ist ein Outriren nach der andern Seite hin vielleicht gerade an der Zeit. 233) So faßte man früher wohl die Sache auf, und Polybius VI, 56
ging mit einem schlechten Beispiel voran. Er betrachtet die römische Religion bloß als ein Mittel, bestimmt, die große Menge durch Furcht vor den Göttern in Zaum zu halten, von dem herrschenden Stande mit dieser bewußten In- tention ausgebildet und in Anwendung gebracht. 2. Verhalten zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. wichtiger Akt deſſelben, dem ſie nicht aſſiſtirte. Und trotzdemmuß ich entſchieden in Abrede ſtellen, daß die Religion in Rom zur Zeit der Republik auf Recht und Staat einen beſtimmenden Einfluß ausgeübt hat. 232) Nicht darauf kommt es an, ob ſie äußerlich überall hervortritt, an allem Antheil nimmt, ob ihre Formen beobachtet, ihre Gebote befolgt werden — dies Alles war der Fall und doch trägt es nichts aus. Das Weſentliche iſt, daß der römiſche Geiſt die Religion in das Verhältniß eines Mittels zum Zweck herabdrückte, daß ſie im römiſchen Staat nicht Herrin, ſondern Dienerin war. Ich wiederhole die bereits im vorigen Paragraphen eingelegte Verwahrung, daß meine Meinung nicht dahin geht, als ob die Römer in bewuß- ter Schlechtigkeit mit dem Heiligſten ihr Spiel getrieben hät- ten, 233) ſondern daß es eine im Weſen des römiſchen Charak- ters liegende Nothwendigkeit war, unbewußt und inſtinktartig alle Dinge ſeinen Zwecken unterzuordnen, ihnen die Seite ab- zugewinnen, nach der hin ſie für dieſe Zwecke die größte Brauch- barkeit beſaßen. Dies praktiſche Verhältniß der Religion zum römiſchen Staat und Leben will ich jetzt nachzuweiſen verſuchen. Unſere Unterſuchung wendet ſich natürlicherweiſe vorzüglich 232) Wenn ich, ohne eigne Studien über die römiſche Religion haben anſtellen zu können, und in dieſer Beziehung alſo von meinen Gewährsmän- nern abhängig, dennoch in meinem Urtheil mich von ihnen emancipirt habe, ſo wird man darin keine Anmaßung erblicken. Der Romaniſt, der den römi- ſchen Charakter gerade von ſeiner eigenthümlichſten Seite am meiſten kennen lernt, ſteht, wie ich glaube, auf einem Standpunkt, von dem aus ſich minde- ſtens manches in der Religion am beſten begreifen läßt. Möge ich im folgen- den die Farben auch etwas zu ſtark aufgetragen haben, gegenüber einer Rich- tung, die den Einfluß des religiöſen Moments auf die römiſche Welt ent- ſchieden übertreibt, iſt ein Outriren nach der andern Seite hin vielleicht gerade an der Zeit. 233) So faßte man früher wohl die Sache auf, und Polybius VI, 56
ging mit einem ſchlechten Beiſpiel voran. Er betrachtet die römiſche Religion bloß als ein Mittel, beſtimmt, die große Menge durch Furcht vor den Göttern in Zaum zu halten, von dem herrſchenden Stande mit dieſer bewußten In- tention ausgebildet und in Anwendung gebracht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0333" n="315"/><fw place="top" type="header">2. Verhalten zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.</fw><lb/> wichtiger Akt deſſelben, dem ſie nicht aſſiſtirte. Und trotzdem<lb/> muß ich entſchieden in Abrede ſtellen, daß die Religion in Rom<lb/> zur Zeit der Republik auf Recht und Staat einen beſtimmenden<lb/> Einfluß ausgeübt hat. <note place="foot" n="232)">Wenn ich, ohne eigne Studien über die römiſche Religion haben<lb/> anſtellen zu können, und in dieſer Beziehung alſo von meinen Gewährsmän-<lb/> nern abhängig, dennoch in meinem Urtheil mich von ihnen emancipirt habe,<lb/> ſo wird man darin keine Anmaßung erblicken. Der Romaniſt, der den römi-<lb/> ſchen Charakter gerade von ſeiner eigenthümlichſten Seite am meiſten kennen<lb/> lernt, ſteht, wie ich glaube, auf einem Standpunkt, von dem aus ſich minde-<lb/> ſtens manches in der Religion am beſten begreifen läßt. Möge ich im folgen-<lb/> den die Farben auch etwas zu ſtark aufgetragen haben, gegenüber einer Rich-<lb/> tung, die den Einfluß des religiöſen Moments auf die römiſche Welt ent-<lb/> ſchieden übertreibt, iſt ein Outriren nach der andern Seite hin vielleicht gerade<lb/> an der Zeit.</note> Nicht darauf kommt es an, ob ſie<lb/> äußerlich überall hervortritt, an allem Antheil nimmt, ob ihre<lb/> Formen beobachtet, ihre Gebote befolgt werden — dies Alles<lb/> war der Fall und doch trägt es nichts aus. Das Weſentliche<lb/> iſt, daß der römiſche Geiſt die Religion in das Verhältniß eines<lb/> Mittels zum Zweck herabdrückte, daß ſie im römiſchen Staat<lb/> nicht Herrin, ſondern Dienerin war. Ich wiederhole die bereits<lb/> im vorigen Paragraphen eingelegte Verwahrung, daß meine<lb/> Meinung nicht dahin geht, als ob die Römer in bewuß-<lb/> ter Schlechtigkeit mit dem Heiligſten ihr Spiel getrieben hät-<lb/> ten, <note place="foot" n="233)">So faßte man früher wohl die Sache auf, und Polybius <hi rendition="#aq">VI,</hi> 56<lb/> ging mit einem ſchlechten Beiſpiel voran. Er betrachtet die römiſche Religion<lb/> bloß als ein Mittel, beſtimmt, die große Menge durch Furcht vor den Göttern<lb/> in Zaum zu halten, von dem herrſchenden Stande mit dieſer bewußten In-<lb/> tention ausgebildet und in Anwendung gebracht.</note> ſondern daß es eine im Weſen des römiſchen Charak-<lb/> ters liegende Nothwendigkeit war, unbewußt und inſtinktartig<lb/> alle Dinge ſeinen Zwecken unterzuordnen, ihnen die Seite ab-<lb/> zugewinnen, nach der hin ſie für dieſe Zwecke die größte Brauch-<lb/> barkeit beſaßen. Dies praktiſche Verhältniß der Religion zum<lb/> römiſchen Staat und Leben will ich jetzt nachzuweiſen verſuchen.</p><lb/> <p>Unſere Unterſuchung wendet ſich natürlicherweiſe vorzüglich<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [315/0333]
2. Verhalten zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.
wichtiger Akt deſſelben, dem ſie nicht aſſiſtirte. Und trotzdem
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zur Zeit der Republik auf Recht und Staat einen beſtimmenden
Einfluß ausgeübt hat. 232) Nicht darauf kommt es an, ob ſie
äußerlich überall hervortritt, an allem Antheil nimmt, ob ihre
Formen beobachtet, ihre Gebote befolgt werden — dies Alles
war der Fall und doch trägt es nichts aus. Das Weſentliche
iſt, daß der römiſche Geiſt die Religion in das Verhältniß eines
Mittels zum Zweck herabdrückte, daß ſie im römiſchen Staat
nicht Herrin, ſondern Dienerin war. Ich wiederhole die bereits
im vorigen Paragraphen eingelegte Verwahrung, daß meine
Meinung nicht dahin geht, als ob die Römer in bewuß-
ter Schlechtigkeit mit dem Heiligſten ihr Spiel getrieben hät-
ten, 233) ſondern daß es eine im Weſen des römiſchen Charak-
ters liegende Nothwendigkeit war, unbewußt und inſtinktartig
alle Dinge ſeinen Zwecken unterzuordnen, ihnen die Seite ab-
zugewinnen, nach der hin ſie für dieſe Zwecke die größte Brauch-
barkeit beſaßen. Dies praktiſche Verhältniß der Religion zum
römiſchen Staat und Leben will ich jetzt nachzuweiſen verſuchen.
Unſere Unterſuchung wendet ſich natürlicherweiſe vorzüglich
232) Wenn ich, ohne eigne Studien über die römiſche Religion haben
anſtellen zu können, und in dieſer Beziehung alſo von meinen Gewährsmän-
nern abhängig, dennoch in meinem Urtheil mich von ihnen emancipirt habe,
ſo wird man darin keine Anmaßung erblicken. Der Romaniſt, der den römi-
ſchen Charakter gerade von ſeiner eigenthümlichſten Seite am meiſten kennen
lernt, ſteht, wie ich glaube, auf einem Standpunkt, von dem aus ſich minde-
ſtens manches in der Religion am beſten begreifen läßt. Möge ich im folgen-
den die Farben auch etwas zu ſtark aufgetragen haben, gegenüber einer Rich-
tung, die den Einfluß des religiöſen Moments auf die römiſche Welt ent-
ſchieden übertreibt, iſt ein Outriren nach der andern Seite hin vielleicht gerade
an der Zeit.
233) So faßte man früher wohl die Sache auf, und Polybius VI, 56
ging mit einem ſchlechten Beiſpiel voran. Er betrachtet die römiſche Religion
bloß als ein Mittel, beſtimmt, die große Menge durch Furcht vor den Göttern
in Zaum zu halten, von dem herrſchenden Stande mit dieſer bewußten In-
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