Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.1. Prädestination des röm. Geistes zur Cultur des Rechts. §. 20. Ueberlegenheit am meisten bewußt waren, der Magnet des Ehr-geizes und der Kraft. Wenn das Volk Gottes seine Propheten, und Griechenland seine Philosophen, Künstler und Dichter am höchsten verehrte, so traf diese Verehrung in Rom die Bürger, die sich um den Staat verdient gemacht oder das Recht sei es durch ihre Handlungsweise, wie Brutus und Regulus, ver- herrlicht oder durch ihren Scharfsinn gefördert hatten. Wie hoch ein Volk einen Beruf, eine Kunst, Wissenschaft u. s. w. stellt, dafür bietet die Achtung, die sie den Individuen, die sich dem fraglichen Beruf widmen, erweist, den natürlichsten Maßstab dar. Rom trieb die Künstler aus der Stadt, die Personen geist- lichen Standes bildeten als solche nirgends weniger einen Gegenstand der Verehrung, als in Rom, 229) und die Juristen umgekehrt haben nirgends eine größere Popularität, einen höhern Einfluß und höhere Achtung genossen. Die Macht, die das Recht über die Römer ausübte, beschränkte sich nicht auf den Verstand, beruhte nicht bloß darin, daß sie sich im Recht in ihrem Elemente fühlten, sich hier ihrer Virtuosität bewußt waren; ihr Stolz war nicht bloß intellektueller, sondern mora- lischer Art. Wohl mochten sie in ersterer Beziehung sich rühmen, daß kein Volk so weise Gesetze, so erprobte Einrichtungen besitze, kein Volk es in der Erkenntniß des Rechts so weit gebracht, wie sie; höher aber stand ihnen doch der Ruhm, daß nirgends das Recht die Herrschaft ausübte, nirgends die Gebote desselben so befolgt wurden, als zu Rom. Diese moralische Achtung vor dem Recht, die bereitwillige Unterordnung des Römers unter die Satzungen des Rechts, die Gerechtigkeitsliebe des Volks, der Abscheu desselben vor Rechtsverletzungen, das Gefühl der Sicherheit, das in Rom das Recht verlieh, das Vertrauen auf den Sieg desselben -- das eben ist es, was den Römer am meisten mit Stolz erfüllen konnte. Glänzende Beweise einer solchen Gesinnung stellte die öffentliche Meinung ebenso hoch, 229) S. den folgenden Paragraphen.
1. Prädeſtination des röm. Geiſtes zur Cultur des Rechts. §. 20. Ueberlegenheit am meiſten bewußt waren, der Magnet des Ehr-geizes und der Kraft. Wenn das Volk Gottes ſeine Propheten, und Griechenland ſeine Philoſophen, Künſtler und Dichter am höchſten verehrte, ſo traf dieſe Verehrung in Rom die Bürger, die ſich um den Staat verdient gemacht oder das Recht ſei es durch ihre Handlungsweiſe, wie Brutus und Regulus, ver- herrlicht oder durch ihren Scharfſinn gefördert hatten. Wie hoch ein Volk einen Beruf, eine Kunſt, Wiſſenſchaft u. ſ. w. ſtellt, dafür bietet die Achtung, die ſie den Individuen, die ſich dem fraglichen Beruf widmen, erweiſt, den natürlichſten Maßſtab dar. Rom trieb die Künſtler aus der Stadt, die Perſonen geiſt- lichen Standes bildeten als ſolche nirgends weniger einen Gegenſtand der Verehrung, als in Rom, 229) und die Juriſten umgekehrt haben nirgends eine größere Popularität, einen höhern Einfluß und höhere Achtung genoſſen. Die Macht, die das Recht über die Römer ausübte, beſchränkte ſich nicht auf den Verſtand, beruhte nicht bloß darin, daß ſie ſich im Recht in ihrem Elemente fühlten, ſich hier ihrer Virtuoſität bewußt waren; ihr Stolz war nicht bloß intellektueller, ſondern mora- liſcher Art. Wohl mochten ſie in erſterer Beziehung ſich rühmen, daß kein Volk ſo weiſe Geſetze, ſo erprobte Einrichtungen beſitze, kein Volk es in der Erkenntniß des Rechts ſo weit gebracht, wie ſie; höher aber ſtand ihnen doch der Ruhm, daß nirgends das Recht die Herrſchaft ausübte, nirgends die Gebote deſſelben ſo befolgt wurden, als zu Rom. Dieſe moraliſche Achtung vor dem Recht, die bereitwillige Unterordnung des Römers unter die Satzungen des Rechts, die Gerechtigkeitsliebe des Volks, der Abſcheu deſſelben vor Rechtsverletzungen, das Gefühl der Sicherheit, das in Rom das Recht verlieh, das Vertrauen auf den Sieg deſſelben — das eben iſt es, was den Römer am meiſten mit Stolz erfüllen konnte. Glänzende Beweiſe einer ſolchen Geſinnung ſtellte die öffentliche Meinung ebenſo hoch, 229) S. den folgenden Paragraphen.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0321" n="303"/><fw place="top" type="header">1. Prädeſtination des röm. Geiſtes zur Cultur des Rechts. §. 20.</fw><lb/> Ueberlegenheit am meiſten bewußt waren, der Magnet des Ehr-<lb/> geizes und der Kraft. Wenn das Volk Gottes ſeine Propheten,<lb/> und Griechenland ſeine Philoſophen, Künſtler und Dichter am<lb/> höchſten verehrte, ſo traf dieſe Verehrung in Rom die Bürger,<lb/> die ſich um den Staat verdient gemacht oder das Recht ſei es<lb/> durch ihre Handlungsweiſe, wie Brutus und Regulus, ver-<lb/> herrlicht oder durch ihren Scharfſinn gefördert hatten. Wie hoch<lb/> ein Volk einen Beruf, eine Kunſt, Wiſſenſchaft u. ſ. w. ſtellt,<lb/> dafür bietet die Achtung, die ſie den Individuen, die ſich dem<lb/> fraglichen Beruf widmen, erweiſt, den natürlichſten Maßſtab<lb/> dar. Rom trieb die Künſtler aus der Stadt, die Perſonen geiſt-<lb/> lichen Standes bildeten als ſolche nirgends weniger einen<lb/> Gegenſtand der Verehrung, als in Rom, <note place="foot" n="229)">S. den folgenden Paragraphen.</note> und die Juriſten<lb/> umgekehrt haben nirgends eine größere Popularität, einen<lb/> höhern Einfluß und höhere Achtung genoſſen. Die Macht, die<lb/> das Recht über die Römer ausübte, beſchränkte ſich nicht auf<lb/> den Verſtand, beruhte nicht bloß darin, daß ſie ſich im Recht<lb/> in ihrem Elemente fühlten, ſich hier ihrer Virtuoſität bewußt<lb/> waren; ihr Stolz war nicht bloß intellektueller, ſondern mora-<lb/> liſcher Art. Wohl mochten ſie in erſterer Beziehung ſich rühmen,<lb/> daß kein Volk ſo weiſe Geſetze, ſo erprobte Einrichtungen beſitze,<lb/> kein Volk es in der Erkenntniß des Rechts ſo weit gebracht, wie<lb/> ſie; höher aber ſtand ihnen doch der Ruhm, daß nirgends das<lb/> Recht <hi rendition="#g">die</hi> Herrſchaft ausübte, nirgends die Gebote deſſelben ſo<lb/> befolgt wurden, als zu Rom. Dieſe moraliſche Achtung vor<lb/> dem Recht, die bereitwillige Unterordnung des Römers unter<lb/> die Satzungen des Rechts, die Gerechtigkeitsliebe des Volks,<lb/> der Abſcheu deſſelben vor Rechtsverletzungen, das Gefühl der<lb/> Sicherheit, das in Rom das Recht verlieh, das Vertrauen auf<lb/> den Sieg deſſelben — das eben iſt es, was den Römer am<lb/> meiſten mit Stolz erfüllen konnte. Glänzende Beweiſe einer<lb/> ſolchen Geſinnung ſtellte die öffentliche Meinung ebenſo hoch,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [303/0321]
1. Prädeſtination des röm. Geiſtes zur Cultur des Rechts. §. 20.
Ueberlegenheit am meiſten bewußt waren, der Magnet des Ehr-
geizes und der Kraft. Wenn das Volk Gottes ſeine Propheten,
und Griechenland ſeine Philoſophen, Künſtler und Dichter am
höchſten verehrte, ſo traf dieſe Verehrung in Rom die Bürger,
die ſich um den Staat verdient gemacht oder das Recht ſei es
durch ihre Handlungsweiſe, wie Brutus und Regulus, ver-
herrlicht oder durch ihren Scharfſinn gefördert hatten. Wie hoch
ein Volk einen Beruf, eine Kunſt, Wiſſenſchaft u. ſ. w. ſtellt,
dafür bietet die Achtung, die ſie den Individuen, die ſich dem
fraglichen Beruf widmen, erweiſt, den natürlichſten Maßſtab
dar. Rom trieb die Künſtler aus der Stadt, die Perſonen geiſt-
lichen Standes bildeten als ſolche nirgends weniger einen
Gegenſtand der Verehrung, als in Rom, 229) und die Juriſten
umgekehrt haben nirgends eine größere Popularität, einen
höhern Einfluß und höhere Achtung genoſſen. Die Macht, die
das Recht über die Römer ausübte, beſchränkte ſich nicht auf
den Verſtand, beruhte nicht bloß darin, daß ſie ſich im Recht
in ihrem Elemente fühlten, ſich hier ihrer Virtuoſität bewußt
waren; ihr Stolz war nicht bloß intellektueller, ſondern mora-
liſcher Art. Wohl mochten ſie in erſterer Beziehung ſich rühmen,
daß kein Volk ſo weiſe Geſetze, ſo erprobte Einrichtungen beſitze,
kein Volk es in der Erkenntniß des Rechts ſo weit gebracht, wie
ſie; höher aber ſtand ihnen doch der Ruhm, daß nirgends das
Recht die Herrſchaft ausübte, nirgends die Gebote deſſelben ſo
befolgt wurden, als zu Rom. Dieſe moraliſche Achtung vor
dem Recht, die bereitwillige Unterordnung des Römers unter
die Satzungen des Rechts, die Gerechtigkeitsliebe des Volks,
der Abſcheu deſſelben vor Rechtsverletzungen, das Gefühl der
Sicherheit, das in Rom das Recht verlieh, das Vertrauen auf
den Sieg deſſelben — das eben iſt es, was den Römer am
meiſten mit Stolz erfüllen konnte. Glänzende Beweiſe einer
ſolchen Geſinnung ſtellte die öffentliche Meinung ebenſo hoch,
229) S. den folgenden Paragraphen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |